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Soll EU-Währungskommissar werden: Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici.

© dpa

Junckers EU-Kommission: Warten auf den weißen Rauch

Der künftige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker lässt sich mit der Bekanntgabe der Ressorts in der Brüsseler Behörde Zeit. Der Grund: Der Luxemburger will keinen der Beteiligten im EU-Betrieb düpieren. Und die geplante Berufung von Pierre Moscovici zum Währungskommissar stößt bei den Konservativen im EU-Parlament auf Skepsis.

Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass Wolfgang Schäuble bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin vor einer Woche den Franzosen Pierre Moscovici als „meinen früheren Kollegen und Freund“ bezeichnete. Zu diesem Zeitpunkt war bereits tagelang darüber spekuliert worden, die Bundesregierung wolle eine Berufung von Moscovici zum Währungskommissar in der neuen EU-Kommission verhindern. Wollte der Bundesfinanzminister also bei seinem öffentlichen Auftritt die Wogen glätten – in dem Wissen, dass sich Deutschland und Frankreich in dem Streit um die Brüsseler Personalie demnächst wieder zusammenraufen müssen?
Denn schließlich ist man in Paris fest davon überzeugt, dass die Berufung Moscovicis auf den einflussreichen Posten des EU-Währungskommissars mehr oder weniger beschlossene Sache ist. Allerdings scheint der Franzose die letzte Hürde im Rennen um den Posten noch nicht genommen zu haben: Die Konservativen im Europaparlament haben Bedenken gegen die Absicht des künftigen EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker, ausgerechnet einen französischen Sozialisten mit der Aufgabe des Währungshüters zu betrauen.
Es wird also wohl noch ein paar Tage dauern, bis in Brüssel weißer Rauch aufsteigt und Juncker Klarheit schafft bei der Vergabe der Spitzenposten. Für zahlreiche Interessenvertreter ist die bevorstehende Ämterverteilung von großer Bedeutung – geht es doch schließlich unter anderem darum, wer künftig in der Brüsseler Behörde der oberste Ansprechpartner für das geplante Freihandelsabkommen TTIP, für Beihilfeverfahren, die Energie- und Umweltpolitik oder die Digitale Agenda ist.

Portfolios sollen nicht vor Mittwoch bekannt gegeben werden

Die Ressortverteilung in der neuen Kommission werde nicht vor Mittwoch bekannt gegeben, erklärte Junckers Sprecherin Natasha Bertaud am Montag. Seit Freitag steht immerhin die Liste mit den Namen der insgesamt 28 künftigen Kommissarinnen und Kommissare fest. Der Deutsche Günther Oettinger, der bislang das Energieressort verantwortet, ist ebenso wieder mit dabei wie sechs weitere Männer und Frauen aus der scheidenden Kommission des Portugiesen José Manuel Barroso. Oettinger gehört zu den insgesamt 14 Kommissaren aus dem Lager der konservativen Europäischen Volkspartei in der neuen Juncker-Kommission. Zum Vergleich: Die Liberalen stellen fünf Kommissare, die Sozialisten und Sozialdemokraten acht. Einer von ihnen ist Pierre Moscovici, der seit 30 Jahren Mitglied des französischen Parti Socialiste ist.

