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Politik: Jürgen Möllemann macht die FDP zur drittstärksten Kraft - und gewinnt nun auch in seiner Bundespartei neues Gewicht

Die Szene ist typisch für Jürgen Möllemann. Gerade hatte das Präsidium der FDP in Berlin getagt.

Die Szene ist typisch für Jürgen Möllemann. Gerade hatte das Präsidium der FDP in Berlin getagt. Alle warten auf den Bericht über das Treffen. Der Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt sitzt bereits vorne am Tisch. Doch wo bleibt Möllemann? Die Erklärung ist einfach: Der Chef der nordrhein-westfälischen FDP hatte vor dem Saal ein paar Kamerateams entdeckt. Und eine solche Chance zur Selbstdarstellung lässt sich der 54-jährige Spitzenkandidat für die Landtagswahl nicht entgehen. Erst als ihm ein Parteisprecher humorvoll zuraunt, "NRW braucht Tempo", macht er sich auf in den Saal.

Die FDP und Jürgen Möllemann: Das ist eine lange Geschichte von Steil- und Sturzflügen, von Euphorie und Ablehnung. Ausgerechnet er, der von manchem seiner Parteifreunde als notorischer Bruder Leichtfuß bezeichnet wird, hat nun in Nordrhein-Westfalen den Wiederaufstieg der Liberalen eingeläutet. Vor fünf Jahren schaffte die FDP mit vier Prozent der Stimmen nicht einmal den Einzug in das Landesparlament, und dieses Mal verteilte Möllemann bereits die Ministerposten an seine Parteifreunde, bevor die Wähler überhaupt ihre Stimmzettel abgeben konnten.

"Das Bildungsministerium für die FDP", fordert er. Aus der außerparlamentarischen Opposition heraus nun so zu tun, als würde Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) nach der Wahl gar nicht anders können, als mit der FDP zu koalieren, fiel Möllemann nicht schwer. "Das Dilemma besteht fort", meint er lachend auf die Frage, welche Rolle er selbst denn künftig im Düsseldorfer Landtag spielen wolle. Fraktionschef der Liberalen oder Minister? Die Bildungspolitik war eines der großen Wahlkampfthemen der FDP. Drei Milliarden Mark würde Möllemann, der selbst einmal Bundesbildungsminister war, gern zusätzlich dafür ausgeben. Und woher soll das Geld kommen? Selbst der Haushalt eines so großen Landes wie Nordrhein-Westfalen würde solche Summen kaum verkraften. Für Möllemann, den Hansdampf in allen Gassen, ist das anscheinend kein Problem. "Hier werden überaltete Strukturen mit Milliardenbeträgen am Leben gehalten", kritisierte er in seinen Wahlreden.

Unten im Publikum saß gelegentlich auch Andreas Reichel. Reichel war, als die Liberalen noch dem Landtag angehörten, der jüngste Abgeordnete. Jetzt soll er Bildungsminister werden, kündigte Möllemann bereits in einem Interview an. "Andreas Reichel hat sich immer um die Bildungspolitik gekümmert", lobt er. Hauptsache, man ist im Gespräch, lautet seine Devise. Da zählt nicht, wie realistisch ein Vorschlag ist.

Acht Prozent hat der Spitzenkandidat für seine Partei im Wahlkampf zwischen Rhein und Weser landauf und landab plakatiert. Eine hoch gegriffene Zahl. Aber nicht zu hoch, wie die Prognosen am Wahlabend bestätigten. Wichtigstes Wahlziel aber war, stärker zu werden als die ungeliebten Grünen. Da zieht Möllemann am selben Strang wie FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle: Die Wahl an Rhein und Ruhr sollte darüber entscheiden, wer im Parteiensystem künftig Platz drei einnimmt, die FDP oder die Grünen. Wie der Kampf ausgegangen ist, ist jetzt klar, jedenfalls in NRW.

