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Politik: Jugoslawien: "Ich bin stolz, dass ich der erste Rückkehrer bin"

Am steilen Berghang zwischen den wuchernden Büschen spachtelt der alte Sacir Halilovic Putz auf sein neues Haus. Der 86 Jahre alte Bauer beginnt wieder ganz von vorne.

Am steilen Berghang zwischen den wuchernden Büschen spachtelt der alte Sacir Halilovic Putz auf sein neues Haus. Der 86 Jahre alte Bauer beginnt wieder ganz von vorne. Er ist der erste Moslem, der es wagte, nach Srebrenica zurückzukehren. Und er war vor genau fünf Jahren der letzte, der den Ort des größten Massakers in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg lebendig verließ.

Der starrsinnige Alte hatte den bosnisch-serbischen Truppen am längsten getrotzt. "Wenn Du nicht gehst, bringen wir Dich um", drohte schließlich ein Soldat des gefürchteten Serben-Generals Ratko Mladic. Am 14. Juli 1995 gab Halilovic schließlich auf. Drei Tage zuvor hatten Mladics Truppen unter den Augen der niederländischen UN-Blauhelmsoldaten die so genannte Sicherheitszone eingenommen.

Halilovics Frau Mevlida (80) wurde damals mit den anderen Frauen und Kindern im Dorf Potocari, nördlich der Bergarbeiterstadt, zusammengetrieben. Dort sahen die UN-Soldaten hilflos zu, wie die bosnisch-serbischen Soldaten alte und junge Männer folterten und ermordeten. In Bussen karrten sie Frauen und Kinder Richtung Tuzla. Einige Männer flüchteten in die Wälder.

Mehr als 7000 Männer aus dem "Ort des Silbers" gelten seitdem als vermisst. In Kühlbunkern der Stadt Tuzla liegen Skelette von 4000 Menschen, die aus Massengräbern der Region ausgegraben wurden. Bisher sind nur 76 Opfer identifiziert.

Die UN haben inzwischen ihr Versagen eingestanden. "Mit großem Bedauern und Trauer haben wir unsere eigenen Aktionen und Entscheidungen des Angriffs auf Srebrenica überprüft", heißt es in einem Bericht von UN-Generalsekretär Kofi Annan. "Irrtümer, Fehlurteile und die Unfähigkeit, das Ausmaß des Unheils zu beurteilen", seien verantwortlich dafür, dass die UN nicht ihre Pflicht erfüllt hätten, die Menschen in Srebrenica vor dem Massenmord durch die bosnisch-serbischen Truppen zu schützen.

Halilovic ist einer der wenigen Männer, die dem Morden entkamen. Und selbst vor der Rückkehr fürchtete er sich nicht. "Ich bin stolz, dass ich der Erste bin", grinst Halilovic. Er legt die Kelle zur Seite und begrüßt seine Nachbarin, eine Serbin. Sie sind alte Freunde. "Ich bin sehr glücklich, dass sie zurückgekommen sind", sagt Stana Andric (60). "Er ist ein guter Mann, und unsere Kinder haben sich sehr gut verstanden." Halilovics Sohn liegt jetzt auf dem kleinen Familien-Friedhof hinter dem Haus begraben.

Seit Ankunft der beiden Alten bringen alte serbische Freunde Essen vorbei, berichten die Halilovics. Doch mit den "neuen Serben", die nach dem Fall Srebrenicas und nach dem Dayton-Abkommen 1995 angesiedelt wurden, haben sie keinen Kontakt. Desimir Lakic ist einer von ihnen. "Ich kenne Karadzic nicht. Ich habe ihn nie gesehen", wehrt sich der Rentner, der nicht über Politik und den bosnischen "Serbenführer" aus Kriegszeiten sprechen will. "Ich bin erst 1997 hierher gezogen. Was 1995 hier passiert ist, weiß ich nicht." Berichte über die Massaker hält er für moslemische Propaganda.

Doch auch Lakic will zurück - nach Sarajevo. "Ich fühle mich hier um hundert Jahre zurückversetzt", klagt er. Vor seinem Haus stapelt sich grob gehacktes Brennholz. Fließendes Wasser gibt es nur manchmal. Srebrenica gleicht auch heute noch einer Geisterstadt. Verkohlte Ruinen. Zerborstene Scheiben. Nur die orthodoxe Kirche und das Rathaus stechen mit frischer Farbe hervor. Die Moscheen sind zerstört.

Im Rathaus liegt der Grund für den trostlosen Zustand der Stadt. Die serbischen Stadträte hatten bisher die Rückkehr von ehemaligen Bewohnern blockiert. "Ohne Rückkehrer keine Aufbauhilfe", erklärt die Sprecherin des internationalen Bosnien-Beauftragten Wolfgang Petritsch die bisherige Politik. Die Halilovics haben den Anfang gemacht. In Srebrenica werden die ersten Häuser renoviert. Den Serben Lakic kann das nicht umstimmen. Er wartet auf den Möbelwagen. Dafür muss nun eine muslimische Familie in Sarajevo aus seiner Wohnung weichen. "Wenn das nächste Mal jemand versucht, ethnisch reine Gebiete zu schaffen, werde ich mein Haus auf keinen Fall verlassen."

Carsten Wieland

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