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Zypries

© Kai-Uwe Heinrich

Justizministerin Zypries: "Es ist schon tragisch"

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries spricht mit dem Tagesspiegel über den Rückzug Andrea Ypsilantis, den Rechtsstaat USA und den Streit um Spätabtreibung.

Die USA haben einen Demokratischen Präsidenten. Kanzlerin und Außenminister haben schon ihre Wünsche überbracht. Was wünscht sich eine SPD-Bundesjustizministerin von Barack Obama?

Ich wünsche mir, dass er ein glückliches Händchen bei der Wahl seines Justizministers oder seiner Justizministerin hat. Und ich hoffe, dass er oder sie bei der Rechtshilfe und bei rechtsstaatlichen Herausforderungen die Zusammenarbeit mehr vorantreibt, als es in den letzten Jahren geschehen ist.

Geht es konkreter?

Ich denke dabei vor allem an Verfahren mit Terrorismusbezug. So hätte ich erwartet, dass die USA manche unserer Rechtshilfeersuchen etwas auskunftsfreudiger behandelt hätten, als dies der Fall war. Das hätte der deutschen Justiz möglicherweise die Aufarbeitung der Anschläge vom 11. September 2001 und anderer möglicher Straftaten erleichtert.

In Sachen Rechtsstaat und Menschenrechte haben die Amerikaner viel Vertrauen verspielt, Stichwort Guantanamo und Abu Ghraib. Wie kann Obama es wieder zurückerwerben?

Ich bin zuversichtlich, dass Maßnahmen, die nach internationalen Standards Folter bedeuten und die von Präsident Bush für unverfänglich erklärt wurden, neu bewertet werden. Dass Einzelne sich rechtswidrig verhalten, kann man leider nie ausschließen. Aber dass von oberster Stelle Verhörmethoden wie Waterboarding abgesegnet werden, das darf nicht sein. Natürlich begrüße ich sehr, dass Barack Obama angekündigt hat, er werde das Gefangenenlager Guantanamo schließen.

Trotzdem geht der Kampf gegen den Terror weiter, auch in der Bundesrepublik. Sie wollten einen Entwurf vorlegen, der den Aufenthalt in Terrorlagern strafbar macht. Wo bleibt er?

Es gibt noch geringfügigen Gesprächsbedarf mit dem Innenminister, wir sind schon ziemlich weit in der Abstimmung: Wenn jemand in einem Terrorcamp war und sich dort ausbilden ließ, um irgendwo einen Anschlag zu begehen, muss er bestraft werden können.

Die USA haben ihren ersten schwarzen Präsidenten. Wann haben wir unseren ersten muslimischen Minister?

Ich sehe in der Religion keinen Hinderungsgrund. Allerdings wüsste ich nicht, dass derzeit ein Muslim als Minister im Gespräch ist.

Bedauern Sie das?

Ja. Deutschland ist ein Einwanderungsland, die hier lebenden Migrantinnen und Migranten sind Teil unserer Bevölkerung. Viele sind inzwischen Deutsche. Es wäre schön, wenn sich das auch an den Spitzen der Parteien und den Regierungen abbilden würde.

Zugleich gibt es Diskussionen um Zwangsheirat, Gewalt gegen Frauen. Müssen wir mehr dagegen tun?

Um eines klarzustellen: Wenn jemand gezwungen wird, eine Ehe einzugehen, ist das als besonders schwerer Fall der Nötigung bereits seit 2005 strafbar. Ich bin skeptisch, ob es den Betroffenen wirklich mehr hilft, wenn wir im Strafgesetzbuch nun „Verbot der Zwangsehe“ über den einschlägigen Paragrafen schreiben. Wir müssen doch vor allem die Situation der Opfer verbessern. Beim Integrationsgipfel waren wir uns einig, dass es am wichtigsten ist, geeignete Anlaufstellen für die Opfer – das können auch Männer sein! – zu schaffen. Und wir brauchen ein verbessertes Aufenthaltsrecht für die Betroffenen. Das ist bislang an der Union gescheitert. Wer kein gesichertes Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, traut sich nicht, Anzeige zu erstatten. Hilfreich wäre auch eine Art Opferschutzprogramm, das es Betroffenen ermöglicht, in eine andere Stadt zu ziehen und ihre Identität abzuschirmen.

Können wir schariageprägtes Recht in unserer Rechtsordnung dulden?

