Serdar Bulat ist fünf Jahre alt, als er es zum ersten Mal hört - dieses Wort, das er von nun an nie mehr vergessen würde: Ausländer. Wie jeden Abend saß seine Mutter um 20 Uhr vor dem Fernseher, sie wollte die Tagesschau gucken. Eine Zeit, zu der Serdar für gewöhnlich schon im Bett liegen musste. An diesem Abend war er länger wach, wieso, weiß er heute nicht mehr. Er weiß nur: Das, was er dort im Fernsehen sah, hatte mit ihm zu tun und mit diesem Wort, Ausländer.
Es war der 29. Mai 1993, der Tag, an dem Skinheads in Solingen einen Brandanschlag auf das Haus der Familie Grec verübte. Es war einer der schlimmsten rechtsextremen Anschläge in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vier junge Männer aus der rechtsradikalen Szene hatten das Fachwerkhaus in der Unteren Wernerstraße 81 nachts mit Benzin begossen und in Brand gesetzt. Zwei Frauen und drei Kinder starben. Sie kamen aus der Türkei - genau wie Serdar und seine Mutter.
Serdar saß vor dem Fernseher. Szenen von weinenden Frauen flimmerten über den Bildschirm, Männer ballten ihre Hände zu Fäusten, sie brüllten ihre Wut und ihr Entsetzen in die Kameras. Immer wieder redete der Nachrichtensprecher von Fremdenhass. Und von Ausländern.
Der Bericht verwirrte Serdar. Er wusste nicht, was das ist, ein Ausländer. Er hatte den Begriff noch nie gehört. Er schaute zu seiner Mutter, sagte: „Mama, was ist das, ein Ausländer?“ Seine Mutter beugte sich zu ihm, kniete sich neben ihn auf den Boden, schaute ihm in die Augen. Sie sagte: „Serdar, schau mal, wir sind anders als die anderen. Wir sind Ausländer.“

Heute, 19 Jahre später, sitzt Serdar Bulat in einem Café in Berlin-Mitte und redet über Muslime und Integration. Er schaut aus dem Fenster, Menschen gehen vorbei, Deutsche, Polen, Türken. „Muslime sind auch Deutsche,“ sagt Bulat. „Sie leben hier, gehen arbeiten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich verstehe nicht, warum das voneinander getrennt wird.“
Seit vergangenem Jahr engagiert er sich in der "Jungen Islam Konferenz" (IJK) – einem Projekt, das sich an junge Menschen zwischen 17 und 25 Jahren mit und ohne muslimischen Migrationshintergrund richtet. Die Idee: Junge Menschen diskutieren gemeinsam über die Rolle des Islam und der Muslime in Deutschland und entwickeln Vorschläge für das tägliche Zusammenleben. Dazu greifen sie die in der "Deutschen Islam Konferenz" (DIK) geführten Diskussionen und Entscheidungen auf und bringen ihre eigenen Ideen in die politische Integrationsdebatte ein. 2011 fand das Projekt der Mercator-Stiftung und der Humboldt-Universität zu Berlin erstmals statt.
- Serdar ist Deutscher
- "Man sollte den Menschen sehen - nicht seine Herkunft!"
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