Möllemanns Ego allerdings hätte jedes Ergebnis verkraftet: "Ich bin bekannter als Wolfgang Clement", freute sich der FDP-Mann über Umfrageergebnisse. Für ihn ist das ein Zeichen, dass es sich gelohnt hat, nicht eine Möglichkeit zur öffentlichen Selbstdarstellung auszulassen - weder den Auftritt in der Sonntagstalkshow der Kultsendung "Big Brother" noch die spektakulären Fallschirmsprünge ins Stadion oder die Aktion, bei der er Benzin für 70 Pfennig pro Liter an Autofahrer verkaufte. Und als ihn vor kurzem eine TV-Journalistin fragte, was er denn nicht tun würde, um bekannt zu werden, antwortete er schlagfertig: "ohne Fallschirm abspringen".

Ob Möllemann nun wirklich damit rechnet, von Clement in die Regierung geholt zu werden? Auch wenn die FDP künftig Platz drei in NRW einnimmt, wird der SPD-Ministerpräsident trotz seiner bekannten Abneigung gegen manche Grüne wohl zuerst mit seinem Koalitionspartner reden und nicht so schnell die Pferde wechseln. Ein sozialliberales Bündnis in Düsseldorf wäre ein solcher Paukenschlag, dass auch die rot-grüne Bundesregierung davon nicht verschont bliebe. Bundeskanzler Gerhard Schröder würde das gar nicht passen. Schon das mindert Möllemanns Chancen, in Nordrhein-Westfalen zum Königsmacher zu werden.

Hat er darauf gehofft, dass am Wahlabend das Telefon bei ihm klingelt, als klar war, dass die FDP wieder im Landtag sitzt? Und was wäre, wenn Clement wirklich noch anriefe? "Zum Nulltarif sind wir nicht zu haben", tönt Möllemann selbstbewusst. Aber: "Wir sind zu Gesprächen bereit."

Der Nordrhein-Westfale betreibt die Öffnung seiner Partei zu den Sozialdemokraten schon seit längerem, argwöhnisch beäugt von Parteichef Wolfgang Gerhardt. Gegen Gerhardt hatte Möllemann 1995 bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden der Liberalen den Kürzeren gezogen. Doch dann habe er immerzu "aus der Kulisse gemosert", berichten Parteifreunde. Ein politischer Farbwechsel von Rot-Grün zu Rot-Gelb in Düsseldorf, "das hat dann schon Attraktivität für andere Ebenen", spekuliert Möllemann. Er lacht dabei, und man kann sich richtig vorstellen, wie er sich ausmalt, wie schön es wäre, die Grünen aus der Bundesregierung in Berlin zu verdrängen. "Zack", sagt er, "dann wäre eine neue Mehrheit da." Und für die FDP wäre das natürlich auch nicht schlecht. Sie wäre plötzlich wieder "ein gewichtiger Spieler auf der Bundesebene". Und er, Möllemann, natürlich auch.

Deswegen hat es dem Spitzen-Liberalen auch so gut gefallen, als mitten im Wahlkampf über Geheimgespräche zwischen ihm und Clement spekuliert wurde. Das kann man dementieren - und doch den dicken Maxe machen. Möllemann genoss die Gerüchte wie eine aufputschende Droge. "Hauptsache", sagt er, "es bebt." Kürzer und prägnanter ließe sich das politische Credo des einstigen Bundeswirtschaftsministers kaum zusammenfassen. Natürlich hat er dementiert. "Es gibt diese Treffen nicht und deswegen auch keine Verabredung", erklärte er, um dann doch mit indirekten Anspielungen genau das zu bestätigen, was er vorher wortreich zurückgewiesen hatte. Hauptsache, man bleibt im Gespräch.

Die Grünen haben sich über Möllemanns Koalitionsspekulationen übrigens gefreut. Die Angst vor einem sozialliberalen Bündnis in Düsseldorf und die Auswirkungen auf Berlin, so glaubten sie, haben die eigene grüne Basis im Landtagswahlkampf etwas mobilisiert. "Das war spürbar", berichtete ein Parteimitarbeiter. "Dank Möllemann haben wir bestimmt manche Stimme mehr bekommen." Auch wenn es am Ende nicht sehr viele Stimmen waren.

Den FDP-Spitzenmann wird das gefreut haben. Und deshalb überlegt sich der Wahlmünsteraner bereits die nächsten Schritte, mit denen er die politische Szene in Nordrhein-Westfalen aufmischen kann. Oder demnächst auch die in Berlin? Denn, wie gesagt: "Hauptsache, es bebt."

Carsten Germis

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