zum Hauptinhalt
Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne).

© Doris Spiekermann-Klaas/ TSP

Jürgen Trittin zur Endlagersuche: „Es wird Konflikte geben“

Bei der Suche nach einem Atommüll-Endlager werden im Herbst erstmals Namen genannt. Im Interview spricht Jürgen Trittin über neue Konflikte und Akw-Laufzeiten.

Jürgen Trittin war von 1998 bis 2005 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags.

Herr Trittin, was kostet eigentlich ein Atommüll-Endlager?
Nach den Berechnungen, die in der Endlagerkommission bis 2016 besprochen wurden, sollte die Gesamtsumme 176 Milliarden Euro bis zu dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Endlagers nicht übersteigen. Darin ist die Endlagersuche enthalten, ebenso dessen Bau bis 2050 und der Betrieb samt Einlagerung des Atommülls. Die vier Betreiber deutscher Atomkraftwerke haben für diesen Prozess rund 24 Milliarden Euro überwiesen, die nun für Jahrzehnte in einem öffentlichen Fonds angelegt werden.

Sie sitzen im Kuratorium dieses Fonds. 24 Milliarden erscheinen wenig, wenn das Endlager erst nach 2050 fertiggestellt sein sollte. Kann das reichen?
Die Unternehmen hatten sogar nur 17 Milliarden dafür zurückgestellt. Wir haben also einen Sicherheitszuschlag von knapp 7 Milliarden oben drauf bekommen. Das Ziel war, dass auf die Summe der 17 Milliarden eine durchschnittliche Jahresrendite von 4,75 Prozent zu erwirtschaften. Deshalb der Risikozuschlag. Wir gehen dabei von einer jährlichen Inflation von 2 Prozent aus. Diese lag aber zum Beispiel in den letzten Jahren deutlich darunter.

Zudem unterstellten wir nuklearspezifische Preissteigerungen von noch einmal 2 Prozent. 4,75 Prozent hört sich für einen Menschen mit Sparbuch viel an. Für Unternehmer ist das aber eher eine sehr bescheidende Rendite. Bislang ist nur ein Drittel des Geldes investiert, weil hier Sicherheit vor Schnelligkeit geht. Das bereits investierte Geld fuhr aber bisher eine Rendite von rund zehn Prozent ein. Ich bin also zurzeit nicht besorgt.

Das sind die Finanzen. Wie steht es um die gesellschaftlichen Aspekte? Als grüner Umweltminister erfuhren Sie den Widerstand gegen Gorleben und die Castortransporte, Sie kennen die Debatte um die Endlagerung.
Man muss sehen, welche Motive in den Widerstand fließen. In Gorleben waren die Motive ja breit gefächert. Der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht fand den lange vorgesehenen Standort Mariaglück nicht so schön, denn er wohnte direkt daneben. Das brachte dann die lokale Bevölkerung in Gorleben auf die Barrikaden.

Dazu sollten in der Region mit Brokdorf und Grohnde neue Akw gebaut werden. Diese Auseinandersetzung um die Atomkraft hat für einen Schub gesorgt, der bis zur Gründung der Grünen führte. Jetzt aber haben wir einen Atomkonsens, ein definiertes Ende, eine definierte Menge an Atommüll. Es wird auch bei der Endlagersuche Konflikte geben. Doch sie werden regional sein. Die gesamte Gesellschaft werden sie so nicht mehr erfassen.

Arbeitsmaschinen stehen im Erkundungsbergwerk Gorleben hinter einer Absperrung.
Arbeitsmaschinen stehen im Erkundungsbergwerk Gorleben hinter einer Absperrung.

© dpa/ Philipp Schulze

Der Bund hat sich ins Gesetz geschrieben, bis 2031 ein Endlager für hochradioaktive Stoffe zu finden. Wie sehen Sie den Stand der Suche?
Man ist im Plan. Das kann sich schnell ändern. Das liegt weniger an den Institutionen, die daran beteiligt sind, als vielmehr an der Gesetzgebung. Noch immer fehlt ein Beschluss für das Geologiedatengesetz in Bundestag und Bundesrat. Vor Mai wird der nicht vorliegen. Wenn man die Entscheidungen, die bei der Endlagersuche getroffen werden, nicht transparent darstellen kann, wird es schwierig.

Der Zeitplan der Endlagersuche ist sehr straff.
Das ist eine interessante Formulierung. Bisher hörte ich zum Zeitplan fast immer nur diesen Satz: „Das Endlager soll bis 2031 gefunden werden, das ist ja der Sankt-Nimmerleinstag.“ Anderen ist der Zeitpunkt zu kurz. Ich hingegen blicke lieber auf die Physik: Der hochradioaktive Atommüll muss zum Teil noch mehrere Jahrzehnte an Wärme verlieren, bevor er eingelagert werden kann. Der ambitionierte Teil des Zeitplans beginnt, wenn das Endlager gebaut ist. Das eigentlich Teure an einem Endlager ist sein Betrieb. Das Teure an der Atomenergie kommt zuletzt – und der Atomausstieg senkt die Kosten für die Endlagerung, weil kein neuer Müll dazu kommt.

Im Herbst sollen erstmals Gebiete genannt werden, die bis dahin noch als Endlagerstandort infrage kommen.
Auch das ist interessant formuliert. Noch kennen wir den ersten Teilbericht nicht. Mit dem dritten Quartal wäre ich vorsichtig.

