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Politik: „Kandidatin der Aufsässigkeit“

Frankreichs Sozialisten nominieren mit Ségolène Royal erstmals eine Frau für das Präsidentenamt

Eine „neue Seite in der Geschichte“ will sie schreiben. Diesem Ziel ist Ségolène Royal jetzt einen Schritt näher gekommen. Mit einer überraschend klaren Mehrheit ging sie in der Nacht zum Freitag aus der parteiinternen Abstimmung hervor, mit der Frankreichs Sozialisten ihren Kandidaten für die Wahl eines neuen Staatspräsidenten im Frühjahr 2007 kürten. 60,6 Prozent votierten für die amtierende Präsidentin der Region Poitou-Charentes. Auf ihre Konkurrenten, den früheren Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn und den ehemaligen Premier Laurent Fabius entfielen 20,8 beziehungsweise 18,5 Prozent. Der Ausgang der Abstimmung, an der sich 80 Prozent der 219 000 Parteimitglieder beteiligten, entsprach damit ungefähr den Sympathiewerten, die zuvor in Umfragen unter Anhängern der Sozialisten ermittelt worden waren.

„Die Franzosen wollen, dass sich die Dinge ändern. Diese Änderung will ich verkörpern und ihr Glaubwürdigkeit verleihen“, erklärte Royal. Sie sei nicht euphorisch, aber sie werde die „Kandidatin der Aufsässigkeit“ sein, sagte sie. Es war kurz vor Mitternacht, als sie nach Bekanntwerden des Ergebnisses in Melle, dem Hauptort ihres in Westfrankreich gelegenen Wahlkreises, mit diesem Versprechen vor die Kameras trat. Die 53-Jährige hat den Wahlkreis seit 1988 vertreten und gehörte mehreren Regierungen der Linken als Ministerin für Umwelt, Familie oder Erziehung an.

Ihren Siegeszug trat sie sozusagen aus dem Nichts an. Sie hat nie ein hohes Parteiamt innegehabt und stützt sich auch auf keine Hausmacht. Mit ihrer politischen Vorstellung einer nicht näher präzisierten „partizipativen Demokratie“, ihrer Kritik an der 35-Stunden-Woche sowie dem Vorschlag militärischer Erziehungslager für jugendliche Delinquenten stieß sie auf heftigen Widerspruch. Ihre Waffe ist ihre von ihren Gegnern als „Medienblase“ unterschätzte Popularität bei Mitgliedern und Wählern der Partei.

Mit der Kandidatenkür hätten die Sozialisten jetzt einen Vorsprung, räumte Patrick Devidjian, ein Berater von Nicolas Sarkozy, dem Vorsitzenden der Regierungspartei UMP und voraussichtlichen Kandidaten der Rechten, ein. Es gebe keine Zeit mehr zu verlieren. Nach den bisherigen Planungen will sich Sarkozy erst Mitte Januar nominieren lassen. Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass es zwischen Royal und ihm zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen kommen könnte.

Royal ist nicht die erste Frau, die zu einer Präsidentschaftswahl antritt, aber die erste Kandidatin, die als Repräsentantin einer großen Partei tatsächlich Aussichten hat, das höchste Amt der Republik zu bekleiden. Die Parteiwahl habe eine Dynamik freigesetzt, die weit über das Lager der Sozialisten hinausgehe, sagte der Bürgermeister von Dijon, François Rebsamen, der als zweiter Mann der Partei voraussichtlich Royals Wahlkampfdirektor sein wird. Wichtig sei nun, dass sich die Partei nach den zurückliegenden, zum Teil erbittert geführten Auseinandersetzungen hinter Royal zusammenschließe.

In der Umgebung von Strauss-Kahn und Fabius, die für sich ein besseres Abschneiden erwartet hatten, war der Wahlausgang wie ein Schock empfunden worden. In 101 von 104 regionalen Verbänden waren sie von Royal geschlagen worden. Erst mit Stunden Verzögerung sicherten sie der Siegerin ihre Unterstützung zu. Für einen Ausgleich setzte sich auch François Hollande, der Parteichef und Lebensgefährte Royals, ein. Sieger sei die Partei, sagte er, ohne sich eine Äußerung seiner persönlichen Gefühle entlocken zu lassen. Während die parteiinterne Debatte beendet ist, wie die frühere Arbeitsministerin Martine Aubry, eine der schärfsten Gegnerinnen Royals, sagte, zeichnen sich schwierige Kontroversen mit den Kommunisten und anderen Kräften links von der Partei ab. Auf ihre Stimmen, die 2002 dem Sozialisten Lionel Jospin gefehlt hatten, könnte auch Royal im Frühjahr angewiesen sein. KPF-Chefin Marie-Georges Buffet warnte bereits vor einer „zweiten Enttäuschung“.

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