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Politik: Kameraverbot im Gerichtssaal könnte fallen Voßkuhle befürwortet vorsichtige Öffnung

Karlsruhe - Das Debakel im NSU-Prozess um die Zulassung der Medien zeigt Wirkung. Die deutsche Justiz diskutiert nun erstmals konkret über eine stärkere Öffnung der Gerichtssäle für Medien und Öffentlichkeit.

Karlsruhe - Das Debakel im NSU-Prozess um die Zulassung der Medien zeigt Wirkung. Die deutsche Justiz diskutiert nun erstmals konkret über eine stärkere Öffnung der Gerichtssäle für Medien und Öffentlichkeit. Unterstützung kommt auch vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Andreas Voßkuhle kann sich in bestimmten Verfahren Fernsehübertragungen vorstellen. Hessische Zuschauer könnten beispielsweise im Fernsehen mitverfolgen, wenn das zuständige Verwaltungsgericht über Landebahnen oder Nachtflugverbote am Frankfurter Flughafen verhandelt. Die europäischen Gerichte machen es vor. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg und der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg lassen Live-Übertragungen über ihre Verhandlungen zu. Auf einer Tagung im Schwarzwald forderte Voßkuhle jetzt die deutsche Richterschaft zu mehr Mut auf, über eine vorsichtige Öffnung nachzudenken. Rückzug ins Dienstzimmer helfe nicht: „Wir werden der Diskussion nicht ausweichen können“, sagte Voßkuhle. Auch Baden-Württembergs Justizminister Rainer Stickelberger (SPD), der zu der Juristentagung in Triberg einlud, will Reformen.

Es gibt eine realistische Chance, dass es diesmal nicht bei Ankündigungen bleibt. Denn nach den Vorwürfen an das Oberlandesgericht München, das sein Akkreditierungsverfahren für den NSU-Prozess für Journalisten nach einem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts komplett wiederholen musste, legte Bayern im vergangenen Juni einen Vorschlag für eine Gesetzesänderung vor. Erstmals sollen in Verfahren von großem öffentlichen Interesse Videoüberspielungen in einen angrenzenden Presseraum erlaubt werden. Bisher ist umstritten, ob das geltende Gerichtsverfassungsgesetz das zulässt. Um auf Nummer sicher zu gehen, erlauben deshalb die meisten Richter nur Papier und Bleistift in Gerichtssälen. Jedes Tonband und jede Kamera sind verbannt, sobald vorn die Richter Platz genommen haben.

Da es in dieser Frage aber keine politischen Lager mehr gibt, sondern Justizminister aller politischen Farben ernsthaft über eine Erweiterung debattieren, könnte jetzt ein Konsens gefunden werden. Bis dahin wird aber noch heftig gestritten. Auch das machte die Triberger Tagung mit dem Titel „Live aus dem Gerichtssaal?“ deutlich. Vor allem aus Anwaltschaft und Richterschaft kommt Ablehnung. Rechtsanwalt Achim Bächle, der den Vater des Winnender Amokläufers vor Gericht vertrat, gab in Triberg zu Protokoll: „Ich vertrete den Angeklagten, und es ist meine Aufgabe, die Würde dieses Menschen zu schützen.“ Eine Kamera vor dem Gesicht verletze nicht nur die Rechte eines Angeklagten, sondern verändere auch das Aussageverhalten von Zeugen. Einer reinen Tonübertragung in einen Presseraum verschloss sich der Stuttgarter Strafverteidiger allerdings nicht. Wenn man erst einmal etwas freigebe, käme sofort die Forderung nach mehr, so anwesende Richter. Justizminister Stickelberger gab jedoch zu bedenken, dass die Justiz keine Lobby habe, wenn sie ihre Arbeit abschotte. Ursula Knapp

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