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Politik: Kalorien für den Krieg

Rationiertes Essen, Waffentraining und Blutspenden – der Irak bereitet sich auf einen Angriff vor

Trotz der amerikanischen Kriegsdrohungen scheint in Bagdad Alltag zu herrschen. Zumindest wenn man in den Lebensmittelgeschäften nachfragt. „Die Menschen kaufen in normalen Mengen ein“, sagt der Inhaber eines kleinen Ladens in der Saadun-Straße im Zentrum Bagdads. Aber wegen der großen Armut könnten es sich die meisten Menschen ohnehin kaum leisten, riesige Vorräte anzulegen, meint er. Sie sind angewiesen auf die Lebensmittelrationen, die der Staat monatlich zuteilt: 2472 Kalorien stehen jedem Iraker pro Tag zu. In der ersten Oktoberwoche wurden die Rationen an Mehl, Öl und Reis für zwei Monate im Voraus verteilt. Anfang November steht die nächste Verteilaktion an, finanziert von den Einkommen des irakischen Staates durch das „oil-for-food“-Abkommen.

Doch der Schein der Normalität trügt: In vielen Bereichen laufen die Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg – diskret, kaum bemerkbar. Die einzige zentrale Blutbank des Landes in Saddam Medical City in Bagdad wird in Windeseile umgebaut. „Wir wollen bis spätestens Ende November mit der Sanierung des Gebäudes fertig sein, das dann internationalen Standards entsprechen wird“, sagt Vincent Hubin, Leiter des Büros der französischen Hilfsorganisation „Premiere Urgence“, die das Projekt finanziert. „Irak könnte diese Blutbank sehr schnell dringend nötig haben“, erklärt er im Hinblick auf einen möglichen Angriff. Im Nebengebäude herrscht schon heute ein reger Andrang von Blutspendern. Die Zahl der Blutspender steige seit etwa vier Wochen täglich an, sagt Hubin. Es ist wohl bisher nicht offiziell zum Blutspenden aufgerufen worden, aber in den Fabriken und Büros seien Arbeiter und Angestellte dazu aufgefordert worden.

Ausländische Diplomaten in Bagdad berichten, in den vergangenen Wochen habe es Truppenbewegungen an der Nordgrenze gegeben. Damit wolle man sich für den Fall vorbereiten, dass sich die Armee in den de facto autonomen Kurdengebieten an den Angriffen beteiligen wird. Im schiitischen Süden dagegen, wo nach der Niederlage der irakischen Armee 1991 der Aufstand geprobt wurde, seien keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen bemerkt worden. Allerdings wurden neue Gouverneure in den mehrheitlich von Schiiten bewohnten Städten Basra, Najaf und Kerbala eingesetzt. Das Regime wolle so mehr Präsenz zeigen, hieß es in Diplomatenkreisen. Außerdem würden verstärkt Trainingsprogramme für die etwa zwei Millionen Mitglieder der Baath-Partei durchgeführt, die berechtigt und sogar verpflichtet sind, eine Waffe im Haus zu haben. Das untermauert die These, dass die Regierung sich auf einen Guerillakampf in den Städten einstellt. In offiziellen Stellungnahmen werden die Amerikaner immer wieder davor gewarnt, dass sie in den irakischen Städten ein „neues Vietnam“ erleben würden. Wie viele Baath-Mitglieder in einem Angriffsfall wirklich kämpfen würden, ist unklar. Ein ausländischer Beobachter in Bagdad schätzt die Zahl auf 5000, den inneren Zirkel. Der Rest werde wohl nur so lange kämpfen, bis klar sei, dass das Regime besiegt und keine Repressalien mehr zu fürchten seien.

Bei einem Besuch im Al-Amariyya-Luftschutzbunker ist nicht zu übersehen, dass Irak teilweise noch mehr mit den Folgen des letzten Kriegs als mit den Vorbereitungen auf den nächsten beschäftigt ist. In dem Bunker starben 1991 bei alliierten Luftangriffen 374 Menschen. Er ist heute eine Gedenkstätte: In der Mitte des düsteren Raumes, wo von den Decken noch die zerstörten Belüftungsanlagen hängen, fällt grelles Tageslicht auf einen tiefen Krater. Hier war die Bombe eingeschlagen. Die einzigen Besucher an diesem Tag sind Mitarbeiter der Zivilverteidigung, die in weißen Kitteln die Betonwände abschreiten. Sie wollen die Wände mit Chemikalien behandeln, damit sie in diesem Zustand erhalten bleiben, sagt eine Mitarbeiterin. Sie zeigt auf eine Stelle an der geschwärzten Wand, an der der Umriss eines Menschen zu erkennen ist. Der Umriss eines Menschen, der durch den Druck der Bombe an die Wand geschleudert wurde. „Dieses Zeugnis wollen wir für zukünftige Generationen erhalten“, sagt die Frau. Seltsam, hier in dem Bunker scheint der drohende neue Krieg ganz weit weg zu sein.

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