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Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war Jürgen Trittin Umweltminister. Nun führt der er die Bundestagsfraktion der Grünen.

© Mike Wolff / TSP

Jürgen Trittin: „Die Regierung war stets gezwungen, das zu tun, was die Grünen forderten“

Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, spricht im Tagesspiegel-Interview über sein Europa, die Politik der Kanzlerin – und mit welchem Unsinn er in Deutschland aufräumen will. Bei der Kandidatenkür für die Bundestagswahl sieht Trittin keinen Grund zur Eile.

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Wenn Sie sich Ihr Europa in zehn Jahren wünschen könnten – wie sähe das aus?

Mein Europa wäre ein solidarischeres. Darum hätte dieses Europa eine gemeinsame Steuerpolitik, über die nach dem Mehrheitsprinzip bestimmt wird, und eine gemeinsame Sozialpolitik. Mein Europa hätte eine deutlich gestärkte EU-Kommission und ein deutlich gestärktes Europäisches Parlament. Der Rat der Regierungen wäre die zweite gesetzgebende Körperschaft – kontrolliert von den nationalen Parlamenten. In diesem Europa gäbe es auch die Möglichkeit, dass die Bürgerinnen und Bürger bestimmte Dinge für Europa direkt entscheiden.

Was unterscheidet Ihre Europa-Idee von der, sagen wir, Wolfgang Schäubles?

Darin, welches Europa wir wollen. Ich will ein gestärktes Europa für mehr Klimaschutz, für eine gerechtere Besteuerung, für einen Erhalt des Sozialstaats. Und anders als Schäuble glaube ich, dass dies alles ohne Ersatz des Grundgesetzes möglich ist. Das Grundgesetz gebietet ein gemeinsames Europa. Mein Europa unterscheidet sich von dem Schäubles aber weniger als von dem Europa des Horst Seehofer. Seehofer hat den proeuropäischen Grundkonsens aller demokratischen Parteien in Deutschland verlassen. Er ist der Chef einer antieuropäischen Regionalpartei. Das ist einer der Gründe, warum die Bundesregierung in diesen Fragen nicht mehr handlungsfähig ist – jetzt mal abgesehen von einem Wirtschaftsminister, der frei von Sachkenntnis agiert.

Diese Woche muss der Bundestag den nächsten Schritt zur Euro-Rettung tun. Gehen die Grünen wieder mit?

Wir stimmen über ein Dementi der Krisenpolitik von Frau Merkel ab. Die Kanzlerin hat immer behauptet, wir hätten es mit einer Staatsschuldenkrise zu tun, weil Staaten über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Spanien hatte weniger Staatsschulden als Deutschland, aber eine Bankenkrise. Aus der ist erst ein Problem für den Staatshaushalt geworden. Nun bleibt der Regierung gar nichts anderes übrig, als die eigenen Banken zu retten und deren Schulden zu verstaatlichen. Den Kern der Krise des Euro bildet aber die Finanzkrise von 2008.

Und was folgt daraus?

Das Rezept von Frau Merkel war falsch, man könne die gesamte Krise durch Sparen überwinden. Spanien zeigt das Gegenteil. Es ist gut, dass Spanien, Italien und Frankreich mit Unterstützung der deutschen Opposition Frau Merkel gezwungen haben, in Richtung einer Bankenunion mit strenger Aufsicht und strengen Regeln zu gehen. Falls die Hilfe für Spanien ein Schritt in diese Richtung ist, ist er sicher nicht verkehrt.

Also werden die Grünen zustimmen?

Ich habe mir angewöhnt, solche Anträge erst zu lesen und dann zu sagen, was ich davon halte. Es kommt darauf an, dass die Bankenrettung nicht wie bisher allein zulasten der Steuerzahler geschieht.

Warum Trittin Rot-Grün im Bund trotz schlechter Umfragewerte für möglich hält

Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war Jürgen Trittin Umweltminister. Nun führt der er die Bundestagsfraktion der Grünen.
Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war Jürgen Trittin Umweltminister. Nun führt der er die Bundestagsfraktion der Grünen.

