zum Hauptinhalt
Die ehemalige Abhörstation der NSA auf dem Teufelsberg ist stiller Zeuge des Spionagekriegs, der im Berlin der 60er Jahre tobte.

© dpa

Kalter Krieg: CIA heuerte Berliner Studenten als Agenten an

Leslie Colitt hatte 1959 gerade sein Zimmer im Studentendorf Schlachtensee bezogen, da bat ihn der Geheimdienst um Hilfe. Später machte der Amerikaner das öffentlich.

Mut, das braucht es wohl. Mut und Überzeugung. Leslie Colitt lehnt sich im Korbstuhl zurück und überlegt. Dann sagt er: „Ich hätte nicht den Mut gehabt, es zu machen, wünschte aber, ich hätte ihn gehabt.“ Der Mut, um den es geht, ist der von Edward Snowden, Whistleblower, Held, Vaterlandsverräter, junger Mann, der die gewaltigen Schnüffelpraktiken der amerikanischen Geheimdienste bekannt machte – und seitdem auf der Flucht ist.

Es gibt dieser Tage viele Menschen, die mit Edward Snowden sympathisieren. Leslie Colitt aber, Jahrgang 1937, weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Geheimdienst plötzlich nicht mehr geheim und unsichtbar ist, sondern zum Greifen nah. Wenn man etwas verrät, von dem der Geheimdienst wünschte, es bliebe geheim.

Zu Beginn des Sommersemesters 1959 war Leslie Colitt aus den USA an die Freie Universität (FU) in Berlin gekommen. Eine Woche nach seiner Ankunft, so erzählt er, klopfte es an seiner Zimmertür im Studentendorf Schlachtensee. Herein kamen zwei ordentlich gekleidete Herren, die sich als Mitarbeiter der CIA vorstellten. Unumwunden fragten sie ihn, ob er „ein bisschen helfen“ wolle. Colitt muss lachen, wenn er sich daran erinnert. Eine Szene wie in einem Agentenfilm. Aber nun, was tut man? Die Herren baten ihn, aus einer Zeitung vorzulesen. So testeten sie sein Deutsch. Und schließlich boten sie auch Geld: 200 Mark im Monat.

Man ist versucht, sich Leslie Colitt herauszuschneiden aus seinem Wintergarten in Zehlendorf, wo er heute lebt, und vorzustellen in seinem Studentenzimmer. Wie er dasteht, ein schlanker Mann, das Haar nicht weiß wie jetzt, sondern dunkel. Vielleicht saß er auch am Schreibtisch, als die beiden Herren kamen. Genau weiß er das nicht mehr. Wie er schaute, gerade ein paar Tage in der Stadt und dann so was! Ob er lange überlegte. Wie schließlich die Neugier des Politikstudenten siegte, der dachte: Wenn ein gutes halbes Jahr zuvor Nikita Chruschtschow sein Ultimatum stellte, wenn also die Lage in Berlin gerade heikler nicht sein könnte – „vielleicht kann ich ja wirklich hilfreich sein“.

Die Berliner wurde in eine Villa geladen, zur "Meinungsumfrage"

Chruschtschow hatte den Abzug der USA, Frankreichs und Großbritanniens aus Berlin gefordert und gedroht: Sollten die Westalliierten nicht reagieren, werde die Sowjetunion ihre Rechte an Berlin der DDR übertragen, die damit auch Kontrolle über die Zufahrtswege hätte. Der Westen lehnte ab.

Colitt war nicht der Einzige, bei dem die CIA urplötzlich im Zimmer stand. Das erfuhr er bald darauf. Unter den amerikanischen Studenten in Berlin war es ein offenes Geheimnis, dass der Geheimdienst Mitarbeiter rekrutierte. Tausende Spione und Agenten waren während der 50er Jahre und des Kalten Krieges in Berlin unterwegs. Der Westen beschnüffelte den Osten, der Osten den Westen – und manchmal, später dann, waren Spione gar im Doppeleinsatz, für die Stasi und die CIA. Unendliche Mengen an Informationen wurden generiert und notiert, in der Hoffnung, es möge in all der Fülle etwas Entscheidendes zu finden sein. Zumindest dies hat sich bis heute offenbar nicht geändert.

