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Besucher in der "Halle der Namen" in Yad Vashem.

© AFP

Kampf gegen Antisemitismus: Yad Vashem sollte Teil der Schulpflicht sein!

Die Erinnerungspolitik blickt aufs Gestern, junge Leute erreicht das oft nicht. Besser wäre ein Besuch in Jerusalem, wo es auch um Zukunft geht. Ein Gastbeitrag.

Europaweit wächst der Hass auf Juden. In Deutschland hat der Antisemitismus den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht. Die gewaltsamen Übergriffe auf Juden sind in Deutschland und Frankreich drastisch gestiegen. In Großbritannien haben jüngst etliche Labour-Abgeordnete die Fraktion verlassen, weil ihr der Kurs der Partei zu antisemitisch wurde. In allen drei Ländern sinkt der Anteil der jüdischen Bevölkerung. Hate Speech, Beleidigung und die Angst, als Jude in der Öffentlichkeit erkannt zu werden, ist inzwischen das „neue Normal“, so das Ergebnis der bislang größten Befragung unter Juden in Europa im Auftrag der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. 90 Prozent der Befragten geben an, dass der Antisemitismus in ihrem Land gestiegen sei. Neben dem alten, einheimischen gibt es einen neuen, zugewanderten Judenhass. Mit den neuen Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und Afrika wanderten auch Vorurteile und Verschwörungstheorien ein.

Der Besuch einer historischen Gedenkstätte bewirkt wenig bei jungen Menschen, die in einer virtuellen Welt der Reiz- und Informationsüberflutung aufwachsen und noch nie einem Juden im Leben begegnet sind. Mit dem „Nie Wieder“ ihrer Großeltern und Eltern können diese wenig und die Jugendlichen mit Migrationserfahrung nichts anfangen. Die real existierende Erinnerungspolitik hat andere Gruppen und Religionen wie Türken, Muslime und Afrikaner schlicht vergessen. Dabei hat jeder dritte Schüler in Deutschland einen Migrationshintergrund. Für das neue Einwanderungsland Deutschland lautet die Herausforderung in Zukunft: Integrationspolitik wird auch zur Identitätspolitik. Wie und wo lernen Einheimische wie Eingewanderte gemeinsam, was es heißt, Deutscher zu sein? Übernimmt, wer sich hier einbürgern lässt, auch die historische Verantwortung?

Der Kampf gegen den Judenhass muss europäisch geführt werden

Der alte und neue Judenhass ist eine Herausforderung für ganz Europa. Europa muss daher gemeinsam aktiv werden. Der Spitzenkandidat der konservativen EVP-Fraktion Manfred Weber (CSU) regt eine Initiative, einen „Pakt gegen Judenhass“ an. Drei Punkte sind dabei entscheidend.

Erstens: Der Kampf gegen Judenhass muss Teil der europäischen Staatsräson werden. Voraussetzung ist eine europaweite Definition von Antisemitismus, die auch Angriffe gegen den Staat Israel einbezieht. Alter und neuer Judenhass sind untrennbar mit der Feindlichkeit gegen Israel verwoben. Israel spielt bislang in der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ebenso wenig eine Rolle wie der Islam. Antisemitismus betrifft alle Religionen. Antisemitische Parallelgesellschaften darf es in Europa nicht geben.

Zweitens: Der Erinnerungspolitik fehlt die Auseinandersetzung mit der Zukunft. Neben dem historischen Wissen geht es künftig auch um soziale und kulturelle Kompetenzen und Identitäten. Integration bedeutet die Annahme einer erweiterten Identität. Es geht darum, Geschichte nicht nur als Vergangenheit, sondern als Verantwortung für die Zukunft zu begreifen und zu erfahren. Was macht Geschichte mit mir selbst? Welche Schlüsse ziehe ich daraus für die Zukunft?

Ein Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem sollte für alle 14- oder 15-Jährigen Pflicht sein

Eine Antwort wäre drittens ein von der EU finanzierter Schüler- und Jugendaustausch mit Israel. In Israel besuchen auch aus Afrika oder Marokko stämmige Juden die nationale Gedenkstätte für die Shoa (den Holocaust) in Jerusalem. Warum nicht auch europäische Jugendliche aus Syrien, Afrika und der Türkei? Ein Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem sollte für jeden 14- oder 15-Jährigen Teil der Schulpflicht sein. Die Gedenkstätte ist die modernste weltweit, Geschichte, Gegenwart und Zukunft sind miteinander verbunden. Drei Tage dort bewirken bei Jugendlichen mehr als 30 Tage Geschichtsunterricht. Einer Geschichte, die weiterlebt - auch weil Israel von Nachbarn umzingelt ist, die sein Recht auf Existenz verneinen.

Europa braucht einen Neustart im Kampf gegen den alten und neuen Judenhass. Es geht um beides: Erinnerung und Engagement. 

- Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und Gründer des Instituts für Zukunftspolitik (www.zukunftspolitik.de). Er war von 1991 bis 1993 als Freiwilliger an der genannten Gedenkstätte Yad Vashem tätig.

Daniel Dettling

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