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Der Chef der sozialdemokratischen PSOE, Pedro Sanchez, will eine Reform der Autonomiestatute debattieren.

© REUTERS/Juan Medina

Kampf um Katalonien: Spaniens Oppositionsführer schlägt Verfassungsreform vor

Der Parteichef der Sozialdemokraten kündigt eine Kommission an, die schon bald über die "Modernisierung der Autonomen Gesellschaften" beraten soll. Ein mögliches Vorbild: Kanada.

Nach den kleinen und großen Dramen, nach den Protesten der Katalanen und den Märschen der Zentralspanier, den Reden von Ministerpräsident Manuel Rajoy in Madrid und von Regionalchef Carles Puigdemont in Barcelona deutet sich – äußerst vage – an, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Obwohl der rechtskonservative Rajoy jede Verhandlung über die Sezession Kataloniens auch am Mittwoch ablehnte, erklärte der Parteichef der ebenfalls mächtigen Sozialdemokraten, Pedro Sanchez, immerhin: Zusammen mit dem Ministerpräsidenten sei er sich einig, man könne demnächst über eine Verfassungsreform diskutieren.

Rajoy und seine Partido Popular, die PP, und Oppositionsführer Sanchez von der PSOE hätten demnach die Gründung einer Kommission vereinbart, die schon in diesem Winter über die "Modernisierung der Autonomen Gemeinschaften" beraten soll. Dazu zählt auch Katalonien, dessen Bewohner offenkundig mindestens mehr Autonomie wollen. Es gehe dabei darum, sagte Sanchez spanischen Medien zufolge, „wie Katalonien in Spanien bleibt, nicht darum, wie es Spanien verlässt“.

Katalonien könnte mehr Autonomie erhalten - aber in Spanien bleiben

Nun hätte Rajoy die Chance, den Separatisten ihre eigene Idee näherzubringen. Schließlich diskutierten gerade die Radikaleren unter ihnen, viele sozialistische Linke, zuletzt folgende Möglichkeit: Die Katalanen erklären sich zu einer autonomen Nation innerhalb Spaniens. Sie dürfen über ihre inneren Angelegenheiten selbst entscheiden – und handeln alle weiteren Details mit der Zentralregierung in Madrid aus. Es entstünde ein deutlich autonomeres Gebiet als bislang, eine Region, die ihre Außen- und Verteidigungspolitik aber immer noch dem größeren Gesamtstaat überlässt.

Spaniens Regierungschef Rajoy forderte am Mittwoch eine Antwort aus Barcelona: Seid ihr nun unabhängig oder nicht? Er bot indirekt aber Gespräche an.
Spaniens Regierungschef Rajoy forderte am Mittwoch eine Antwort aus Barcelona: Seid ihr nun unabhängig oder nicht? Er bot indirekt aber Gespräche an.

© White/dpa

Dafür zahlen die Katalanen dann selbstverständlich Steuern, wohl aber nicht mehr so viel wie bislang: 16 Prozent der 47 Millionen Bürger des Landes leben in Katalonien, sie erwirtschaften aber 26 Prozent der Steuereinnahmen. Und führen acht Prozent ihrer Wirtschaftsleistung im innerspanischen Finanzausgleich nach Madrid ab – das ist viel mehr, als etwa Bayern im deutschen Finanzausgleich an den Bund überweist. Historische Vorbilder gibt es jedenfalls. Selbst in Spanien genießt das Baskenland mehr Steuerfreiheit als Katalonien.

Katalonien ist wie Quebec eine bedeutende Region

Ähnlich war die Lage einst in Kanada. Dort haben die frankophonen Quebecer seit den 1960ern immer wieder einen eigenen Staat gefordert. Kanada wäre dann um seine größte und wirtschaftlich bedeutsamste Provinz kleiner geworden – ähnlich wie Spanien, wenn es Katalonien verlöre. Und während in Quebec linksnationalistische Militante sogar mit Bomben die Zentralregierung in Ottawa herausforderten, arbeiteten die Strategen dort an einer Dauerlösung: Quebec erhielt so viel Autonomie, wie es in einem Bundesstaat gerade noch zulässig ist. Und selbst die militanten Separatisten kamen mit vergleichsweise geringen Strafen davon. Nie bekamen die Separatisten in Quebec in einem Referendum eine Mehrheit, auch wenn es äußert knapp wurde. In den englischsprachigen, konservativeren Westprovinzen provoziert das Entgegenkommen bis heute viele Kanadier. Doch in Ottawa tastet man diesen Deal nicht an.

Anhänger des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Rajoys am Sonntag: Sie fordern, Verfassungsparagraf 155 anzuwenden - damit könnte Katalonien von Madrid zwangsverwaltet werden.
Anhänger des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Rajoys am Sonntag: Sie fordern, Verfassungsparagraf 155 anzuwenden - damit könnte Katalonien von Madrid zwangsverwaltet werden.

© Hannes Heine

Bevor es nur annähernd so weit ist, ja bevor überhaupt eine Debatte darüber entsteht, wer auf welcher Basis mit der katalanischen Führung spricht, spitzt sich die Lage zu: Die Ratingagentur Fitch erwartet, dass viele Firmen ihren Sitz aus Katalonien in andere Regionen verlegen werden. Nach der französischen warnte auch die italienische Regierung vor einer Eskalation in der Katalonien-Frage.

Droht Katalonien eine spanische Zwangsregierung?

Der katalanische Regionalpräsident Puigdemont hatte am Dienstag zwar die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt, deren Umsetzung aber als „verschoben“ bezeichnet, um mit Madrid verhandeln zu können. Ministerpräsident Rajoy sagte am Mittwoch, die Separatisten müssten jedem Versuch einer tatsächlichen Abspaltung abschwören. Sonst droht Madrid mit Entmachtung der Regionalregierung. Dies wäre offenbar durch Artikel 155 der spanischen Verfassung gedeckt. Ob das ohne den Einsatz bundesstaatlicher Gewalt, ja vielleicht sogar der Armee ginge, ist unklar.

Umfragen vor dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober hatten gezeigt, dass sich die meisten Katalanen zwar mehr Autonomie, aber keinen eigenen Staat wünschen. Nach dem Einsatz der prügelnden Bundespolizei in Katalonien könnte sich dies geändert haben. Der spanischen Verfassung von 1978 zufolge ist die Abtrennung einer Region illegal. Ähnliches galt auch im Fall Jugoslawiens. Dass aus dem Bundesstaat auf dem Balkan einzelne Länder wurden, begrüßten die EU- und Nato-Spitzen damals.

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