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Junge Politiker: Sie kandidieren wieder, trotz allem

Fünf junge Abgeordnete wollen wieder in den Bundestag – trotz Burn-out und Ellenbogenstößen. Hier berichten sie von ihren Erfahrungen und Enttäuschungen.

Politiker genießen kein hohes Ansehen. In den Popularitäts-Umfragen rangieren sie ziemlich weit unten, irgendwo zwischen Journalisten und Börsenmaklern. Man sagt ihnen nach, dass sie unehrlich sind, karrieristisch, faul, vor allem ihrer Partei verpflichtet, nicht aber den Bürgern, die sie gewählt haben.

Tatsächlich haben viele Berufspolitiker einen Knochenjob, 14-Stunden-Tage und Sieben-Tage-Wochen. Die Abgeordneten im

Bundestag pendeln zwischen zwei Büros und zwei Lebenswelten. Unter der Woche sitzen sie im Parlament und in Ausschüssen. Am Wochenende oder am Abend besuchen sie Parteiveranstaltungen und Schützenfeste.

Wir haben fünf junge Politiker aus allen Parteien nach ihren Erfahrungen in ihrer ersten Legislaturperiode befragt. Für alle war es stressiger als erwartet. Alle üben Kritik am Parlamentarismus in seiner derzeitigen Ausprägung. Aber alle wollen wiederkommen.

Jens Ackermann – FDP

Unter den Linden 50. Der Name klingt erhaben, tatsächlich aber wünscht sich kein Abgeordneter, hier untergebracht zu werden. Die beliebten Abgeordneten-Häuser sind das Jakob-Kaiser- oder das Elisabeth-Lüders-Haus, nah dran am Bundestag und den Fraktionschefs. Hierher, in den schicken schwarzen Flachbau Unter den Linden 50, werden die Altkanzler und Jungpolitiker abgeschoben. Wenige Meter von Gerhard Schröder entfernt liegt das Büro von Jens Ackermann von der FDP.

Ackermann kommt aus Sachsen-Anhalt, vor Kurzem ist er 34 Jahre alt geworden. Er ist ein bedächtiger, höflicher Gesprächspartner, kein schneidiger Angeber, wie es sie bei den Jungliberalen einige gibt. Ackermann selbst war nie bei den JuLis, der FDP-Nachwuchsorganisation. An der Magdeburger Börde sind die so gut wie gar nicht vertreten. Auch der FDP ist er erst 2005 beigetreten, kurz vor seinem Einzug in den Bundestag, vorher hatte er sich als Parteiloser in der Kommunalpolitik engagiert. Damals im Wahlkampf 2005 musste er erst mal recherchieren, was überhaupt im FDP-Programm drinsteht. Inzwischen habe er das drauf, sagt er.

Offen spricht Ackermann darüber, wie ihn die Arbeit als Berufspolitiker anfangs belastete. Er selbst hatte gar nicht damit gerechnet, wirklich in den Bundestag einzuziehen, erst das überraschend gute Wahlergebnis der FDP 2005 machte es möglich.

Und dann stand er da, der ausgebildete Diplom-Medizinpädagoge: im Berliner Regierungsviertel, ohne Ahnung vom politischen Betrieb, ohne Vertraute in der Fraktion. "Andere Kollegen hatten Vorsprung", sagt er. Die schmiedeten schon Karriere-Netzwerke, während er sich um "ganz profane Dinge" kümmern musste. Etwa: wie man sein Büro richtig einrichtet, wie man gute, loyale Mitarbeiter findet.

Außerdem hatte er Schwierigkeiten, das "richtige Arbeitspensum" zu finden, wie er sagt. Es gebe in Berlin "unwahrscheinlich viele Termine". Man müsse lernen, Dinge zu delegieren und abzugeben. Das hat er am Anfang unterschätzt. Ackermann wollte alles richtig machen, sich nicht vor der Arbeit drücken – und übernahm sich. Er war zeitweilig Mitglied in fünf Arbeitskreisen seiner Fraktion gleichzeitig. Wie ein ambitionierter Erstsemester, der zu viele Seminare belegt, hetzte Ackermann von einem Termin zum anderen – ohne irgendwo richtig zu glänzen.

Hinzu kam, dass ihn seine Parteikollegen schnell spüren ließen, dass er in der Fraktionshierarchie ganz unten angesiedelt ist. Gerne wäre er in den Gesundheitsausschuss gegangen. Aber die beliebten, prestigeträchtigeren Ausschüsse waren von "den Promis" besetzt, wie Ackermann sie leicht spöttisch nennt. Er ist stattdessen in den Ausschüssen Tourismus und Petitionen gelandet. Das sei "eine gute Lehre", sagt er und muss dabei selbst ein bisschen lachen. Er weiß, dass das die parlamentarische Resterampe ist, die Ausschüsse für Neulinge und Unambitionierte.