© Mike Wolff / TSP

Bisher haben die Grünen trotz aller Kritik Merkels Euro-Politik stets mitgetragen.

Ich sehe das genau anders herum: Am Ende war die Regierung stets gezwungen, das zu tun, was die Grünen forderten. So war es beim ESM, beim Investitionsprogramm, so war das bei europäischen Anleihen oder mit der Finanztransaktionssteuer – die Regierung tut zuletzt immer das, wogegen sie kurz davor lautstark polemisiert hat.

Wenn das alles so finster ist – wieso mögen die Leute Frau Merkel dann so?

Das hat etwas mit einer Grundhaltung der Deutschen zu tun, dass sie ihren Kanzlerinnen und Kanzlern vertrauen. Noch mehr übrigens, wenn sie außer Diensten sind – denken Sie an Helmut Schmidt. Das ändert aber nichts daran, dass diese populäre Kanzlerin mit ihrer CDU alle elf letzten Landtagswahlen verloren hat. Und die Aussichten für die zwölfte Niederlage im Januar in Niedersachsen stehen nicht schlecht.

Was helfen serienweise Landessiege, wenn es im Bund für Rot-Grün nicht vorangeht?

Weil erst nächstes Jahr Bundestagswahl ist. Ich hab’ gestern eine lustige Umfrage gesehen. Da stand, Schwarz-Gelb liege vor Rot-Grün. Dummerweise hatte der gelbe Teil deutlich weniger als fünf Prozent. Diese Sorte Vorsprung nützt wenig.

Der rot-grüne Vorsprung nützt auch nichts, wenn er keine Mehrheit ergibt.

Wahlen werden in Deutschland in hohem Maße an der Frage entschieden, wer seine Wähler am besten mobilisiert. Wenn es so kommt, wie ich das für möglich halte, hätten wir zum Auftakt des Wahljahres von der Flensburger Förde über die Lüneburger Heide und die Kölner Bucht bis zur Insel Mainau eine Kette rot und grün regierter Länder. Wenn mir da jemand erzählen will, es sei unmöglich, in ganz Deutschland eine rot-grüne Regierung zu bekommen – also, den halte ich für verwegen. Es ist möglich. Und dafür werden wir streiten.

Im vorigen Sommer schien es nicht nur möglich, sondern geradezu sicher.

Das konnten die glauben, die auf Umfragen schauen …

… nein, das zeigte auch das Wahlergebnis in Baden-Württemberg. Inzwischen sind die Grünen zurück auf Normalmaß.

In Schleswig-Holstein haben wir uns glatt verdoppelt. Wenn das normal ist, dann kriegen wir 2013 im Bund so um die 20 Prozent. Also, wenn Sie das mit normal meinen – hätte ich nichts dagegen!

Trittin fordert Subventionsabbau

Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war Jürgen Trittin Umweltminister. Nun führt der er die Bundestagsfraktion der Grünen.
Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war Jürgen Trittin Umweltminister. Nun führt der er die Bundestagsfraktion der Grünen.

© Mike Wolff / TSP

Gut, dann würde es für Rot-Grün reichen.

Die Frage wird doch lauten, ob es wieder auf eine große Koalition unter Frau Merkel zuläuft oder ob eine andere Mehrheit für eine andere Politik möglich ist. Das wird davon abhängen, wie stark die Grünen werden. Deshalb arbeiten wir daran, unser historisch bestes Ergebnis von 2009 noch einmal zu verbessern.

Aber womit denn? Früher haben die Grünen eine Energiewende gefordert – heute macht sie Schwarz-Gelb.

Ich kann ja nichts dafür, dass die anderen sich in vielen Fragen erst auf unhaltbare Positionen versteifen und dann am Ende gezwungen sind, unsere grünen zu übernehmen. Das ist aber für uns doch kein Problem! Seit das so ist, haben wir bei jeder Wahl zugelegt. Die Menschen wählen eben lieber das Original.

