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Politik: Kanzler, Dichter, Westerwelle

Von Bernd Ulrich Heute Abend will der Kanzler mit Martin Walser über die Nation diskutieren. Anlass ist eine Gedenkveranstaltung der SPD zum Tag der Kapitulation Nazi-Deutschlands.

Von Bernd Ulrich

Heute Abend will der Kanzler mit Martin Walser über die Nation diskutieren. Anlass ist eine Gedenkveranstaltung der SPD zum Tag der Kapitulation Nazi-Deutschlands. Wer hört, was gegen dieses Zusammentreffen von Kanzler, Walser und 8. Mai vorgebracht wird, könnte versucht sein, Redefreiheit für den Dichter zu fordern. Eine selbst ernannte „Antifaschistische Aktion Berlin“ ruft zur Demonstration auf, und ein „Berliner Bündnis gegen Antisemitismus“ bezichtigt Walser des Antisemitismus. Michel Friedman fragt, warum die SPD nicht Günter Grass eingeladen habe, der sei über alle Zweifel erhaben.

Über alle Selbstzweifel erhabener Protest – das wäre es wohl, was einen zur Parteinahme für den Kanzler bewegen könnte. Denn natürlich ist Martin Walser kein Antisemit, er ist wahrscheinlich nicht einmal Nationalist. Der Widerspruch, den er nun erntet, geht zurück auf eine Rede, die er vor fast vier Jahren gehalten hat. Damals sprach er von der „Moralkeule“ Auschwitz und von der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“. Ganz falsch war das nicht, denn natürlich hat die deutsche Linke Auschwitz instrumentalisiert, gegen andere und gegeneinander.

Trotzdem war Walsers Rede unangemessen, im Kern eitel. Zu der Zeit war die Schlacht schon geschlagen, die Keulen schwingende Linke musste nicht nochmal besiegt werden. In Wahrheit entstand damals ein ganz anderes Problem: nicht mehr die Last der Schuld, die Allgegenwart der Schande, sondern das leise, unpolitische Vergessen. Diese neue postmoderne und postnationalistische Vergesslichkeit ist kein Machwerk junger Revisionisten oder angeekelter alter Männer wie Walser – sie ergibt sich schlicht aus dem Fortschreiten der Zeit.

Langsam kommt eine Generation an die Schaltstellen der Republik, die den Nationalsozialismus weder aus eigenem Erleben kennt, noch in existenzieller Kontroverse mit den Eltern durchlebt hat; die Auschwitz, anders als die 68er, auch nicht als Zentrum ihrer politischen Bewusstwerdung sieht. Die heute 40-Jährigen haben die Schuld und ihre Konsequenzen über Bücher und Filme gelernt. Sie haben das nicht im Blut, sondern im Kopf. Und die deutsche Geschichte und die daraus folgenden Regeln für die Gegenwart zu übernehmen, resultiert nicht aus Erfahrung, sondern aus Entschluss. Natürlich steht diese Generation nicht mehr in der Gefahr, vor lauter Vergangenheit die Zukunft zu verlieren. Es könnte höchstens passieren, dass die Mindeststandards verwischen und in aller Freiheit ein bisschen anti-israelisch oder antisemitisch dahergeredet wird.

Auffälligster Exponent dieser 40-Jährigen, die jetzt „dran“ sind, ist Guido Westerwelle. Er toleriert in seiner Partei anti-israelische und antisemitische Töne; er nimmt es hin, dass ein grüner Landtagsabgeordneter zur FDP wechselt, der Scharon mit den Nazis verglichen hat. Gerade erst gab der Neu-Liberale Jamal Karsli ein Interview in der „Jungen Freiheit“, die wegen antisemitischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Nun kann man dort Interviews geben, das ist noch Geschmacksache. Grund für ein Parteiausschlussverfahren wäre in einer Vor-Westerwelle-FDP jedoch folgende Äußerung Karslis in der „Jungen Freiheit“ gewesen: „Man muss allerdings zugestehen, dass der Einfluss der zionistischen Lobby auch sehr groß ist. Sie hat den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne und kann jede noch so bedeutende Persönlichkeit kleinkriegen.“ Eine zionistische Verschwörung also – das kennen wir schon.

Dass Westerwelle solches duldet, dass Möllemann es unterstützt, dass antisemitische Töne Konjunktur haben, wirft wiederum Fragen an die Veranstaltung des Kanzlers mit Walser auf. Was will er mit der Kombination Walser, Nation, 8. Mai sagen? Hoffentlich nichts Besonderes. Doch könnte es auch sein, dass er hier eine neue nationale Unbefangenheit demonstrieren will. Nur: Propagierte Normalität ist schon keine mehr. Kein Kanzler kommt aus der deutschen Dialektik heraus, dass zu unserer Normalität die lebendige Erinnerung an etwas ganz und gar Unnormales gehört. Offenbar irrlichtert der Kanzler hier, unterschätzt er die Risiken einer haltlosen Normalisierung.

Dabei will dieser Kanzler doch auch ein ernster Mann sein, in ernsten Zeiten.

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