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Jürgen Trittin im Interview: "Wir werden mit der Regierungsübernahme ein schlechtes Erbe antreten"

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel äußert sich Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin über die Schwächen der SPD, Chancen eines Regierungswechsels und die Flüchtlinge von Hellersdorf.

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Herr Trittin, was wäre eigentlich falsch an einem dritten Griechenland-Paket?

Nicht das Griechenland-Paket an sich ist falsch, sondern wie Frau Merkel damit umgeht. Dass es unausweichlich und überfällig ist, pfeifen die Spatzen seit Monaten von den Dächern. Die drastischen Ausgabenkürzungen in Griechenland haben nicht zu weniger Schulden geführt, sondern zu mehr. Deshalb fordern wir zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds, dass sofort Geld für Investitionen und zur Belebung der griechischen Wirtschaft in die Hand genommen wird. Die Kanzlerin hat aus Angst vor der „Alternative für Deutschland“ versucht, mit dieser Wahrheit bis zum Wahltag hinterm Berg zu halten. Jetzt hat sich Herr Schäuble verplappert.

Die Kanzlerin sagt aber doch, dass Schäuble völlig recht habe!

Seehofer wettert offen gegen Schäuble und Merkel hat dementieren lassen. So kennen wir das von ihr: Erst tut sie nichts, treibt damit die Kosten des nächsten Pakets immer weiter in die Höhe, und wenn es sich nicht mehr abwenden lässt, behauptet sie, das genauso zu sehen! Dabei steigt durch dieses wahltaktische Hinauszögern auch noch die Wahrscheinlichkeit, dass es einen zweiten Schuldenschnitt geben muss.

… den Merkel aber ausschließt …

Ja natürlich, weil sie dann nämlich zugeben müsste, dass hartes Geld nach Griechenland fließen wird!

Braucht es einen zweiten Schuldenschnitt?

Niemand würde sich darüber freuen. Aber wenn man die nötigen Investitionen so lange blockiert wie Frau Merkel, dann wird er wahrscheinlicher.

Und den müsste dann in einer rot-grünen Regierung der Finanzminister Jürgen Trittin vollziehen?

Wir werden mit der Regierungsübernahme ein schlechtes Erbe antreten. Dazu zählen zum Beispiel 500 Milliarden Euro gesamtstaatlicher Verschuldung, die unter Frau Merkel aufgehäuft worden sind. Sie hat allein in den letzten vier Jahren noch einmal 100 Milliarden Euro neue Staatsschulden aufgenommen, und das trotz guter Konjunktur.

„Mit der Regierungsübernahme“ – im Moment sieht es danach nicht aus. Verzweifeln Sie manchmal an der SPD?

Wir haben in den letzten Jahren eine Erfahrung gemacht: Schwarz-gelbe Regierungen werden abgelöst durch starke Grüne – trotz Schwächen der SPD. Deswegen wollen wir diesmal sechs Millionen Wählerinnen und Wähler mobilisieren; letztes Mal waren es zum ersten Mal knapp über vier Millionen.

Damit wären Sie bei gleicher Wahlbeteiligung trotzdem erst bei etwa 15 Prozent – wie soll die SPD den Rest ranschaffen?

Es wird von unserer Stärke abhängen, ob wir unser Ziel erreichen. Auch noch Coaching für Mitwettbewerber zu machen, wäre, glaube ich, vermessen.

Immerhin haben Sie die SPD schon ermahnen müssen, in Sachen Steuerpolitik nicht „hasenfüßig“ zu werden …

… die SPD hat ihre Position klargestellt. Die SPD ist wie wir der Auffassung, dass Gering- und Normalverdiener entlastet werden. Die SPD ist der Auffassung, dass es dafür als solide Gegenfinanzierung eine moderate Anhebung der Steuerlast für die oberen zehn Prozent der Reichen geben muss. Auch das teilen wir.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Jürgen Trittin zu Betreuungsgeld und Asylrecht steht.

Union und FDP nutzen diese Ankündigung, um eigene Wähler zu mobilisieren. Schießen Sie sich nicht ein Eigentor?

Die setzen vor allem auf Demobilisierung der SPD und niedrige Wahlbeteiligung. Die Lobbys allerdings sind aufgeschreckt. Es gibt ja auch noch andere, die unbedingt wollen, dass Frau Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Das sieht man an den Großspenden für die CDU. Für Frau Merkel spenden und kämpfen der Verband der Chemischen Industrie, die Daimler Benz AG, die Berenberg Bank … Aber die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich einen Erfolg der Energiewende, Klimaschutz, gerechte Löhne und eine Regierung, die sich nicht von Lobbyisten die Gesetze schreiben lässt.

Diese linke Mehrheit der Bevölkerung gibt es – aber parteipolitisch nur im Dreibund mit der Linken. Selbst prominente Grüne wie Daniel Cohn-Bendit fordern, den Widerstand gegen Rot-Rot- Grün aufzugeben.

Es gibt in dieser Gesellschaft in vielen wichtigen Fragen eine Zweidrittelmehrheit für Positionen, wie sie die Grünen vertreten – oft bis weit ins konservative Lager hinein. Es gibt zugleich eine Linkspartei, die sich taktisch lautstark zum Regieren bereit erklärt, das dann aber an Bedingungen knüpft, die nur eins zeigen: dass sie in Wahrheit gar nicht regieren will. Wer Griechenland lieber in den Staatsbankrott schickt als sich den harten Herausforderungen einer geordneten Insolvenz zu stellen, der will in Deutschland nicht regieren. Das gilt ebenso für jemanden, der sogar UN-Blauhelmeinsätze zur Überwachung von Friedensabkommen als Militarisierung der Außenpolitik ablehnt.

