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Politik: Kanzler

SCHRÖDER, FISCHER, EU Ein bisschen

Von Christoph von Marschall

Heute ist einer der entscheidenden Tage in den Koalitionsgesprächen. Es geht um die Zuständigkeit für ein Thema, das jedem Bürger bei Lebensmitteln und Verbraucherschutz begegnet, das jetzt schon weite Teile der Innen-, Wirtschafts-, Finanz- und Rechtspolitik beherrscht und an Bedeutung immer noch weiter zunimmt: Europa.

Spannend könnte es sogar für jene werden, denen die EU zu abgehoben erscheint. Denn die Frage – wem gehört Europa: dem Kanzler oder dem Außenminister? – ist eine der wenigen, die in der ersten rot-grünen Regierung für Zoff sorgten. Fischer hatte mit der Humboldt-Rede seinen Anspruch angemeldet, in der EU ein entscheidendes Wort mitzureden. Gerhard Schröder dachte im Frühjahr laut über die Notwendigkeit nach, im Kanzleramt einen Europaminister zu installieren, der alle EU-Aktivitäten der Fachressorts koordiniert – eine Demonstration seiner Vorstellung von Koch und Kellner bei den Europa-Menüs.

So weit wird es nicht kommen. Die Kräfte-Konstellation hat sich verändert, Schröder verdankt Fischer den Verbleib im Kanzleramt, da wird er dem Außenminister diese Kernkompetenz jetzt weder streitig machen wollen noch können.

Wie beruhigend für viele in Deutschland und in Europa. Gerhard Schröder hat einiges für den Ruf getan, er lasse sich in der EU-Politik eher von kurzfristigen Vorteilen leiten. Als Lobbyist der deutschen Autobauer stemmte er sich gegen die Altauto-Verordnung; und wehe, die Wettbewerbshüter verbieten ihm staatliche Finanzspritzen zur wählerwirksamen Rettung von Pleitekandidaten wie Holzmann oder Mobilcom. Joschka Fischer traut man es eher zu, die langfristigen deutschen Interessen im Auge zu behalten: Wie lässt sich die bürokratische, kopfgesteuerte EU zu einer demokratischen Union entwickeln mit einer gerechten Machtverteilung zwischen großen und kleinen Staaten, die aber nicht auf Kosten der Handlungsfähigkeit geht? Und mit Mechanismen, die die Bürger verstehen.

Die aktuelle Kräfte- und Personalkonstellation ist eine Sache. Eine andere ist die grundsätzliche Frage, ob Deutschland ein Europa-Ministerium braucht – und wo es angesiedelt sein sollte. Die wachsende Bedeutung der EU hat Frankreich, Großbritannien und Italien, dazu Dänemark, veranlasst, ein eigenes Europaministerium einzurichten. Aus zwei Gründen. Brüssel greift längst in viel zu viele Lebensbereiche ein, als dass der Regierungschef oder sein Außenminister Europa nebenher miterledigen könnten – wie das unter Adenauer und de Gaulle oder selbst unter Schmidt und Giscard noch gehen mochte. Zweitens tagen unzählige Ministerräte der Fachressorts, können sich aber häufig nicht einigen: sei es untereinander oder weil die Runde der nationalen Wirtschaftsminister andere Interessen vertritt als die der Umweltminister. Streitfälle bleiben oft bis zum nächsten EU-Gipfel der Staatschefs liegen – und lähmen ihn.

Ein Koordinator, der alles im Blick hat, wird aber nur Abhilfe schaffen, wenn sein Wort dann auch gilt – und nicht durch den Einspruch mal des Finanz-, mal des Justizministers wieder zu Fall gebracht wird; das zeigen die Erfahrungen mit den Europaministern in der EU, die in der Regel dem Außenminister unterstellt sind. In Deutschland bräuchte er dafür im Zweifel die geliehene Autorität des Kanzlers. Wenn aber die langfristig richtige Ansiedlung im Kanzleramt in der aktuellen Konstellation politisch kaum möglich erscheint, dann könnte es fürs Erste sogar ein akzeptabler Kompromiss sein, einen Mann aus Schröders Umgebung wie Hans Martin Bury dem EU-freundlichen Außenminister beizuordnen. Der dann ein bisschen Kanzler wäre.

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