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Langer Marsch: Auch in dieser Woche gingen wieder tausende junge Migranten und US-Bürgerinnen und -Bürger gegen die Abschiebung der sogenannten Dreamers auf die Straße - hier in Los Angeles am Montag.

© David McNewAFP

Junge Migranten in den USA: "Trumps Aufstieg ist eng verbunden mit der Angst vor Vielfalt"

US-Präsident Trump hat den Abschiebeschutz für junge Migranten gestoppt. Der Einwanderungsexperte Frank Sharry erklärt, warum die Entscheidung zum Bumerang für ihn werden könnte.

Vor fünf Jahren garantierte Präsident Obama mit einem Programm unter dem Namen "Deferred action for Childhood Arrivals" (DACA) Abschiebeschutz für junge Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus, die als Kinder in die USA gekommen sind. Was war aus Ihrer Sicht der Grund, das Programm zu beenden?

Präsident Trump stand unter Druck stark migrationsfeindlicher Populisten, sein Wahlkampfversprechen zu erfüllen und das DACA-Programm zu beenden. Weil er wohl das Gefühl hatte, das könnte zu weit gehen, zögerte er monatelang. Sein eigener Justizminister Sessions hat ihn, zusammen mit dem Justizminister von Texas, dann dazu gezwungen, weil er die Gefahr einer Gerichtsentscheidung an die Wand malte. Sessions und der Berater des Weißen Hauses, Stephen Miller, bekamen, was sie wollten und Trump entschied sich dafür, lieber DACA zu beenden, als das Programm vor Gericht zu verteidigen. Immerhin hatte er Präsident Obama im Wahlkampf dafür kritisiert, was er und die meisten Republikaner eine Überdehnung der Verfassung nannten. Wir können aber nicht über Trump und Einwanderung reden, ohne über Rassenfragen zu sprechen. Trumps Aufstieg ist eng damit verbunden, dass er der weißen Angst vor der zunehmenden Vielfalt der amerikanischen Bevölkerung eine Stimme gab. Feindschaft gegen Einwanderer und Flüchtlinge war für seinen politischen Aufstieg zentral. Die weißen Nationalisten, die Trump um sich sammelt und verteidigt, haben ein klares Ziel: Die ethnische Zusammensetzung Amerikas zurückzudrehen, indem Muslime draußen gehalten werden, die Zahl der Flüchtlinge aus Nahost reduziert, Latinos abgeschoben und legale Einwanderungsmöglichkeiten drastisch beschränkt werden.

Frank Sharry ist Gründer der Nichtregierungsorganisation "America's Voice", die sich für Migrantenrechte einsetzt. Er ist eine der einflussreichsten außerparlamentarischen Stimmen der US-Einwanderungspolitik.
Frank Sharry ist Gründer der Nichtregierungsorganisation "America's Voice", die sich für Migrantenrechte einsetzt. Er ist eine der einflussreichsten außerparlamentarischen Stimmen der US-Einwanderungspolitik.

© Ameriica's Voice

Die Ankündigung des Endes von DACA hat er aber seinem Justizminister überlassen.  

Trumps Unbehagen war offensichtlich: Die "Dreamers" (Träumer), wie Sie nach dem Dream-Gesetzentwurf heißen, der ihren Status legalisieren soll, sind die Sympathieträger unter den Einwanderern ohne Papiere in den USA. Die meisten sind Latinos und kamen üblicherweise im Alter von 6 Jahren an, sind also jetzt um die 26 Jahre alt. Sie haben nichts verbrochen und Amerika ist das einzige Land, das sie kennen. Wir vermuten, dass Trump denen, die aktuell durch DACA geschützt sind,  deshalb sechs Monate Gnadenfrist einräumte und dass er deshalb lieber seinen Justizminister vorschickte, um die Entscheidung zu verkünden, als dies selbst zu tun. Kein Zweifel, dass Sessions und Miller ihm sagten, das sei unter seinen Anhängern unglaublich populär  und der Gegenwind werde höchstens einen Tag lang für Nachrichten reichen. Sie lagen falsch. Es passierte genau das Gegenteil.

Sind die "Dreamers" wirklich in Gefahr durch Abschiebungen und Polizeirazzien?

Ja. Trump hat Einwanderungsmaßnahmen aufgefahren, wie wir sie seit Jahrzehnten in den USA nicht erlebt haben. Elf Millionen Menschen ohne Papiere leben im Land, die meisten seit mehr als zehn Jahren. Nur wenige begehen schwere Verbrechen; ihre Kriminalitätsrate beträgt ein Drittel der von im Land geborenen Amerikaner. Geschätzte 35 Prozent sind Haus- und Wohnungseigentümer. Die meisten ihrer Kinder verwirklichen dem amerikanischen Traum, studieren und machen Karriere. Sie sind durch und durch amerikanisch, nur nicht auf dem Papier. Bisher war die Haltung, dass Gesetzesbrecher abgeschoben werden müssten, aber alle übrigen lebten in der Erwartung, dass der Kongress ihnen irgendwann einen gesetzlichen Weg zum Daueraufenthalt ebnen würde – für diese humane und pragmatische Lösung ist eine große Mehrheit der Amerikaner. Leider verhinderten die Gräben innerhalb der Republikanischen Partei und der harte Widerstand konservativer Populisten ein Jahrzehnt lang, dass die Einwanderungsgesetze reformiert wurden. Am Ende wurde der Kandidat Präsident, der zum Auftakt seiner Kampagne Mexikaner als Mörder und Vergewaltiger bezeichnete.

