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Kabinett: Umstrittene Vorratsdatenspeicherung beschlossen

In Deutschland sollen künftig sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten ein halbes Jahr gespeichert werden. Aufgezeichnet wird, wer wann mit wem telefoniert hat, unabhängig von einem Verdacht auf eine Straftat.

Berlin - Der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) setzt eine Richtlinie der Europäischen Union (EU) um. Zur effektiveren Strafverfolgung sind Provider danach verpflichtet, sechs Monate lang alle Verbindungsdaten, das heißt Standort, Dauer und Kommunikationspartner, von Telefon, Handy, SMS und E-Mails zu speichern. Auf richterlichen Beschluss soll die Polizei auf diese Daten zugreifen dürfen. Der Inhalt von Telefongesprächen und Daten, die Aufschluss über aufgerufene Internetseiten geben, dürfen nach dem Gesetzentwurf nicht gespeichert werden.

Bisher mussten nach dem Fernmeldegeheimnis Anbieter alle Daten nach Beendigung der Verbindung unverzüglich löschen. Es sei denn, sie benötigten diese für die Abrechnung. Dann war die Speicherung für 90 Tage erlaubt. Standortdaten, IP-Adressen und E-Mail-Verbindungsdaten durften bislang ebenfalls nicht gespeichert werden.

Von der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung versprechen sich die Sicherheitsbehörden mehr Erfolge beim Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität.

Neue Regeln für Telefonüberwachung

Mit dem Gesetzentwurf brachte das Kabinett zudem neue Regeln für die Telefonüberwachung auf den Weg. Maßgeblich ist hier auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Danach ist eine Überwachung unzulässig, wenn das Gespräch den Kernbereich privater Lebensführung betrifft. Die Telefonüberwachung soll auf schwere Straftaten beschränkt werden. Dies betrifft beispielsweise Korruptionsdelikte, Menschenhandel, Kinderpornografie, Dopingdelikte und Verbrechen gegen das Völkerrecht.

2005 gab es nach Angaben des Justizministeriums 4925 Überwachungen. Diese betrafen 12.600 Personen, die zum Teil mehrere Telefone benutzten. Bei einer Gesamtzahl von knapp fünf Millionen Ermittlungsverfahren wurden damit nur bei einem Promille Überwachungsmaßnahmen angeordnet.

Die Überwachungsmaßnahmen müssen von einem besonderen Gericht angeordnet und die Betroffenen nachträglich benachrichtigt werden. Sie können auch nachträglich klagen. Werden erhobene Erkenntnisse nicht mehr benötigt, müssen sie gelöscht werden.

Scharfe Kritik aus Politik und Verbänden

Zypries verteidigte den Entwurf gegen die zum Teil heftige Kritik von Medienverbänden, Anwälten und Datenschützern. Die Bundesregierung habe auf europäischer Ebene Widerstand gegen eine noch extensivere Regelung geleistet. "Wir haben nun eine verhältnismäßige Lösung gefunden", sagte Zypries. Mit sechs Monaten Speicherdauer bleibt Deutschland an der unteren Grenze. Ursprünglich waren in der EU bis zu 36 Monate vorgesehen. Zypries betonte, die Regierung führe keine neuen Maßnahmen ein. "Es bleibt bei den Ermittlungsmaßnahmen, die die Strafprozessordnung schon bisher kannte."

Bei der Opposition und den betroffenen Verbänden stieß der Gesetzentwurf ebenfalls auf heftigen Widerspruch. Aber auch aus den Reihen der Koalition kam Protest. Für den medienpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Jörg Tauss, geht der Gesetzentwurf viel zu weit. Dies müsse "im parlamentarischen Verfahren grundlegend korrigiert und verbessert werden". Der Verband der Internetwirtschaft warf der Regierung vor, die Wirtschaft zum Büttel staatlicher Überwachung zu machen. Der Verband der Informationswirtschaft (Bitkom) forderte vom Staat eine Kostenerstattung.

Gefahr für Pressefreiheit befürchtet

Nach Ansicht der Bundesrechtsanwaltskammer berücksichtigt der Entwurf nicht ausreichend die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der Bürgerrechte. Der Deutsche Anwaltsverein lehnte die Vorratsspeicherung ab. "Alle Bürger dem Generalverdacht auszusetzen, sie seien Straftäter, ist unerträglich."

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth warf Zypries vor, ein ganzes Volk unter Generalverdacht zu stellen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Jörg van Essen, bezweifelte, dass die geänderte Telefonüberwachung die Rechte der Betroffenen stärkt. FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht mit dem Gesetzentwurf die Pressefreiheit in Gefahr. Auch die Linksfraktion befürchtet Einschnitte in die Bürgerrechte. Der Deutsche Journalisten-Verband sprach von einem Schlag gegen den Informantenschutz. (tso/dpa)

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