zum Hauptinhalt

Politik: Kampf mit Visa

Die Affäre um Fischer ermutigt die CDU in Nordrhein-Westfalen – Rot-Grün sucht eine Gegenstrategie

Von Matthias Meisner

Peer Steinbrück schmeckt ganz und gar nicht, was sich da zusammenbraut. Viele Menschen würden die Visa-Affäre gedanklich verbinden mit der Bedrohung ihres Arbeitsplatzes, sagt der SPD-Regierungschef von Nordrhein-Westfalen. Die Verknüpfung mag unlogisch sein. Doch auch die „gefühlte Temperatur“, wie Steinbrück es ausdrückt, spielt eine Rolle. „Insofern ist das Thema ernst zu nehmen und nicht zu unterschätzen.“ So sieht die Gedankenkette vieler Wähler aus, fürchtet Steinbrück: Über fünf Millionen Arbeitslose, davon eine Million in NRW – und der grüne Außenminister Joschka Fischer verantwortlich dafür, dass massenhaft Schwarzarbeiter nach Deutschland kamen?

Zweieinhalb Monate sind es noch bis zur Landtagswahl am 22. Mai im größten Bundesland. Und mindestens bis jetzt haben SPD und Grüne keine klare Strategie, wie sie den Vorwürfen begegnen wollen. Nicht in Berlin, wo diskutiert wird, wann Fischer denn nun vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen soll. Und auch nicht in Düsseldorf, wo jeder der Koalitionspartner eine andere Sprache spricht: Die Grünen verteidigen Weltoffenheit, während die SPD beteuert, sie nehme Ängste der Bürger ernst.

Dass Rot-Grün vor dem Hintergrund der Visa-Affäre vor zwei Wochen in Schleswig-Holstein um ein Haar die Wahl verlor, hat der Opposition Mut gemacht. An diesem Samstag ist CDU-Landesparteitag in Bochum. „Zwangsläufig“ sieht Parteichef Jürgen Rüttgers die Visa-Debatte als Wahlkampfthema. Die Argumente hat er sich zurechtgelegt – und will Fischer nicht durchgehen lassen, sich „mit einer Mischung aus Wehleidigkeit und Angriffen gegen die Opposition“ aus der Affäre zu ziehen.

Vor der Rede Fischers, vergangenen Samstag auf dem Grünen-Parteitag in Köln, hatten Steinbrück und SPD-Landeschef Harald Schartau die Grünen vor „Ausweichen und Taktieren“ gewarnt. Inzwischen wollen beide Politiker enorm abgerüstet haben, um den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden. Die „Hoch-Zeit“ der Affäre sei vorbei, reden sich die Genossen ein. Ängste bleiben. Bärbel Höhn, Umweltministerin und Grünen-Spitzenkandidatin, sagt, ihrer Partei blase „durchaus der Wind ins Gesicht“. Auch Vizepremier Michael Vesper sieht die Grünen in der Defensive. Fast flehentlich meint er: „Da hilft es überhaupt nicht, wenn der eine Koalitionspartner auf den anderen eindrischt.“ Und wann nun Fischer in Berlin vernehmen? Steinbrück hat Signale, dass es noch vor dem 22. Mai klappt. Doch in der Woche vor der Wahl soll es nach dem Willen der NRW-Grünen „bloß nicht“ passieren. Haben da welche Bedenken, dass Fischer wegen einer schlecht vorbereiteten Aussage am Ende noch zurücktreten muss?

Jedes Wort kann auf die Goldwaage gelegt werden, das haben die Akteure in NRW schon erfahren. Höhn bedauert ihren Satz, dass Frauen, insbesondere Prostituierte, häufig in einer viel schlimmeren Situation seien, wenn sie illegal hier sind, als wenn sie ein gültiges Visum besitzen. Die Opposition interpretierte das so: Höhn finde Zwangsprostitution mit Visum besser als ohne Visum. Auch Rüttgers ahnt, dass er überzogen hat. Er hat die Visa-Affäre eine „massenhafte Menschenrechtsverletzung“ genannt, die nach 1945 ohne Vergleich sei. Heute danach gefragt, wiegelt er ab: „Da müsste ich einen Zettel haben, tut mir Leid.“

Zur Startseite