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So sieht Erleichterung aus: Justin Trudeau hatte mit reichlich Problemen während des Wahlkampfs zu tun – am Ende schnitt er besser ab als gedacht.

© Sébastien St.-Jean/AFP

Kanada hat gewählt: Justin Trudeau erhält eine zweite Chance

Kanadas Liberale verlieren bei der Parlamentswahl ihre absolute Mehrheit, sie können aber eine Minderheitsregierung bilden.

Für Kanadas Premierminister Justin Trudeau wird das Regieren schwieriger. Bei der Wahl am Montag verlor seine Liberale Partei die absolute Mehrheit im Bundesparlament, kann als Partei mit den meisten Sitzen aber die Regierung stellen. Seine Minderheitsregierung wird allerdings auf Unterstützung durch andere Parteien angewiesen sein.

Strahlend betrat Trudeau am frühen Dienstagmorgen den Saal eines Hotels in seinem Wahlkreis Montreal-Papineau, in dem er auf die Ergebnisse gewartet hatte und nun mit seinen Anhängern feiern sollte. Aber der Jubel der Liberalen konnte nicht verbergen, dass es mehr Erleichterung denn grenzenlose Genugtuung war. Nach fünf Wochen eines erbittert geführten, teils hässlichen Wahlkampfs konnte Trudeau aufatmen. Er hat eine zweite Chance bekommen, wonach es noch vor wenigen Wochen nicht ausgesehen hatte. Seine Partei geht zwar geschwächt aus der Wahl hervor, liegt mit 157 Sitzen aber doch klarer vor den Konservativen (121 Sitze), als von den meisten Umfragen prognostiziert worden war.

„Die Kanadier haben uns ein klares Mandat gegeben“, rief Trudeau den Mitgliedern der Liberalen Partei zu. Er werde sich bemühen, das Vertrauen aller Kanadier zu gewinnen. Er nannte den Kampf gegen Klimawandel, die Bemühungen um ein schärferes Waffengesetz und die Versöhnung mit den Ureinwohnervölkern des Landes als wichtige Aufgaben seiner Regierung.

Aber so klar ist das Mandat nicht. Die Liberalen sind nicht nur durch den Verlust von 30 Sitzen geschwächt. Nach dem Stand der Auszählung vom Dienstagmorgen liegen die Konservativen von Andrew Scheer mit 34,4 Prozent der Stimmen vor den Liberalen mit 33,1 Prozent. Nur das kanadische Wahlrecht, das auf dem Mehrheitsprinzip beruht, half den Liberalen, die meisten Wahlkreise und damit die meisten Sitze im Parlament zu gewinnen. Es gelang ihnen, in den bevölkerungs- und sitzreichen Kernprovinzen Ontario und Quebec ihre Bastionen zu halten. Zudem konnten die Liberalen ihre dominierende Position in den vier Atlantikprovinzen behaupten. Dies genügte, um die stärkste Fraktion zu stellen.

Aber Trudeau wird es schwer haben. Das Land ist gespalten. Die Liberale Partei ist die Partei Ost-Kanadas. Sie hat in der Ölprovinz Alberta und in Saskatchewan keinen einzigen Abgeordneten und in Manitoba nur vier von möglichen 14 Mandaten gewonnen. Die Aversionen gegen Trudeau und die Liberale Partei sitzen vor allem in Alberta sehr tief. Insbesondere seine Klimapolitik stößt in der Provinz auf Widerstand.

Koalitionen haben in Kanada keine Tradition

Andrew Scheer, der seinen ersten Wahlkampf als Parteichef der Konservativen bestritt, stand kurz vor dem großen Erfolg. Nach Einschätzung politischer Beobachter aber hat er mit seinem permanenten Kampf gegen Trudeaus Klimapolitik vor allem bei jungen Menschen und in den Ballungsgebieten Kredit verspielt. Zweifel, dass er der richtige Mann an der Spitze der Konservativen ist, wischte Scheer aber beiseite. Dass die Konservativen gestärkt aus der Wahl hervorgehen und beim Stimmenanteil sogar vorne liegen, sieht er als hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft. „Dies ist der erste Schritt. Wir sind die Regierung im Wartezustand“, sagte Scheer.

Kanada wird voraussichtlich von einer liberalen Minderheitsregierung geführt, denn Koalitionen haben in diesem Land keine Tradition. Er könnte rein rechnerisch mit der sozialdemokratisch orientierten New Democratic Party (NDP) von Jagmeet Singh eine Koalition eingehen, dies wird in Ottawa aber nicht erwartet. Trudeau wird sich stattdessen bemühen, die NDP für sein Regierungsprogramm zu gewinnen, eventuell auch die drei Grünen-Abgeordneten, die den Einzug ins Parlament geschafft haben. Auch der nur in Quebec antretende Bloc Quebecois, der gestärkt aus der Wahl hervorging, könnte in Sozial- und Umweltpolitik eine Regierung Trudeau unterstützen.

Trudeau wird hart arbeiten müssen, um Vertrauen zurückzugewinnen. Vielleicht wiederholt sich Geschichte. Justin Trudeaus Vater Pierre Trudeau hatte 1968 auf der Welle der „Trudeaumanie“ eine gewaltige absolute Mehrheit im Parlament errungen. Vier Jahre später konnte er sich nur mit Mühe durch einen Vorsprung von zwei Sitzen gegenüber den Konservativen im Amt halten und bildete eine von der NDP tolerierte Minderheitsregierung.

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