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Einsamer nie als im November. Leben in Coronazeiten.

© Shutterstock / Ekkaratk

Kampf gegen Corona: Das Ende des gesellschaftlichen Miteinanders

Ob der Alltag bis Weihnachten ins Leben zurückkehrt? Was die soziale Isolation zu dieser Jahreszeit bedeutet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Der November ist der Monat der Stille, jahreszeitlich und durch den Gedenktagekalender bedingt. Allerheiligen, Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag, das sind die Wegmarkierungen, die uns von der Kindheit an begleiten, ganz gleich, ob wir nun in kirchlich geprägten Elternhäusern aufgewachsen sind oder in einer laizistischen Umgebung sozialisiert wurden.

Für Bars, Hotels, Restaurants, Sporteinrichtungen hat das alles nie eine Rolle gespielt. Bislang konnte, wer wollte, der Stimmung des Erinnerns und Trauerns durch verweigerte Teilnahme entkommen. 2020 wird das erstmals nicht gelingen. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, auf die sich Bund und Länder am Mittwoch einigten, sind einschneidend. Für die Gastronomie, aber auch für Kultureinrichtungen, Sportcenter und den Tourismus können sie sich erneut existenzgefährdend auswirken.

Zu rechtfertigen sind sie nur aus der Hoffnung, durch diese weitgehende Einstellung des gesellschaftlichen Miteinanders die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf diese Weise reduzieren zu können. Aus der Hoffnung, dass im Weihnachtsmonat dann ganz vorsichtig wieder der Alltag ins Leben einziehen kann, dass sich vor allem die Familien besuchen dürfen.

Weihnachten ohne Enkel?

Weihnachten ohne Kinder und Enkel ist für Ältere ein nur schwer zu ertragender Schmerz. Die Großeltern treffen und umarmen zu dürfen, ist Fünfjährigen ein Herzensbedürfnis. Für diese Großeltern selbst aber ist es mit dem Gedanken verbunden, dass jede gemeinsame Weihnacht die letzte gewesen sein könnte.

Das gilt umso mehr, wenn diese Menschen allein leben oder krank sind, ob in einem Altersheim oder noch in den eigenen vier Wänden. Die seelischen Qualen des ersten Lockdowns der Altenheime im Frühjahr mit ihren herzzerreißenden Situationen will und darf die Politik den Betroffenen nicht noch einmal zumuten. Was da geschah, empfanden viele der Betroffenen als einen Tod auf Raten.

Aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns haben alle auch gelernt, dass es falsch war, Schulen und Kitas zu schließen. Gerade für kleine Kinder aus schwierigen Verhältnissen war das eine schlimme Zeit mit vielleicht jahrelangen Folgen für die Entwicklung. Vereinsamen und verzweifeln können aber auch junge Erwachsene.

Viele von ihnen sind ja noch ungebunden. Wenn jede Begegnung außerhalb einer festen Beziehung schon deshalb unterbunden wird, weil sich mehr als zwei Menschen zu einer privaten Party treffen, kann der Staat nicht mit viel Verständnis durch die Betroffenen rechnen.

Wieviel Vertrauen brauchen Demokratien?

Ist es da nicht besser, unter nachvollziehbaren Bedingungen Begegnungen zu erlauben, als alles gesellschaftliche Leben zu unterbinden – und dies in dem Bewusstsein, dass Verbote überall dort unterlaufen werden, wo mangelnde staatliche Kontrolle das ermöglicht? Wie weit darf, wie weit muss die Regierung eines demokratischen Landes sogar darauf vertrauen und bauen können, dass die Einsichtsfähigkeit mündiger Bürger ausreicht, zu erkennen, welches Verhalten vertretbar ist?

Zu erfassen, welches Tun nicht mehr kalkulierbare Risiken für die Allgemeinheit nach sich zieht? Gilt nicht auch hier der grundlegende Satz des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass der freiheitliche Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann?

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Dem kann man entgegenhalten, dass bei manchen Mitbürgerinnen und Mitbürgern der Verstand offenbar nicht ausreicht, unbestreitbare Risiken zu erfassen. Ja, fast jeder kennt Menschen, die einem auf alle Vorhaltungen forsch entgegnen, ob man denn selbst überhaupt jemand kenne, der an Covid-19 erkrankt sei – in der Annahme, die Infektionsraten seien bislang so niedrig gewesen, dass von einer Pandemie eigentlich gar keine Rede sein könne.

In Norditalien lautet die Frage oft eher: „Wie viele deiner Bekannten, die Corona hatten, haben überlebt?“

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