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Er möchte mitreden: Serdar Bulat ist Mitglied der "Jungen Islam Konferenz". Dort setzt er sich für eine ehrlichere Integrationsdebatte ein.

© Isabelle Buckow

Jugendliche und die Integrationsdebatte: Serdar ist Deutscher

Die Mitglieder der "Jungen Islam Konferenz" wollen aktiv bei der Integrationsdebatte mitreden. Nicht über Religion wollen sie sprechen, sondern über Identität - denn viele junge Muslime sind deutscher, als sie zugeben mögen.

Serdar Bulat ist fünf Jahre alt, als er es zum ersten Mal hört - dieses Wort, das er von nun an nie mehr vergessen würde: Ausländer. Wie jeden Abend saß seine Mutter um 20 Uhr vor dem Fernseher, sie wollte die Tagesschau gucken. Eine Zeit, zu der Serdar für gewöhnlich schon im Bett liegen musste. An diesem Abend war er länger wach, wieso, weiß er heute nicht mehr. Er weiß nur: Das, was er dort im Fernsehen sah, hatte mit ihm zu tun und mit diesem Wort, Ausländer. 

Es war der 29. Mai 1993, der Tag, an dem Skinheads in Solingen einen Brandanschlag auf das Haus der Familie Grec verübte. Es war einer der schlimmsten rechtsextremen Anschläge in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vier junge Männer aus der rechtsradikalen Szene hatten das Fachwerkhaus in der Unteren Wernerstraße 81 nachts mit Benzin begossen und in Brand gesetzt. Zwei Frauen und drei Kinder starben. Sie kamen aus der Türkei - genau wie Serdar und seine Mutter. 

Serdar saß vor dem Fernseher. Szenen von weinenden Frauen flimmerten über den Bildschirm, Männer ballten ihre Hände zu Fäusten, sie brüllten ihre Wut und ihr Entsetzen in die Kameras. Immer wieder redete der Nachrichtensprecher von Fremdenhass. Und von Ausländern.

Der Bericht verwirrte Serdar. Er wusste nicht, was das ist, ein Ausländer. Er hatte den Begriff noch nie gehört. Er schaute zu seiner Mutter, sagte: „Mama, was ist das, ein Ausländer?“ Seine Mutter beugte sich zu ihm, kniete sich neben ihn auf den Boden, schaute ihm in die Augen. Sie sagte: „Serdar, schau mal, wir sind anders als die anderen. Wir sind Ausländer.“

Serdar Bulat vor der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Universität fördert das Projekt gemeinsam mit der Mercator-Stiftung.
Serdar Bulat vor der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Universität fördert das Projekt gemeinsam mit der Mercator-Stiftung.

© Isabelle Buckow

Heute, 19 Jahre später, sitzt Serdar Bulat in einem Café in Berlin-Mitte und redet über Muslime und Integration. Er schaut aus dem Fenster, Menschen gehen vorbei, Deutsche, Polen, Türken. „Muslime sind auch Deutsche,“ sagt Bulat. „Sie leben hier, gehen arbeiten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich verstehe nicht, warum das voneinander getrennt wird.“

Seit vergangenem Jahr engagiert er sich in der "Jungen Islam Konferenz" (IJK) – einem Projekt, das sich an junge Menschen zwischen 17 und 25 Jahren mit und ohne muslimischen Migrationshintergrund richtet. Die Idee: Junge Menschen diskutieren gemeinsam über die Rolle des Islam und der Muslime in Deutschland und entwickeln Vorschläge für das tägliche Zusammenleben. Dazu greifen sie die in der "Deutschen Islam Konferenz" (DIK) geführten Diskussionen und Entscheidungen auf und bringen ihre eigenen Ideen in die politische Integrationsdebatte ein. 2011 fand das Projekt der Mercator-Stiftung und der Humboldt-Universität zu Berlin erstmals statt.

"Man sollte den Menschen sehen - nicht seine Herkunft!"

In diesem Jahr geht es Serdar Bulat und seinen 26 Kollegen vor allem um die Chancen und Risiken des Internets. Auch die Verbreitung von salafistischen und islamistischen Bewegungen ist in diesem Zusammenhang ein Thema. Erst am vergangenen Wochenende hatten Salafisten in mehreren deutschen Städten Koran-Übersetzungen verschenkt und damit für Kontroversen gesorgt. Das Problem: „Durch solche radikalen Gruppierungen wird der Islam negativ behaftet“, sagt Bulat. „Das wirft die Integrationsdebatte zwei Schritte zurück.“

An zwei Wochenenden haben die Teilnehmer deshalb einen Empfehlungskatalog erarbeitet. Darin: Zehn Vorschläge, wie die Arbeit der DIK und damit die Integration von Muslimen verbessert werden könnte. Insgesamt bezieht sich der Katalog auf die vier Themen Schule, Medien, Akzeptanz der Islamkonferenz sowie die Kooperation zwischen der DIK und den Mitgliedern der JIK.

Am Donnerstag will Serdar Bulat den Katalog im Rahmen der DIK Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) überreichen. Er hofft, dass sie mit ihren Empfehlungen etwas bewegen können – nicht nur innerhalb der DIK, sondern auch in der Öffentlichkeit. „Die DIK muss bekannter werden, vor allem unter Jugendlichen“, sagt Bulat. Er fordert vom Innenminister, Integration nicht nur an den Instrumenten Bildung, Arbeit und Sprache zu messen. „Der Identitätsaspekt ist genauso wichtig“, sagt er. „Viele Muslime sind deutscher, als sie es zugeben würden.“

Bulat sieht die "Junge Islam Konferenz" als Gegengewicht zu dem schubladenartigen Denken, das teilweise noch immer die Integrationsdebatte bestimmt. Geht es nach ihm, ist der Begriff ‚Integration’ völlig falsch besetzt. Viele würden die Islamkonferenz als Integrationskonferenz verstehen. Bulat ärgert sich: Lange Zeit sei über Religion gar nicht mehr geredet worden. „Doch jetzt gibt es plötzlich diese Debatte, dass sich die islamische Minderheit integrieren muss“, kritisiert er. „Und Friedrich ist der befangene Moderator.“

Er selbst habe sich nie als „Ausländer“ gesehen, erzählt Bulat. Er fühlt sich als Deutscher, seine Heimat ist Berlin. Hier wurde er geboren, hier wuchs er auf, hier leben seine Freunde. Seine Mutter kümmerte sich allein um seine Erziehung, sein Vater starb, als Bulat drei Jahre alt war. Bulat wuchs zweisprachig auf, das war seiner Mutter wichtig. Zuhause redete sie mit ihm türkisch. Wenn sie bei der Arbeit war, spielte er in der Laufkrippe und in der Kita mit deutschen Kindern.

Ausgegrenzt oder beschimpft wurde er nie, sagt Bulat. Auch nicht auf dem Gymnasium oder später während des Studiums. Die Bilder vom Brandanschlag in Solingen kann er trotzdem nicht vergessen. Er sieht sie noch immer vor sich: die Rauchschwaden des brennenden Hauses, die weinenden Menschen. Er will etwas bewegen, dazu beitragen, dass bestehende Vorurteile abgebaut werden – auch, damit die Integration von Muslimen langfristig gelingen kann. „Man sollte den Menschen sehen“, sagt er. „Nicht seine Herkunft.“

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