Das ist der Zeitplan, den sich die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) gesetzt hat.
Das Geologiedatengesetz wird bis dahin nicht vorliegen. Das Bundesamt für Entsorgungssicherheit hat die BGE daher schon um einen Plan B gebeten: Wie kann der Zwischenbericht Teilgebiete auch ohne ein Geologiedatengesetz gelingen.

Der Widerstand, der ab dem Herbst droht, rührt aber auch aus Ängsten her. Können Sie die Ängste der Menschen verstehen?
Natürlich. Niemand hat gerne ein Atommüll-Endlager vor der Tür. Man muss nun gewährleisten, dass der sicherste Standort gefunden wird. Wir haben den Müll selbst produziert und müssen ihn auch selbst entsorgen. Wir können ihn nicht anderen auflasten. Unter geologischen und fachlichen Aspekten gibt es nicht das eine sichere Endlager, sondern nur das bestmögliche. Wir müssen jetzt unter guter öffentlicher Beteiligung einen Standort mit der günstigsten Risikoerwartung finden.

Was hat die Politik aus Gorleben gelernt? Wie können die Menschen mitgenommen werden, damit der letzte Baustein des Atomausstiegs, die Endlagersuche, gelingt?
Anders als in der Ära Gorleben ist der heutige Prozess komplett in öffentlicher Hand. Er ist viel besser steuerbar. Sorge bereitet mir ein anderes Problem: Die Beteiligungsformate und Klagemöglichkeiten gegen Entscheidungen bei der Endlagersuche betreffen alle die frühen Phasen der Suche. Das war ein wichtiges Anliegen der Anti-Atom-Szene. Das Problem ist, dass viele Menschen sich erst spät mit der Endlagersuche befassen werden – wenn nämlich sichtbar gebaut wird. Die Kunst wird sein, die Menschen miteinzubeziehen, wenn sie die Endlagersuche noch gar nicht auf dem Schirm haben.

Es scheint, Teile derselben Bewegung stellen sich erst gegen die Atomkraftwerke und später gegen ihren Rückbau. Nun stören sich auch viele am Ausbau der Windkraft.
Nach meiner festen Überzeugung hängt es an der Erfahrung, die die Menschen mit diesen Projekten gemacht haben. In Ostfriesland, Schleswig-Holstein und im nördlichen Niedersachen haben viele gelernt, dass ein Windenergiepark eine zusätzliche Einkommensquelle in schwierigen Zeiten sein kann. Diese Erfahrung führte eher zu Beteiligung. Bis heute ist die Windkraft ziemlich konzernfrei. Menschen ohne Partizipation und finanzielle Beteiligung aber etwas vor die Haustür zu setzen, ist ein Fehler.

Unions- und FDP-Abgeordnete machen sich jetzt wieder für die Atomenergie stark. Der zeitgleiche Ausstieg aus Atom- und Kohleverstromung könne den Industriestandort gefährden. Zuletzt sprach Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) von einem möglichen Wiedereinstieg in die Atomkraft in 10 oder 15 Jahren.
Gerne kann Michael Kretschmer schon einmal eine bestimmte Region in Sachsen für das Endlager bereithalten. Das wäre doch nur konsequent. Um nicht wieder ein Flugzeug zu starten, ohne zu wissen, wo der Landeplatz ist.

Nimmt sich die Bundesrepublik zu viel auf einmal vor? Was ist zu tun, damit beide Ausstiege gelingen?

Wir haben in Deutschland keinen Mangel an Strom. Im vergangenen Jahr haben wir 37 Terawattstunden Strom mehr exportiert als importiert. Der Atomausstieg ist so gut wie abgeschlossen, und durch den massiven Ausbau der Erneuerbaren längst überkompensiert. Nie hatten wir an der Stromerzeugung einen Atomkraftanteil von 46 Prozent, wie dies bei Erneuerbaren im vergangenen Jahr der Fall war. Wir könnten diese Atomkraftwerke heute vom Netz nehmen, ohne unsere Versorgungssicherheit zu gefährden. Woran es fehlt, ist Flexibilität.

Kretschmer sagte zudem, Kernforschung müsse weiter betrieben werden.
Warum soll ich in etwas investieren, was am Markt keine Chance hat, eine Energie von gestern? Genauso könnten wir uns, statt auf Förderung von E-Mobilität zu setzen, uns auf die Rückkehr der Dampfmaschine vorbereiten – wenn es nach Kretschmer geht, am besten mit Braunkohle. Wir haben in der Realität einen dringenden Forschungsbedarf bei Energiespeichern und bei Ausgleichsmechanismen.

Muss auch deswegen ein schneller Kompromiss bei der Endlagersuche gelingen, damit es beim Ausstieg aus der Atomenergie bleibt?
Eine Verlängerung heißt mehr Atommüll. Damit würde die ganze Suche ad absurdum geführt. Und nur zur Klarheit: Atomkraftwerke, die schon stillgelegt sind, müssten ein neues Genehmigungsverfahren durchlaufen. Ihre Betriebserlaubnis ist erloschen. Da wünsche ich frohe Verrichtung. Die drei Betreiberunternehmen deutscher Akw wollen eine Verlängerung der Laufzeiten selbst nicht. Sie haben den Rückbau ihrer Meiler zu bewältigen. Ich sehe keine Renaissance der Atomenergie weltweit. Selbst Frankreich legt mehr Atomkraft still, als es nachbauen kann. Wir erleben vielmehr einen riesigen Zuwachs an erneuerbarer Energieerzeugung – und nur ein paar nostalgische Träumereien einzelner Politiker zum Erhalt der Atomkraft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false