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Demonstration zum Gedenken der Opfer von Hanau.

© Manfred Thomas/dpa

Kabinettsausschuss Rechtsextremismus: Warum sich Union und SPD im Kampf gegen Rassismus nicht einigen können

Die Groko hat die letzte Sitzung des Kabinettsausschusses Rechtsextremismus vertagt – wegen zu vieler Streitpunkte zwischen Union und SPD.

Die Sache sollte eigentlich bald geregelt sein. Am kommenden Mittwoch, so war der Plan, wollte der Kabinettsausschuss Rechtsextremismus unter dem Vorsitz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu seiner dritten und letzten Sitzung zusammengekommen. Dann wollte die Bundesregierung festlegen, was sie im Kampf gegen rechten Terror und Rassismus tun will. Doch das Kanzleramt habe die „Reißleine“ gezogen, sagt der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh. Das Treffen wurde vertagt. Der Grund: Zu viele Streitpunkte zwischen Union und SPD.

Dass mehr getan werden müsse gegen Rechtsextremismus und Rassismus, darüber herrscht in der Groko zwar Einigkeit. Nach den Anschlägen von Hanau und Halle setzte die Bundesregierung deshalb den Kabinettsausschuss ein.

Nur: Welche konkreten Instrumente der beschließen soll, darüber streiten Union und SPD. „Mit Blick auf einzelne Überlegungen kann man dann durchaus auch einmal unterschiedlicher Auffassung sein“, sagt Unionsfraktionsvize Thorsten Frei. Das ist freundlich formuliert. Denn die Fronten innerhalb der Groko scheinen verhärtet; beide Seiten werfen sich gegenseitig Blockadehaltung vor.

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SPD-Vizechefin Serpil Midyatlı fordert deshalb ein Machtwort von Merkel. „Es kommt jetzt vor allem auf die Kanzlerin an, dass hier ein klares Zeichen gesetzt wird“, sagt sie. „Die Erwartungen aus der Zivilgesellschaft und den Migrantenselbstorganisationen an die Bundesregierung sind hoch.“

Es muss schnell gehen

Dazu drängt auch noch die Zeit: Am 26. November findet die Bereinigungssitzung des Haushaltausschusses im Bundestag statt. Bis dahin müssen sich Union und SPD verständigen, wie viel Geld sie 2021 in den Kampf gegen rechts stecken wollen.

Serpil Midyatlı ist stellvertretenden Bundesvorsitzende der SPD und Chefin des Landesverbands Schlewsig-Holstein.
Serpil Midyatlı ist stellvertretenden Bundesvorsitzende der SPD und Chefin des Landesverbands Schlewsig-Holstein.

© AFP/Odd Andersen

Die Liste der offenen Fragen ist lang – sie reicht von einer Grundgesetzänderung über die Befugnisse der Sicherheitsbehörden bis zum „Demokratiefördergesetz“. Das soll nach SPD-Wunsch Vereinen und Initiativen helfen, die sich für die Demokratie stark machen. „Sie sollen dauerhaft gefördert werden und nicht wie bislang nur projektorientiert“, sagt Lindh.

Ein neues Gesetz brauche es nicht, sagt hingegen Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Die „Bundesprogramme im Bereich der Extremismusprävention“ seien in der Vergangenheit bereits ausgebaut worden. „Auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die wir in den letzten Jahren ebenfalls personell und finanziell gestärkt haben, leistet in diesem Bereich gute Arbeit.“

Braucht die Bundesregierung einen Rassismus-Beauftragten?

Auch bei der Frage nach Streichung des Wortes „Rasse“ aus dem Grundgesetz – Lindh zufolge eine SPD-„Kernforderung“ – ist die Groko gespalten. „Gut gemeint könnte hier auch das Gegenteil von gut sein“, sagt Frei. Er befürchtet eine Aushöhlung des gesetzlichen Diskriminierungsverbots, wenn der Begriff aus der Verfassung gestrichen würde.

Thorsten Frei (CDU) sitzt sei 2013 im Deutschen Bundestag und ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion.
Thorsten Frei (CDU) sitzt sei 2013 im Deutschen Bundestag und ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion.

© dpa/Jörg Carstensen

Ebenfalls auf Ablehnung trifft bei der Union der SPD-Vorschlag, einen Rassismus-Beauftragten einzusetzen. „Die Stelle muss finanziell und personell gut aufgestellt sein, dass sie Wirkung entfalten kann“, fordert Lindh. „Es muss genug Manpower dahinter sein, damit der Beauftragte möglichst schlagkräftig gegen alle Formen des Rassismus vorgehen kann.“

Frei hält wenig von der Idee. Die Bekämpfung des Rassismus müsse als „Chefsache“ bei den Innenministern liegen. „Sie sollte nicht auf einen ,Beauftragten’ delegiert werden.“

Union will Überwachung ausbauen

Besonderen Wert legt Frei auf „starke Sicherheitsbehörden, insbesondere ein starkes Bundesamt für Verfassungsschutz“. Gegen eine Ausweitung der Überwachung von Telekommunikation durch Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst hatte sich SPD-Chefin Saskia Esken zuletzt gesperrt. Frei wirft der SPD-Vorsitzenden deshalb eine Blockadehaltung vor. „Zusätzlich zu dem Präventionsaspekt müssen wir auch unsere Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Ermittlungsbefugnissen ausstatten, damit diese effektiv gegen Rechtsextreme vorgehen können“, sagt Middelberg.

Was eine Ausweitung der Befugnisse für den Verfassungsschutz anbelangt, sei die SPD offen, sagt Lindh. Es dürfe aber keine „Entgrenzung der Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden“ geben.

Ein Streitpunkt dürfte bei der nächsten Sitzung des Kabinettsausschusses ausgelagert werden: die Frage nach einer Rassismus-Studie bei der Polizei, wie sie die SPD will und Innenminister Horst Seehofer (CSU) strikt ablehnt. Seit Monaten werfen die Sozialdemokraten Seehofer vor, den Kampf gegen strukturellen Rassismus bei der Polizei zu verhindern. Nun wollen die SPD-Innenminister selbstständig tätig werden und damit beginnen, in den Ländern den „Rassismus in den Sicherheitsbehörden wissenschaftlich untersuchen zu lassen“, wie Lindh sagt. SPD-Vizechefin Midyatlı wünscht sich ohnehin einen wissenschaftlicheren Fokus auf das Thema: „Das würde der Debatte insgesamt gut tun.“

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