Die Grünen waren auch mal gegen Auslandseinsätze und sind in der Regierung sehr schnell klüger geworden. Warum soll das bei der Linken anders sein?

Aber ich muss doch das ernst nehmen, was der Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi gerade erst wieder gesagt hat! Und es geht hier ja nicht um politische Petitessen, sondern um die Verantwortung des größten Mitgliedstaats der Europäischen Union.

Mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel hätten Sie solche Probleme in einer gemeinsamen Regierung nicht?

Doch. Genau deshalb kämpfe ich für Rot-Grün, und ich halte das für realistisch. Die CSU wäre doch niemals bereit, mit uns das Betreuungsgeld und die Mehrwertsteuer-Subvention für Hotels wieder einzukassieren. CDU und CSU empfinden es als Zumutung, dass wir Menschen mit einem höheren Einkommen steuerlich stärker belasten wollen, um Normalverdiener zu entlasten. Die Union will auch keine Vermögensabgabe zum Abbau der Schulden. Sie will keinen Mindestlohn und sie sabotiert die Energiewende.

Die Streichung des Betreuungsgelds wäre für die Grünen unverhandelbare Bedingung?

Anstelle des Betreuungsgelds könnten wir 33 333 Kitaplätze im Jahr schaffen. CDU und CSU wollen in die andere Richtung. Wenn zwei Koalitionspartner das Gegenteil wollen, können sie auch nicht miteinander regieren.

Würden Ihre Anhänger es eigentlich als Verrat empfinden, wenn Sie sich doch auf Schwarz-Grün einließen?

Es geht nicht um Verrat. Wenn wir die Programme abklopfen, gibt es keine Basis für eine gemeinsame Regierung. Ich kann doch nicht mit der Union koalieren, nur weil die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär in einem Anflug von Vernunft sagt, sie fände einen Veggie-Day im deutschen Bundestag gut!

Wenn am Wahlabend an Rot-Grün auch nur 0,5 Prozent fehlen, dann geht Jürgen Trittin mit dem historisch besten Wahlergebnis, das die Grünen je hatten, demütig in die Opposition?

Jürgen Trittin geht in den Wahlkampf mit dem Ziel, an diesem Wahlabend eine Mehrheit von Rot und Grün zu haben. Und ich verwechsle Umfragen nicht mit Wahlergebnissen. Wir haben da schon Abweichungen von fünf, sechs und mehr Prozent erlebt.

In Berlin-Hellersdorf protestieren Rechte und Anwohner gegen ein Flüchtlingsheim. Sie waren am Montag dort. Wie beurteilen Sie diesen Vorgang?

In Hellersdorf wiederholt sich, was wir von Rostock-Lichtenhagen bis Hoyerswerda erlebt haben: Da ist ein von Rechtsradikalen aufgehetzter Mob, der gegen die Anwesenheit der Flüchtlinge demonstriert. Ich war sehr froh, dass die Polizei so präsent ist. Und ich bin froh, dass sich viele Menschen schützend vor die Flüchtlinge stellen. Man muss klare Kante gegen Fremdenfeindlichkeit zeigen.

Sehen Sie trotz der Wahlkampfsituation Handlungsmöglichkeiten für die Bundespolitik in dieser Situation?

Sie darf nicht mit fremdenfeindlichen Ressentiments spielen, so wie das Innenminister Friedrich immer wieder tut. Und sie muss sich klar zur Verantwortung bekennen, Flüchtlinge aufzunehmen. In Syrien zum Beispiel ist die Lage für die Bevölkerung ausweglos. In Nachbarländern wie dem Libanon und Jordanien hat sich in manchen Landstrichen die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt durch den Zuzug von Flüchtlingen. Wir müssen diese Länder entlasten. Der Innenminister hat schon zwanzig Mal erklärt, er wolle 5000 Syrerinnen und Syrer aufnehmen. Das liegt weit unter dem, was möglich und notwendig wäre.

Wären auch Änderungen im Asylrecht denkbar oder sogar notwendig?

Menschen, die aus einer Kriegssituation kommen und bei uns Schutz suchen, sollten wir nicht in Asylverfahren treiben. Für diese Flüchtlinge, die ja in der Regel nur befristet bei uns bleiben wollen, gibt es andere Wege. Und die müssen wir nutzen.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Robert Birnbaum. Alle Themen und Berichte rund um die Bundestagswahl 2013 finden Sie in unserem Wahlblog.

WAHLKÄMPFER

Jürgen Trittin, 59, führt die Grünen als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl – zusammen mit Katrin Göring-Eckardt.

MINISTRABEL

Trittin, der die Grünen- Bundestagsfraktion seit 2009 gemeinsam mit Renate Künast führt, war bereits sieben Jahre Umweltminister. Bei einem rot-grünen Wahlsieg will er wohl Finanzminister werden.

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Gestartet ist er von links außen: Als Student war er beim Kommunistischen Bund. Seit 1980 ist er bei den Grünen. Lange galt er als Gegenpart zum „Ober-Realo“ Joschka Fischer. Jetzt wirkt er pragmatisch.

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