Das Regierungsviertel nennt er "Raumschiff Berlin". Die Kuppel erinnere ihn manchmal an die Enterprise. Er freut sich nun darauf, das Raumschiff für ein paar Monate zu verlassen: zum Wahlkampf in Sachsen-Anhalt. Allerdings sind dort wieder ganz andere Fähigkeiten gefragt als im Bundestag: Die Leute am Stand interessiert die Details aus dem Ausschuss nicht. Auch die Lokalpresse fragt nicht danach. In der Heimat muss man wieder auskunftsfähig sein für das ganze politische Spektrum.

Urlaub ist dies Jahr für Ackermann nicht drin, obwohl das ihm, seiner Frau und dem 15 Monate alten Sohn sicher gut tun würde. Ackermann seufzt. Dennoch will er in der nächsten Legislaturperiode zurück nach Berlin. Er will Politiker bleiben.

Was er gern verbessern würde am politischen System? Ackermann überlegt. Dann sagt er: Man sollte mehr Entscheidungen dem Parlament überlassen. Er ahnt nicht, dass Sevim Dagdelen auf diese Frage fast wortgleich antwortet. Dagdelen gehört der Partei an, zu der Ackermann als einziger keinen Kontakt pflegt: der Linkspartei.

Sevim Dagdelen, Linkspartei

Sevim Dagdelen hat ins Bundestagsrestaurant geladen. Ein schickes Ambiente: Tischdecke, Servietten, Kellner – alles strahlt in Bügelweiß. Dagdelen trägt dazu die Kontrastfarbe mit ihrem schwarzen Blazer. Ihre braunen Augen kneift sie bei jeder Formulierung, die ihr nicht gefällt ("Karriere", "Netzwerke"), streng zusammen.

Was sie dagegen mag, sind kluge Weisheiten und Philosophen. In fast jedem zweiten Satz betont die 33-jährige Jura-Studentin, deren Eltern aus der Türkei nach Duisburg kamen, ihre Belesenheit. Sie zitiert Brecht, Hegel und mehrfach die Bibel. Ob sie gläubig ist? "Nein", sagt Dagdelen. Glaube fange da an, "wo die Vernunft aufhört".

Jedenfalls hat sie mit Herrn Ackermann von der FDP durchaus Gemeinsamkeiten. Auch Dagdelen bedauert, dass die Parlamentarier in ihren Möglichkeiten beschränkt sind. Fast alle Initiativen gingen von der Bundesregierung aus. Auch sie kennt die Gefahr, dass man sich in Ausschüssen, im Klein-Klein verliert. Auch sie nennt den Bundestag einmal "Raumschiff", das man ab und zu verlassen müsse, um neue Ideen zu bekommen.

Aber natürlich ist Dagdelen, die zum linken Flügel der Linken gehört, wesentlich radikaler in ihren Ansichten als der bedächtige Ackermann. Die derzeitige Form der parlamentarischen Demokratie habe sich im 21. Jahrhundert "völlig überholt", sagt sie. Die Bevölkerung müsse stärker direkt beteiligt werden. Politik finde auch auf der Straße statt, in den Gewerkschaften und Betriebsräten. Sie dachte lange Zeit, dass die außerparlamentarische Opposition für sie selbst das geeignetere Tätigkeitsfeld sei. "Es ist wichtiger die Bevölkerung zu erreichen als die Kollegen in den Ausschüssen."

Über die Politiker der anderen Parteien fällt Dagdelen ein scharfes Urteil. Sie sagt, dass sie politische Karrieristen "verachtet". Während sie die Linke als "frisch und anziehend" bezeichnet, seien die anderen Parteien "verkrustet".

Ob sie nicht auch den Kontakt zu anderen Parteien suche? Schließlich gehören Koalitionen zur Demokratie dazu. Dagdelen kneift die Augen zusammen. Sie sei nicht hier, "um lustvoll Freundschaften zu schließen". Kein Wähler schicke sie dafür in den Bundestag, sagt sie. "Wer dem Afghanistan-Krieg zustimmt, mit dem fällt es mir schwer, ein Bier zu trinken."

Dagdelen kandidiert wieder, auch wenn sie "nicht bis zum Lebensabend" Politikerin sein will. Auf der anderen Seite: Politisch sei sie schon immer – und werde sie immer sein, sagt sie. Sie habe "keine zwei Seelen", zwischen denen sie hin- und herwechsele. Nur ganz selten sei sie keine Politikerin, etwa "beim Wandern".

Beim Verlassen des Restaurants geschieht dann allerdings etwas Unerwartetes. Dagdelen hält nicht alle Ansprüche ein, die sie im Gespräch vorher noch an revolutionär gesinnte Berufspolitiker formuliert hatte: Beim Herausgehen grüßt Dagdelen recht herzlich und charmant einen älteren Herren. Wer das war? Ein CSU-Staatssekretär, den sie inzwischen ganz gut kenne, sagt sie.

Peter Friedrich, SPD

Er ist vermutlich das, was Frau Dagdelen einen "Karrieristen" nennen würde. Schon als Schüler trat Peter Friedrich der SPD bei. Zwei Jahre später stieg er zum stellvertretenden Juso-Chef in Baden-Württemberg auf. Heute ist der 37-Jährige, um nur ein paar Ämter zu nennen, Kreisvorsitzender, Mitglied des Landespräsidiums und kommissarischer Generalsekretär im Ländle. Außerdem besucht er die Führungsakademie der SPD.