Telefon-Marathon im neunten Stock des Charlemagne-Gebäudes

Dass sich die Bekanntgabe der Postenverteilung in der neuen Kommission so lange hinzieht, hat auch mit Junckers Arbeitsstil zu tun. Im Prinzip hat der Luxemburger bei der Vergabe der Ressorts freie Hand, seit die EU-Mitgliedstaaten am vergangenen Freitag seine Kommissarsliste einstimmig abgenickt haben. Aber trotzdem möchte er sich nach allen Seiten absichern – und verhindern, dass sich irgendwo lauter Protest erhebt, wenn er in dieser Woche die Ressortverteilung bekannt gibt. Juncker, der vorübergehend im neunten Stock des Charlemagne-Gebäudes im Brüsseler Europaviertel sein Quartier bezogen hat, nutzte das vergangene Wochenende für zahlreiche Telefonate. Dabei sondierte er unter anderem mit dem österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn und dessen slowakischem Kollegen Maros Sefcovic die Möglichkeiten für deren künftigen Portfolios. Die Belgierin Marianne Thyssen kam direkt im Charlemagne-Gebäude vorbei. Am Montag setzte der Luxemburger den Gesprächs-Marathon fort. Wie es aus EU-Kreisen hieß, haben die Konservativen im EU-Parlament noch Erklärungsbedarf bei der Personalie Moscovici.
Die geplante Berufung des ehemaligen französischen Finanzministers auf den Posten des Währungshüters gilt als heikel, weil gerade Frankreich große Probleme beim Schuldenabbau hat. Die Vorgabe aus Brüssel, bis 2015 die Neuverschuldung unter die Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken, dürfte die Regierung von Präsident François Hollande kaum einhalten.
Nun lautet die Befürchtung in der Bundesregierung und im Europaparlament, dass der Schuldenabbau in Frankreich mit einem Währungskommissar Moscovici vollends aus dem Ruder geraten könnte. Moscovici selbst kennt derartige Bedenken. Am Wochenende erklärte er deshalb in einem Interview: „Frankreich wird nach meiner Kenntnis die Regeln einhalten.“ Allerdings wies er auch auf die Spielräume hin, die der Euro-Stabilitätspakt beim Defizitabbau lässt. Die Drei-Prozent-Zahl sei keine strikte Vorgabe, sagte der Ex-Finanzminister. Vielmehr müsse man bei der Bewertung des Schuldenabbaus auch das um Einmal- und Konjunktureffekte bereinigte sogenannte Strukturdefizit im Auge behalten.

Juncker steht bei den Sozialdemokraten im Wort

Wenn Juncker tatsächlich den Sozialisten Moscovici zum Währungskommissar befördert, würde der Luxemburger damit ein Versprechen aus dem vergangenen Sommer einlösen. Vor seiner Wahl durch die Europaabgeordneten im Juli sagte Juncker vor der Fraktion der Sozialdemokraten zu, dass der nächste Währungskommissar ein Sozialdemokrat sein werde. Aus der Sicht Junckers hätte dieser Schachzug den Effekt, dass sich Europas Sozialdemokraten künftig auch zur Sparpolitik bekennen müssten und den Konservativen beim umstrittenen Defizitabbau den Schwarzen Peter nicht mehr zuschieben könnten. Bei den Sozialisten in Europa frohlocken indes schon manche, die geplante Berufung Moscovicis läute nun auch eine Wende beim Sparkurs in der Euro-Zone ein. Die Machtfülle, die das Amt des Währungskommissars in Brüssel mit sich bringt, würde derweil kaum durch die von Juncker geplante Struktur des neuen Kommissionsgremiums beeinträchtigt. Der künftige EU-Kommissionschef hat vor, vorrangig weibliche Kommissionsmitglieder und ehemalige Ministerpräsidenten – beispielsweise den Esten Andrus Ansip – gewissermaßen wie Teamleiter mit der Koordinierung bestimmter Politikfelder zu betrauen. Diese Vize-Kommissionschefs, von denen auch einer für die Haushalts- und Wirtschaftspolitik in den Mitgliedstaaten zuständig sein soll, sollen nicht über mehr Macht verfügen als die „normalen“ Kommissare, heißt es in EU-Kreisen. Und welches Ressort erhält Oettinger? Fest stand am Montag lediglich, dass er ein Portfolio mit Wirtschaftsbezug bekommen wird. Mit einer Einschränkung, wie in Brüssel augenzwinkernd hinzugefügt wird: Die Landwirtschaft gehört nicht zu den Ressorts, für die der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident im Gespräch ist.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 09. September 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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