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Politik: Kalif von Kiew

Bayerns Innenminister Beckstein sagt, Schily wollte Islamistenführer Kaplan in die Ukraine abschieben lassen

Von Robert Birnbaum

Hat die Bundesrepublik Deutschland versucht, den türkischen Islamistenführer Metin Kaplan nach Afrika oder in die Ukraine abzuschieben – womöglich gegen bares Geld? Die türkische Zeitung „Hürriyet“ berichtet das am Freitag, und als Quelle nennt sie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU). „Dafür hätten wir diesen Ländern viel Geld bezahlt“, zitiert das Blatt den CSU-Politiker. Allein: „Wir konnten sie nicht überzeugen, weil sich niemand solch ein Problem aufladen wollte.“ Welche afrikanischen Staaten im Gespräch gewesen sein sollen, geht aus dem Text nicht hervor.

Wenn wie im Fall des „Kalifen von Köln“ eine Abschiebung in die Türkei nicht möglich sei, sei Beckstein „unbedingt dafür“, dass mit finanzieller Unterstützung für das aufnehmende Land eine solche Drittland-Abschiebung möglich wird, hieß es am Freitagabend dann auch in einer Erklärung des Münchner Innenministeriums.

Auf den ersten Blick unplausibel klingt die Sache nicht: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte eine Abschiebung des in Deutschland wegen eines Mordaufrufs verurteilten Chefs der Islamistenorganisation „Kalifatsstaat“ in ein Drittland erst kürzlich selbst als „theoretische Möglichkeit“ bezeichnet. Kaplan in seine türkische Heimat zurückzubringen hat sich nämlich als schwierig erwiesen. Dort droht dem Fundamentalisten ein Prozess wegen eines angeblich 1998 geplanten Anschlags auf das Mausoleum des Staatsgründers Atatürk in Ankara.

Dieser Prozess verhindert Kaplans Abschiebung – deutsche Gerichte sind nicht überzeugt, dass die türkische Justiz mit dem bekennenden Staatsfeind hinreichend rechtsstaatlich umgehen würde. Schily hatte erst in dieser Woche bei einem Besuch in Ankara versucht, von der Türkei Garantien zu erhalten, die diese Bedenken ausräumen könnten. Zugleich legt die Bundesregierung derzeit Rechtsmittel gegen den vom Verwaltungsgericht Köln verfügten Abschiebestopp für Kaplan ein.

Noch am Nachmittag hatte ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums erklärt, Beckstein sei missverstanden worden. Der Minister habe sich bei seinen Aussagen nicht konkret auf den „Kalifen von Köln“ bezogen, sondern habe lediglich eine allgemeine Überlegung referiert, die überdies schon einige Zeit zurückliege. Damals sei geprüft worden, ob „Problemfälle“ in Drittländer abgeschoben werden könnten, was sich aber als nicht tragfähige Idee erwiesen habe. Tatsächlich hat es nach Angaben von informierter Seite im Kreis der Innenministerkonferenz solche Diskussionen gegeben.

Auch das Bundesinnenministerium widerspricht – mit einer kleinen Einschränkung. Der Sprecher Schilys „dementiert entschieden“, wie er sagt, die von der Zeitung Beckstein zugeschriebenen Behauptungen: „Die Darstellung ist falsch.“ Keineswegs habe das Bundesinnenministerium Drittstaaten angesprochen, weder bei den jüngsten Verhandlungen Schilys in Ankara noch bei irgendeiner anderen Gelegenheit. Beckstein sei offenbar vom Landtagswahlkampf überfordert und habe den Überblick verloren, ätzen Schilys Leute in Richtung München.

Eines allerdings konzedierte der Sprecher Schilys dann doch: Die „theoretische Möglichkeit“, Kaplan in einen Drittstaat abzuschieben, sei einmal angesprochen worden. Man habe sich aber an keine einzige Regierung gewandt, und über Finanzielles sei schon gar nicht geredet worden. Übrigens habe Schily von seinen Gesprächen in Ankara durchaus substanzielle Zusagen mit nach Hause gebracht, was den rechtsstaatlich korrekten Umgang mit Kaplan in der Türkei angehe.

Beckstein ging in dem zwei Tage vor der bayerischen Landtagswahl veröffentlichen Interview mit „Hürriyet" auch auf die türkische EU-Bewerbung ein. Der CSU-Politiker schloss laut „Hürriyet“ einen türkischen EU-Beitritt nicht aus, sagte aber, man dürfe nicht sehr optimistisch sein. Als möglichen Zeithorizont für eine türkische EU-Mitgliedschaft nannte Beckstein eine Periode von 15 bis 20 Jahren. „Man muss realistisch sein“, sagte der CSU-Politiker der Zeitung. „Man macht einer Frau ja auch nicht gleich beim Kennenlernen einen Heiratsantrag. Zuerst geht man ins Kino und zum Essen.“

Beckstein hatte kurz vor der Bundestagswahl im Herbst vergangenen Jahres in der Türkei für Schlagzeilen gesorgt, als er für den Fall eines Wahlsieges der Union die Abschaffung der Visapflicht bei Verwandtenbesuchen von Türken in Deutschland ankündigte. Damals äußerte sich Beckstein in „Hürriyet" und der Zeitung „Zaman“. Beide Blätter werden von vielen Türken in der Bundesrepublik gelesen.

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