Was passiert tatsächlich?

Seit damals sind, um es mit den Worten des früheren Präsidentensprechers Sean Spicer zu sagen, die für Abschiebung zuständigen Beamten "befreit". Unter dem Vorwand, vorrangig “bösen hombres” nachzuspüren, nehmen sie jeden Migranten ohne Papiere fest, auf den sie treffen. Dies scheint Teil einer Strategie zu sein, für die rechte Gruppen lange getrommelt haben. Sie nennen sie "attrition through enforcement", "Zermürbung durch Vollzug": Mitt Romney sprach von "Selbst-Abschiebung". Man weiß, dass es unmöglich ist, elf Millionen Menschen auszuspüren und abzuschieben Also schüchtert man sie mit der Angst ein, sie könnten die nächsten sein. So könnte die Abschiebung von Hunderttausenden Papierlosen in der Selbstabschiebung von weiteren Millionen enden. Das macht das Ende von DACA so schrecklich für die “Dreamers”. Die jungen Leute werden nicht nur ihre Arbeitserlaubnis verlieren, ihre Stellen und Studienplätze, ihre Zukunft. Sie sind der aggressiven und willkürlichen Festnahme- und Abschiebestrategie der Regierung Trump ausgesetzt. Ein Dreamer sagte es unter Tränen kürzlich in einem Interview: "Ich werde in ein Land zurückgechickt, in dem ich nie war, und alle meine Chancen verlieren."

Sie sagten, es sei genau das Gegenteil dessen passiert, was Trump und seine radikalen Berater erwarteten. Ist das Ende von DACA wirklich ein Risiko für ihn? 

In einer Umfragen unter fast 2000 Wählern haben kürzlich nicht nur 76 Prozent sich für dafür ausgesprochen, den Dreamers das Daueraufenthaltsrecht zu geben. Darunter waren auch 67 Prozent der Trump-Wähler, von denen nur 24 Prozent für Abschiebung sind. Trump hat weiße Rassisten, Neonazis und völkische Gruppen begeistert, aber die meisten Amerikaner entsetzt der Gedanke, dass die Chancen unschuldiger junger Einwanderer  zerstört und sie abgeschoben werden. Deshalb hat er seine Wortwahl so abrupt geändert. Nachdem er einen Tag lang die Nachrichtensender gesehen hat – so bekommt er offensichtlich seine Informationen – begriff er, dass der Gegenwind  stark ist und noch zunimmt. Die Dreamers berichten in Interviews über ihre zerstörten Hoffnungen und berechtigten Ängste, Geschäftsleute sind plötzlich in Opposition, viele konservative Republikaner kritisierten Trump für diese grausame Entscheidung, und ihnen folgten Gouverneure, Bürgermeister, Prominente, Lehrer, Vorstände von Religionsverbänden und Kommentatoren quer durchs politische Spektrum. Kein Wunder also, dass er so rasch die Richtung wechselte und sich selbst an die Spitze einer Bewegung für eine gesetzliche Lösung stellte – die dann die Krise auflösen soll, die er selbst ausgelöst hat.

Rechnen Sie mit einer Mobilisierung über den Kreis von einigen Prominenten hinaus?

Die ist bereits zu sehen. Überall in den USA herrscht echte moralische Empörung. Microsoft zum Beispiel, wohl kaum eine Aktivisten-Vereinigung, droht damit, Trumps Entscheidung zu boykottieren und die Regierung in Washington zu behindern, falls deren Abschiebebeamte im Unternehmen Jagd auf die Dutzende Dreamers machen sollten, die dort arbeiten. Wollen Sie ein sicheres Zeichen dieses breiten gesellschaftlichen Widerstands? Jeder Comedian einer Late Night Show macht sich inzwischen über den Präsidenten lustig und verteidigt die Dreamers. Ich setze mich seit mehr als 30 Jahren für Migranten ein, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Es gibt 800 000 Dreamers, die in akzentfreiem Englisch ihre Geschichten in jedem Medium im Land erzählen können – da muss die Unterstützung für eine Lösung einfach wachsen. Wir müssen der Empörung weiter eine Stimme geben, damit der Kongress seine Aufgabe erkennt und die Dreamers schützt.

Wie soll ein seit langem tief gespaltener Kongress das schaffen?  

Die Öffentlichkeit will, dass etwas geschieht, Wähler aller politischen Farben wollen dies und sogar Trump sagt das inzwischen. Das ist aber keine Garantie, dass unser nicht funktionierender Kongress auch wirklich etwas beschließt, etwa das "Dream"-Gesetz, das die Dreamers auf die Spur zum Daueraufenthalt und möglicherweise die Einbürgerung setzen würde. Der US-Kongress hat gerade große Schwierigkeiten damit, die Regierungsarbeit weiter zu ermöglichen und die nationalen Schulden zu bedienen. Und weil Republikaner die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus haben, werden die Brüche in der Partei die Sache weiter komplizieren. Die Demokraten aber haben die Dreamers zu einem Spitzenthema gemacht und sie haben erhebliche Druckmittel, wenn es am Jahresende um den Haushalt geht. Das gibt uns Hoffnung, dass sogar der Kongress etwas zustande bekommen wird.

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