Nach unserem geltenden internationalen Privatrecht wenden deutsche Gerichte in bestimmten Fällen auch ausländisches Recht an. Das kann französisches oder polnisches Recht genauso wie ein Gesetz sein, dass aus einem muslimischen Staat kommt. Wenn beispielsweise ein Ehepaar aus einem Land mit schariageprägter Rechtsordnung sich in Deutschland scheiden lässt, ist ihr gemeinsames Heimatrecht grundsätzlich anwendbar. Es darf aber nicht gegen deutsche Rechtsgrundsätze verstoßen, vor allem nicht gegen die Grundrechte. Dann ist die Anwendung ausländischen Rechts ausgeschlossen. Wir werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass sich hier keine muslimische Parallelgerichtsbarkeit entwickelt.

Am Dienstag diskutiert die SPD-Fraktion Unionsvorschläge zur Spätabtreibung. Es soll eine Mindestbedenkzeit und Beratungspflichten geben. Teilen Sie dies?

Nein. Unser Strafrecht hat bereits klare Kriterien. Es ist geregelt, dass der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen mit Beratung zulässig ist. Ab der zwölften Woche ist eine Abtreibung nur noch erlaubt, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Beeinträchtigung der Schwangeren besteht. In anderen Fällen darf es keine Spätabtreibung geben.

So weit die juristische Theorie. Tatsächlich aber geht es doch um etwas ganz anderes: Immer weniger Eltern akzeptieren ein behindertes Kind …

Das behinderte Kind ist nur eine der möglichen Konstellationen, wobei die Behinderung des Kindes als solche gerade kein ausreichender Grund für einen Schwangerschaftsabbruch ist. Bei Spätabtreibungen darf Maßstab immer nur die Gesundheit der Mutter sein, wie etwa eine Autoimmunerkrankung, wegen der das Kind einfach nicht weiter ausgetragen werden kann, ohne die Mutter zu gefährden. Wenn eine Schädigung des Ungeborenen diagnostiziert wurde, muss genau definiert werden, ob die Mutter die Versorgung eines behinderten Kindes bewältigen kann oder ob bei ihr wegen der zu erwartenden Belastung die Gefahr einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung besteht. Und nur dann wäre eine Spätabtreibung auch rechtlich zulässig.

Jährlich werden rund 200 Kinder nach der 23. Schwangerschaftswoche abgetrieben. Werden Frauen vor solchen Eingriffen genügend beraten?

Das ist genau der Punkt. Wir brauchen keine gesetzliche Beratungspflicht, wie sie die Union fordert, denn die gibt es bereits im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen. Wir müssen also nicht gesetzlich etwas verändern, sondern faktisch: Die bestehende Beratungspflicht muss ernster genommen werden.

Was bedeutet das?

Man muss die Frauen in einer solchen Situation umfassend beraten und aufklären. Behinderungen schließen ein erfülltes Leben nicht aus, das müssen die Frauen wissen, die sich in so einer schwierigen Situation befinden, und sie müssen die Hilfen kennen, die Medizin und Gesellschaft für dieses Ziel bereit halten. In einem Punkt muss die politische Diskussion aber realistisch und ehrlich bleiben: Es wird Konstellationen geben, in denen eine Frau sagen wird: „Das geht über meine Kraft“, und ich glaube nicht, dass das leichtfertig geschieht. Dann können wir einfach nicht verlangen, dass die Frau daran etwa psychisch zerbricht.

Ist es akzeptabel, dass kaum noch Kinder mit Downsyndrom geboren werden?

Vorweg: Ein Leben mit Behinderung ist genauso wertvoll wie eines ohne. Aus meinem Engagement für die Olympischen Spiele der geistig Behinderten weiß ich, welch erfülltes Leben Menschen mit Downsyndrom haben können. Was wir brauchen, sind bessere Hilfen für Menschen, die ein behindertes Kind großziehen und allein damit nicht klarkommen. Der gesellschaftliche Umgang mit Menschen mit Behinderungen muss selbstverständlicher werden. Man darf auch keine Frau zu bestimmten Untersuchungen zwingen – es gibt ein Recht auf Nichtwissen. Erschreckend ist, dass manche Frauen sich geradezu dafür rechtfertigen müssen, wenn sie sich für ein behindertes Kind entscheiden.

Was halten Sie von einer Bedenkzeit zwischen Beratung und Abbruch – wie es Union und Teile Ihrer Fraktion wollen?

Die geforderte Drei-Tages-Frist braucht man nicht gesetzlich zu verordnen. Zum einen ergibt sie sich schon aus dem normalen Ablauf der Dinge. Es ist ja nicht so, dass man vom Arzt die Diagnose erhält und dann ein Zimmer weiter zum Abbruch geht. Bis man einen Termin in der Klinik bekommt, vergeht einige Zeit, es sei denn, das Leben der Mutter ist akut gefährdet – und für diesen Fall wird kein Vernünftiger eine Frist verlangen. Auch die Erklärung der Bundesärztekammer von 1998 sieht eine angemessene Bedenkzeit zwischen Beratung und Abbruch der Schwangerschaft vor. Wenn es erforderlich ist, halten die Ärzte eine solche Frist schon heute in aller Regel ein.