Friedrich wartet vor dem Reichstag. Er lacht viel und wirkt fröhlicher als Dagdelen. Er sagt, er sei "mit wenig Ehrfurcht in dieses Haus" gekommen. Vor seiner ersten Büttenrede auf einer Fastnachtsveranstaltung sei er nervöser gewesen als vor seiner Jungfernrede im Parlament. Schließlich habe er vorher schon jahrelang Politik gemacht, was sich in der täglichen Arbeit bezahlt macht: Einige seiner Mitarbeiter kennt er seit Teenagertagen.

Friedrich kann sich durchaus vorstellen, "für immer" Politiker zu bleiben. Bereitwillig spricht er von der "Hackordnung" in seiner Partei, in die man sich als Neuling einordnen müsse. Er hat deshalb schon "strategische Überlegungen" angestellt, um welchen Ausschussplatz er sich bemühen will. Anders als Ackermann von der FDP ergatterte er sich einen Platz im Gesundheitsausschuss. Klar sei er ehrgeizig, sagt Friedrich, aber es käme nicht gut an, wenn man "drei Meter gegen den Wind nach Ambitionen riecht".

Nebenan in einem Garten läuft gerade die Abschiedsveranstaltung für Peter Struck, den Fraktionschef der SPD, der nicht wieder kandidiert. Man hört Reden und Musik. Friedrich hat keine Lust auf diese Veranstaltung. Er möge diese "melancholische Stimmung" jetzt zum Legislaturausklang nicht. Der SPD werde der Generationswechsel gut tun, sagt er.

Mit dem Austausch von Spitzenpersonal hat er Erfahrung. Friedrich ist der Nachfolger von Jörg Tauss als baden-württembergischer Generalsekretär, dem Mann also, der bei der Piratenpartei anheuerte, nachdem man bei ihm  kinderpornografisches Material gefunden hatte.*)

Friedrich bekam dadurch die Schattenseiten der Verantwortung zu spüren. Er war derjenige, der Tauss beibringen musste, dass man ihn als Kandidaten nicht mehr haben wolle. Außerdem machte er die "unschöne Erfahrung", dass er seither, wenn er seinen Namen googelt, bei vielen Einträgen auf das Wort "Kinderporno" stößt. Manche Bekannte hätten ihn schon gefragt: "Sag mal, was hast du mit diesem Schweinskram zu tun?"

Jetzt wirkt Friedrich gar nicht mehr so fröhlich wie noch zu Beginn des Gesprächs. Es gibt noch mehr Schattenseiten. Einmal angefangen, fallen ihm einige ein. Sehr häufig müsste er um fünf Uhr früh aufstehen und die Wochenenden durcharbeiten. Seine beiden kleinen Kinder sieht er kaum. Außerdem fremdelt er mit Berlin. Er fühle sich "hier wie auf Montage", sagt er, und dass er eigentlich "kein Großstadtmensch" sei. Das schönste Gebäude in Berlin sei der Flugsteig in Tegel, von dem er heim an den Bodensee fliegt. Einen privaten Freundeskreis hat er hier nicht aufgebaut. Was er denn abends mache? "Man kann sich auch mit Arbeit betäuben", antwortet er.

In seiner Kritik an der Regierung und am Parlamentarismus ähnelt Friedrich frappierend den beiden Oppositionspolitikern Dagdelen und Ackermann. Letztlich seien die Abgeordneten als "Abwickler der Bundesregierung" ohnmächtig. Bei solch eindeutigen Mehrheitsverhältnissen wie derzeit bräuchte man schon 60 Mitstreiter, um auf die Große Koalition einzuwirken. Dabei steige die Qualität der Debatte ungemein, wenn die Mehrheit vorher noch nicht feststeht. Aber so lange sich an den Mehrheitsverhältnissen nichts ändere, bleibe man gefangen – im "Raumschiff".

lesen Sie hier den zweiten Teil. Was denken die schwarz-grünen Nachwuchshoffnungen? Philipp Mißfelder und Gerhard Schick im Gespräch mit ZEIT ONLINE.

*) Diese Passage haben wir aufgrund eines Fehlers nachträglich geändert. Wir bitten um Entschuldigung.

Im oben veröffentlichten Text wurde die Behauptung verbreitet, dass auf dem Computer von Jörg Tauss, MdB, kinderpornographisches Material gefunden worden wäre.

Hierzu stellen wir fest:

Diese Nachricht ist nicht zutreffend. Richtig ist: Auf dem Computer von Herrn Tauss wurde zu keinem Zeitpunkt kinderpornographisches Material gefunden. Dafür wurde aber in der Berliner Wohnung des Herrn Tauss außerhalb von Computern und Rechnern kinderpornographisches Bildmaterial gefunden.

Die Redaktion

Quelle: ZEIT ONLINE 9.7.2009

Michael Schlieben

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