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Politik: Kampf um die Köpfe

Den EU-Beitrittsländern laufen die Fachkräfte davon – denn die sind in den alten Mitgliedsstaaten sehr willkommen

Das Hauptpostamt in der litauischen Hauptstadt Vilnius bietet neben klassischen Zustelldiensten auch Blumen, Glückwunschkarten – und neuerdings Chancen im Ausland. „Legale Arbeit in 1000 Ländern“ lockt der Schalter, den eine private Arbeitsvermittlung von der Post gemietet hat. Doch Arbeitsvermittler Gintautas Martinkus schickt die meisten Bewerber umgehend wieder nach Hause – vor allem, wenn sie in EU-Staaten gehen wollen. Die Mehrzahl der alten EU-Länder macht von den bis zu siebenjährigen Übergangsfristen Gebrauch und versperrt den neuen EU-Bürgern vorerst weiter den Arbeitsmarkt.

Doch: Wer einen Beruf ausübt, der in Westeuropa besonders gefragt ist, hat sehr wohl Chancen, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Junge Informatiker etwa, seien gleich nach der Ausbildung verschwunden, erläutert Martinkus: „Die machen ihren Abschluss, und weg sind sie.“ Für die baltischen Staaten wird die Abwanderung von Fachkräften indes schon jetzt zu einem Problem. Alice Lugna von der internationalen Abteilung des estnischen Arbeitsamts klagt: „Bei uns werden schon Ärzte, Krankenschwestern, Metallarbeiter und Elektriker knapp.“ Solche Menschen vermittele sie gar nicht ins Ausland: „Wir haben sie ausgebildet. Wir brauchen sie hier.“

Die Arbeitsmärkte sind der wunde Punkt der EU-Osterweiterung - und zwar auf beiden Seiten. Der Ökonom Kurt Hübner von der Universität York spricht sogar von einer schweren Hypothek für die Beitrittsstaaten. Das Horrorszenario: Immer mehr Fachleute wandern ab, und zurück bleibt ein Heer von Ungelernten und Unfähigen. Denn die vielen, meist gut ausgebildeten Fachkräfte besonders aus dem Bereich Naturwissenschaften sind das eigentliche Kapital der eher rohstoffarmen Beitrittsstaaten.

Estland habe den Abgang etwa jedes zweiten Forschers zu verkraften, bestätigt Jaak Aviksoo, Direktor der traditionsreichen Universität Tartu: „Alle meine Doktoranden arbeiten in den USA.“ Er hoffe aber, dass die Forscher aus dem Westen zurückkehren und dann diese Lücken füllen können. Eine von ihnen ist die Biochemikerin Maris Laan. „In den USA gibt es zwar mehr Geld und bessere Laborbedingungen", sagt sie. Aber da sei man nur eine Wissenschaftlerin von vielen. In Estland könne man schneller aufsteigen. Laan trieb es nach Jahren in Helsinki und München zurück an das Institut des bekannten estnischen Genforschers Andres Metspalu. Dieser, der mit seinem Humangenomprojekt weltweit für Furore sorgt, hofft, auch Forscher aus Deutschland nach Estland zu locken.

Der Kampf um die klügsten Köpfe wird sich verstärken. Denn auch in den Beitrittsländern werden zu wenige Kinder geboren. Estland etwa gehört zu den am schnellsten alternden Ländern der Welt. Auf eine stärkere Einwanderung, die bald nötig werden dürfte, sind die nationalbewussten Bürger der neuen EU-Staaten indes schlecht vorbereitet.

Jan Pallokat[Vilnius]

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