Was spricht gegen die von der Union geforderte Dokumentationspflicht der Ärzte?

Die Zahl der abgebrochenen Schwangerschaften und deren Dauer werden ja bereits erfasst. Von einer Dunkelziffer kann deshalb nicht die Rede sein. Die Union will aber noch zusätzliche Daten erheben. Es ist offen, ob das einen Erkenntnisgewinn bringt. In jedem Fall müsste eine Dokumentation anonymisiert erfolgen.

Warum pocht die Union so auf eine gesetzliche Neuregelung, wenn es doch gar nicht um den umstrittenen Abtreibungsparagrafen 218 geht?

Die Frage müssten Sie der Union stellen. Sicher wollen CDU und CSU im Bereich des Lebensschutzes Leistungen vorweisen. Offenbar soll damit eine bestimmte Klientel im Wählerspektrum abgedeckt werden, die bei der Unionsposition zur Stammzellforschung nicht berücksichtigt wurde. Da haben sich Kanzlerin und Forschungsministerin ja ganz klar zu einer liberalen Position bekannt.

Sie sind Hessin, haben Ihren Wahlkreis in Darmstadt. Wie haben Sie es empfunden, als Andrea Ypsilantis Regierungsvorhaben am Widerstand von vier Abweichlern gescheitert ist?

Ich war mehr als erstaunt, dass die drei Abgeordneten so kurz vor der Wahl mitgeteilt haben, sie könnten das nicht mittragen. Ich habe Respekt vor der Entscheidung von Frau Metzger, die frühzeitig öffentlich gesagt hat, dass sie das Vorhaben ablehnt. Das war keine einfache Zeit für Frau Metzger, die ja aus meinem Wahlkreis stammt. Aber 24 Stunden vor der Abstimmung zu sagen: „Nun mache ich doch nicht mit“ – nach monatelanger Diskussion, Parteitagen und Probeabstimmungen – das ist für mich nicht nachvollziehbar.

Wie bewerten Sie Ypsilantis Rückzug?

Ich respektiere ihre Entscheidung. Der Wahlkampf wäre für sie sicher nicht einfach geworden. Man hat Andrea Ypsilanti vorgehalten, dass sie noch am Wahlabend eine Zusammenarbeit mit den Linken ausgeschlossen, sich nachher aber anders entschieden hat. Aber man muss auch anerkennen: Sie hat einen hervorragenden Wahlkampf geführt, sie hat die eigenen Leute mitgenommen, sie hat die nicht immer einige hessische SPD im Wahlkampf geschlossen hinter sich gebracht. Insoweit ist es schon tragisch, dass man nach der Wahl keine andere Lösung gefunden hat.

Welche Chancen hat ein weithin unbekannter SPD-Spitzenkandidat Schäfer-Gümbel gegen den Politprofi Koch?

Ich finde es gut, dass die SPD in Hessen so schnell eine Lösung gefunden hat. Thorsten Schäfer-Gümbel wird viel unterwegs sein müssen, um sich im Land bekannt zu machen. Ich werde ihn dabei gerne unterstützen. Er ist ein Mann mit politischer Erfahrung, Kompetenz und der Fähigkeit, auf Leute zuzugehen. Er kennt die hessischen Verhältnisse, und ich bin mir sicher, dass er einen sehr guten Wahlkampf hinlegen wird.

Das Gespräch führten Rainer Woratschka und Jost Müller-Neuhof. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

ZUR PERSON

SACHLICH

Brigitte Zypries leitet das Justizressort seit 2002. Sie gilt als Sachpolitikerin ohne tiefe Wurzeln in der Partei – dafür mit guten Kontakten zu Frank-Walter Steinmeier und Gerhard Schröder.

RECHTLICH

Am schwarz-roten Koalitionsvertrag hatte sie wesentlichen Anteil – aber die Justiz sieht sie seit zehn Jahren als SPD-Domäne. Eine „Renaissance der Rechtspolitik“ nennt sie das in einem neuen Buch, das sie gerade herausgegeben hat.

MENSCHLICH

Zypries stammt aus Hessen und ist ledig. Privates ist privat, meint sie. Jura studierte sie in Gießen. Etwas anderes als Ministerin, sagt sie, will sie nicht werden.

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