Sie wollen in die Wahl gehen mit dem Slogan: Wir sind das Original?!

Eine andere Politik ist möglich. Es gibt eine Alternative. Das müssen wir deutlich machen. Ob man sich also wirklich den Ursachen dieser Finanzkrise stellt und sie angeht – oder ob man weiter versucht sich durchzumogeln. Ob man sich über den Stromnetzausbau zankt – oder ihn macht. Ob man Schluss macht mit der chronischen Unterfinanzierung der Gemeinschaft – oder ob man weiter Schuldenpolitik betreibt und die Folgen den nächsten Generationen auflastet. Wir dürfen nur noch das ausgeben, was wir auch einnehmen.

Dann muss der Staat mehr einnehmen?

Wir müssen sparen, Subventionen abbauen und die Einnahmen stärken. Wir wollen Vermögende durch eine Vermögensabgabe stärker zum Schuldenabbau heranziehen. Wir wollen alle Subventionen darauf überprüfen, ob sie nicht das Falsche subventionieren. Ist es klug, dass wir den Erwerb eines mittelschweren Geländewagens zum Umherkurven in der Stadt mit bis zu 15 000 Euro Steuermitteln finanzieren? Ist es sinnvoll, Rechenzentren der Sparkassen von der Umlage für erneuerbare Energien freizustellen? Ist es vernünftig, Skilifte bei der Mehrwertsteuer zu bevorzugen? Diesen ganzen Unsinn müssen wir durchforsten.

Der Letzte, der das gefordert hat, hieß Guido Westerwelle.

Guido Westerwelle hat nur abstrakt von Subventionsabbau gesprochen …

… nee, das war sehr konkret, ein ganzes Buch voll, den Hafen Duisburg inklusive.

Den Hafen Duisburg können Sie nur einmal privatisieren. Ich rede von Dauersubventionen. Wir geben pro Jahr 49 Milliarden Euro für ökologisch schädliche Zwecke aus. Die Zahl kommt von der Bundesregierung. Wir glauben, dass man davon in einer Wahlperiode fünf bis zehn Milliarden abbauen kann.

Neben Programmen entscheidet das Personal über Wahlchancen. Da herrscht bei Rot und Grün Gedränge um die ersten Plätze …

Ich weiß ja nicht, mit wem die CDU in den Wahlkampf gehen wird, wenn sie auch noch Niedersachsen verliert.

Wir haben nicht nach der Konkurrenz gefragt. Wir wollten wissen, wie Sie das Bild vergessen machen wollen, das im Moment ja so etwas wie „Merkel und die sieben Zwerge“ zeigt.

Wir werden mit einem Spitzenduo in diese Wahl gehen. Wir werden das im Herbst entscheiden. Die SPD wird etwa zur gleichen Zeit ihren Kanzlerkandidaten bestimmen. Das scheint mir ein angemessener Zeitpunkt. Und wenn ich mir die Linken und die Liberalen anschaue, dann sind wir in dieser Frage mit Sicherheit nicht die Letzten.

Das Interview führten Robert Birnbaum und Christian Tretbar.

Der politische Werdegang von Jürgen Trittin in einem Steckbrief

Vom Minister zum Fraktionschef

Im politischen Geschäft ist der Grünen-Politiker Jürgen Trittin (57) ein alter Hase. 1990 wurde er niedersächsischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, 1998 Bundesumweltminister. Seit 2005 macht er Opposition – erst als Vize, und seit 2009 neben Renate Künast als Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag.

Vom Dosenpfand zur Finanzpolitik

Trittin kommt von links außen, als Student war er beim Kommunistischen Bund. Seit 1980 ist er Mitglied der Grünen. Als Umweltminister kämpfte Trittin für Atomausstieg und Ökosteuer. Inzwischen hat „Mister Dosenpfand“seine Leidenschaft für die Finanzpolitik entdeckt.

Vom Sozialwirt zum Politiker

Vor seinem Einstieg in die Politik war Trittin Sozialwissenschaftler und freier Journalist. Er ist ledig und hat eine Tochter.

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