Zwei Monate „half“ Colitt der CIA. Als Mitarbeiter eines „Meinungsforschungsinstituts“ habe er Berlinern Fragen über den Osten gestellt. „Ziemlich allgemeine Fragen“, erinnert er sich. Waren Sie jemals in der Sowjetunion? So etwas. „Ich fand sie ehrlich gesagt sehr dumm.“ Telefonisch teilte man ihm mit, wann er in einer Villa in Zehlendorf zu sein habe, smart angezogen empfing er dort meist ältere Menschen, oft Ehepaare. Sie alle kamen auf Einladung des „Instituts“ und schöpften offenbar keinen Verdacht.

„Ich habe nie jemanden getroffen, der nicht bereitwillig alle Fragen beantwortet hat“, sagt Colitt, der sich schon damals wunderte, was der Geheimdienst mit dieser Art von Information bloß anfangen wollte. Die CIA aber schien mit ihm zufrieden zu sein. Nur als sie begannen, sich andere Aufgaben für ihn auszudenken, wurde es ihm zu heikel. Er stieg aus.

Als ihn kurz darauf in Leipzig Mitarbeiter der Stasi ansprachen, war er zwar noch immer neugierig, hatte von Geheimdienstarbeit allerdings genug. Dass die Stasi ihn wiederum lange nicht in Ruhe ließ, zeigt eine sehr dicke Akte, die er vor sich auf den Tisch gelegt hat. Fotos, Berichte, Hinweise, dass es keine wichtigen Hinweise zu ihm gebe – all das steht drin. Nur über seine Tätigkeit für die CIA wusste selbst die Stasi offenbar nichts. Und er sprach ja auch nicht darüber. Erst später. Leslie Colitt wurde Journalist.

Wie Colitt erst Journalist, dann Whistleblower wurde

Im Jahr 1967, Colitt war zurück in den USA und arbeitete bei der „New York Times“, köchelte eine Geschichte hoch, die das Blatt Jahre zuvor aufgedeckt hatte: Der amerikanische Geheimdienst bezuschusste die National Student Association mit rund 400 000 Dollar im Jahr. Es ist Ironie der Geschichte, dass die Abkürzung der Studentenverbindung NSA lautete – wie die der National Security Agency, die Snowden nun verpfiff. „Plötzlich“, sagt Colitt, „klickte es in meinem Kopf.“ Er verfasste ein Memo und sandte es seinem Chef. Die Antwort kam prompt: „Du hast drei Stunden, schreib.“

Also tippte Colitt den Artikel, der am folgenden Tag mit dem Titel „Student recalls CIA recruting“ erschien. Er beschreibt darin, wie Geheimdienstmitarbeiter ihn ansprachen, etliches über ihn wussten, das sie nur aus Bewerbungsunterlagen für sein Stipendium wissen konnten; wie sie viele Studenten für „Teilzeitarbeit“ gewannen, diese zum Teil auf riskante Missionen nach Osteuropa schickten, wo ein Student sogar kurzfristig im Gefängnis saß. „Almost everyone knew“, heißt es, „beinahe jeder wusste davon“.

Die Reaktionen folgten prompt. Ein Dementi der FU: Niemals seien Informationen an Geheimdienste weitergeleitet worden. Auch der Tagesspiegel berichtete über die Enthüllungen. In einem Artikel vom 22. Februar 1967 heißt es, US-Vizepräsident Hubert Humphrey „bedauerte unterdessen die Finanzierungsmethoden der CIA als ,eine der traurigsten Tatsachen, die unsere Regierung in der öffentlichen Politik je erlebt hat’. Er setze sich für eine stärkere Überwachung der CIA ein.“ In einem zweiten Artikel wird vermeldet, die CIA stelle ihre Zahlungen an die NSA ein. Colitt hörte nie wieder etwas vom Geheimdienst – und zog später zurück nach Berlin. Er arbeitet als Korrespondent für den Londoner „Observer“ und für die „Financial Times“.

Colitt hat damals in der „New York Times“ nicht über seine eigene Rolle bei der CIA geschrieben. Dabei ist auch er ein mutiger Mensch. Mit dem Pass seiner Schwester hatte er 1961 seine spätere Frau Ingrid aus Ost-Berlin geschmuggelt. Colitt hoffte, mit seiner Geschichte ein „Mosaiksteinchen“ liefern zu können, um ein Bild der Geheimdienste zu vervollständigen, das heute so dubios erscheint wie damals. In Amerika, sagt er, habe es stets Bürger gegeben, die gegen die Repressionen einer übermächtigen Regierung protestiert hätten. „Heute aber höre ich ihre Stimme nur sehr schwach.“ Zuletzt sprach Edward Snowden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false