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Hat zuletzt dem Guardian und dem Nouvel Observateur große Interviews gegeben: Jürgen Habermas.

© Martin Gerten/dpa

Jürgen Habermas: Der deutsche Deutschen-Kritiker

Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas schimpft auf Deutschlands Rolle in Europa. In Frankreich und England findet er viel mediale Beachtung.

Von Gregor Dotzauer

Der Nationalstaat ist ihm seit einem halben Jahrhundert ein Dorn im Auge. Zum glühenden Verfechter der europäischen Idee musste sich Jürgen Habermas allerdings erst entwickeln. Was den heute 86-jährigen Philosophen 2003 umtrieb, als er zusammen mit seinem französischen Kollegen Jacques Derrida einen Aufruf zur europäischen Einheit veröffentlichte, in dem er sich gegen den „hegemonialen Unilateralismus“ der USA etwa im Irakkrieg wandte, war der Traum von einer neuen „Weltinnenpolitik“. Die Ideen, die er 2011 in dem buchlangen Essay „Zur Verfassung Europas“ sammelte, formulierten sie unter anderem im Namen einer „realistischen Utopie der Menschenrechte“.

Jürgen Habermas kritisiert die Unnachgiebigkeit Merkels und Schäubles

Es ist wenig überraschend, dass er sich in der jüngsten Griechenland-Krise als Gegner von Angela Merkels und Wolfgang Schäubles Unnachgiebigkeit profilierte. Eine rein auf die Besänftigung der Banken ausgerichtete Währungsunion, der keine politische Vision entspricht, erscheint ihm kurzsichtig. Nach der schicksalhaften Brüsseler Nacht, in der Alexis Tsipras klein beigeben musste, fand er gegenüber dem britischen „Guardian“ bittere Worte: „Ich fürchte, dass die deutsche Regierung, die sozialdemokratische Fraktion eingeschlossen, in einer Nacht all das politische Kapital verspielt hat, das ein besseres Deutschland in einem halben Jahrhundert angesammelt hat – wobei ich mit ,besser‘ ein Deutschland meine, das sich durch ein erhöhtes politisches Feingefühl und eine postnationale Mentalität auszeichnet.“

In England und Frankreich wird Habermas als kritische deutsche Stimme gern gehört

Im Interview mit dem Pariser Wochenmagazin „Le Nouvel Observateur“ legt er nun nach (hier geht es zur deutschen Fassung des Interviews). Von einem Wiedererstarken des deutschen Nationalismus will er nichts wissen. „Der Rechtspopulismus“, sagt er auch mit Blick auf Frankreich, „ist in Deutschland weitaus reduzierter als in anderen europäischen Ländern. Doch unsere Regierung scheint seltsamerweise das Prekäre der augenblicklichen Situation nicht wahrzunehmen.“ Ein gemeinschaftliches Europa könne „allenfalls einen primus inter pares ertragen“, nicht aber eine Regierung, die den anderen EU-Mitgliedern „den Takt vorgibt“. Auf die breite Zustimmung der deutschen Bürger zu den Maßnahmen angesprochen, die Griechenland den Rang eines „Protektorats“ verleihen, meint er nur: „Was wollen Sie von einer Bevölkerung erwarten, die von ihren Regierungen nie ernsthaft mit europäischen Fragen konfrontiert wurde? Wie sagt das Sprichwort: ,Man erntet, was man sät.‘ “

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