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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (59) ist seit 2009 Bundesjustizministerin. Das Amt hatte die FDP-Politikerin bereits von 1992 bis 1996 inne, bis sie wegen des „Großen Lauschangriffs“ zurücktrat. Die Bürgerrechte sind ihr politisches Hauptthema.

© Thilo Rückeis

Justizministerin: "Es gibt auch berechtigte Staatsgeheimnisse"

"Je weniger Daten man hortet, desto weniger Missbrauch gibt es", meint die Bundesjustizministerin. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht mit dem Tagesspiegel über Datenschutz, Wikileaks und den Terror in Deutschland.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, glaubt man den Wikileaks-Geheimdokumenten, hält die US-Regierung Sie für amerikafeindlich und wirft Ihnen übertriebenen Datenschutz vor. Ärgert Sie das oder macht Sie das stolz?

Ich fühle mich insofern richtig getroffen, als dass ich beim Datenschutz andere Positionen vertrete als die Amerikaner. Das gilt sowohl für die US-amerikanischen Sicherheitsgesetze als auch für den Umgang der Amerikaner mit ihren Daten.

Auch Ihr Kollege, Innenminister Thomas de Maizière, will dem Internet Freiheiten lassen. Das neue Datenschutzgesetz soll nur schwere Fälle von Persönlichkeitsverletzungen betreffen. Reicht das?

Das, was Thomas de Maizière vorgelegt hat, ist eine gute Grundlage für die weitere Diskussion. Er hat wichtige Schranken genannt, aber wir müssen noch über weitere Stellschrauben diskutieren.

Welche sind das?

Wir müssen zum Beispiel klar definieren, was personenbezogene beziehungsweise personenbeziehbare Daten sind.

Fallen Häuserfronten, die Google Street View abfotografiert hat, darunter?

Nein, für sich genommen nicht. Aber mit dem Namen der Bewohner, der Hausnummer und dem Kfz-Kennzeichen davor können schnell aus der fotografierten Häuserfassade Rückschlüsse auf einzelne Personen gezogen werden.

De Maizière will die Veröffentlichung von Persönlichkeitsprofilen im Internet verbieten, nicht aber die Erstellung der Profile. Ist das nicht ein wenig blauäugig?

Es ist richtig, die Veröffentlichung von Persönlichkeitsprofilen zu verbieten, aber ich habe Zweifel, ob das wirklich reicht. Wir sollten in Ruhe diskutieren, ob nicht bereits die Erstellung solcher Profile an enge Kriterien geknüpft werden muss. Was ich nicht veröffentlichen darf, darf ich dann vielleicht auch gar nicht herstellen. Je weniger Daten man hortet, desto weniger Missbrauch gibt es.

Die Wirtschaft bietet an, im Internet eine zentrale Widerspruchsstelle einzurichten. Was halten Sie davon?

Ich finde das positiv. Eine solche Stelle erspart dem Bürger viel Arbeit und erleichtert ihm, Widerspruch gegen die Nutzung seiner Daten einzulegen.

Bei Geodaten wie Google Street View will de Maizière der Wirtschaft das Feld überlassen und sich als Gesetzgeber heraushalten. Kann man der Wirtschaft trauen?

Bei Google Street View hat man ja gesehen, dass es geschäftsschädigend sein kann, den Datenschutz zu ignorieren. Kein Unternehmen will doch, dass nur noch darüber geredet wird, wie sich ein neues Geschäftsmodell verhindern lässt, statt die Chancen zu sehen. Ich finde es grundsätzlich gut, wenn die Unternehmen eine Selbstverpflichtung eingehen, aber die Frage ist, was losgelöst von dieser Selbstverpflichtung an Aufgaben für den Gesetzgeber bleibt. Wir müssen über eine generelle Verankerung von Einwilligungs- und Widerspruchsrechten im Datenschutzrecht reden. Wir brauchen eine Regelung für die Frage, wann Daten nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Bürger genutzt werden dürfen und wann ein Widerspruchsrecht reicht.

Sicherheitslücken gibt es auch in Ihrer Partei, Stichwort Wikileaks. Dabei müssten Sie den Dienst doch eigentlich gut finden, immerhin sorgt Wikileaks für Informationsfreiheit und Transparenz.

Ich sehe das ambivalent. Wikileaks tritt mit einem absoluten Transparenzanspruch an: Freiheit auf jede Information. Der wird aber schon dadurch diskreditiert, dass der Anbieter selbst sich nicht in die Karten schauen lässt. Außerdem muss man Persönlichkeitsrechte der Beteiligten schützen. Und es gibt auch berechtigte Staatsgeheimnisse.

Mit de Maizière ringen Sie gerade um die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit: bei der Vorratsdatenspeicherung. Sie wollen keine pauschale Speicherung, sondern Telefondaten sollen nur dann gespeichert werden, wenn es einen Anlass gibt. Was wäre ein solcher Anlass für Sie? Eine allgemeine Terrorwarnung, wie wir sie im Moment erleben?

Ich erarbeite derzeit Eckpunkte, zu Einzelheiten kann ich noch nichts sagen.

Sollte es jetzt doch noch zu einem Anschlag kommen, wird Ihre Position kaum zu verteidigen sein. Dann wird es heißen, warum wurde nicht schneller gehandelt?

Man muss die Entwicklung der letzten zehn Jahre sehen. Der 11. September 2001 war ein einschneidendes Datum und hat zu vielen Gesetzesveränderungen in Deutschland geführt. Diese Gesetze werden jetzt zum Teil, weil sie befristet sind, geprüft und bilanziert. Klar ist: Wir haben bereits ein engmaschiges Korsett von Gesetzen und Sicherheitsinstitutionen. Auch in einer Situation, in der wir eine Bedrohungslage haben, müssen wir unsere Entscheidungen sorgfältig abwägen. Wir Liberale sind die Stimme der rechtsstaatlichen Vernunft.

Beim Thema Terrorismusbekämpfung verteidigen Sie die Freiheitsrechte, bei der Sicherungsverwahrung sind Sie deutlich restriktiver. Ist Ihnen die Freiheit des Terroristen wichtiger als die des Sexualstraftäters?

Das ist abwegig. Ich setze mich in allen Bereichen der Rechtspolitik für eine angemessene Balance von Freiheit und Sicherheit ein. Aber: Einige Gesetze zur Terrorismusbekämpfung von Rot-Grün und Schwarz-Rot waren verfassungswidrig und mussten korrigiert werden. Bei der Sicherungsverwahrung haben wir seit zwölf Jahren eine unübersichtliche Riesenbaustelle. Unser Gesetz schafft eine komplette Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung, die den Schutz der Allgemeinheit und die Rechte jedes Einzelnen verantwortungsvoll wieder in Einklang bringt. Dieses Gesetz ist in meinen Augen der große Wurf in dieser Legislaturperiode. Die Sicherungsverwahrung wird nur noch auf einen engen Bereich von Sexual- und Gewaltverbrechern konzentriert, deren Freiheit trotz des Verbüßens einer Strafe genommen wird. Es geht nicht darum, jeden, der gefährlich erscheint, wegzusperren.

Das Interview führten Heike Jahberg und Christian Tretbar.

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