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Kanzlerkandidat Steinbrück sagt gern, was er denkt.

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Kanzlerkandidat Steinbrück: Um Kopf und Kragen

Das Motto lautet: „Klartext reden“. So will sich Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat empfehlen. Doch seine lockeren Sprüche bringen immer öfter Ärger mit sich. Kann er sich noch ändern?

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Es ist acht Uhr am Mittwochabend und Peer Steinbrück redet noch immer. Seit einer Stunde soll der offizielle Empfang der SPD zum baldigen Internationalen Frauentag vorbei sein. Die Kellner verteilen schon die Gläser mit Sekt. Steinbrück hat Zeit.

Eine wichtige Verabredung ist wenige Stunden zuvor offiziell abgesagt worden. Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano, gerade in Deutschland zu Besuch, möchte auf ein Abendessen mit Peer Steinbrück verzichten. Am Tag zuvor hat der Kanzlerkandidat der SPD zwei italienische Politiker als Clowns bezeichnet. Giorgio Napolitano ging das zu weit.

Drinnen im Saal ist Steinbrück der Ärger über diese Absage nicht anzusehen. Im schwarzen Anzug steht er neben der SPD-Frauenbeauftragten und redet über Gleichberechtigung. Seinen Vorrednerinnen hat er konzentriert zugehört, applaudiert, wenn ihm ein Statement gefallen hat. Italien ist weit weg, er erwähnt es mit keinem einzigen Wort.

Hier im Saal ist er der zukünftige Kanzler, er spricht von Projekten, die er durchsetzen will, „wenn im September der Wechsel kommt“. Die Frauen im Saal klatschen oft: Steinbrück fordert die Frauenquote und gleiche Bezahlung für Männer und Frauen per Gesetz. Das kommt gut an.

Doch „Klartext-Peer“ ist auch zu seinen Genossinnen nicht immer nett. Gegen Ende der Veranstaltung steht eine grauhaarige Frau aus den hinteren Reihen auf und tritt ans Mikrofon. Sie hat für die Regierung von Gerhard Schröder gearbeitet und beschwert sich, dass schon 1998 gleiche Bezahlung für alle versprochen wurde. Daran habe sich die SPD aber nicht gehalten. Wütend fragt sie: „Wie wollen Sie denn garantieren, dass das nicht wieder nur Sprüche sind?“ Die Frauen im Saal johlen und applaudieren.

Peer Steinbrück hebt die Stimme nicht, doch er antwortet scharf. „Wenn Ihnen das alles nicht gefällt hier, dann überlegen Sie mal, ob Sie in der richtigen Partei sind.“ Als es daraufhin aus dem Publikum einzelne Buhrufe gibt, lockert er seinen Krawattenknoten und fragt: „Ich werde hier ja wohl noch sagen dürfen, was ich denke?“ Er lächelt.

Später am Buffet unterhalten sich zwei Frauen. „Der war teilweise ganz schön aggressiv“, sagt die eine und deutet auf Steinbrück, der neben der Moderatorin steht und scherzt. „Typisch Peer“, sagt die andere. Beide kauen und nicken.

Sagen, was er denkt – das ist Steinbrücks Stärke und Steinbrücks Schwäche zugleich. Er selbst stilisiert sich als Politiker, der im Gegensatz zu anderen auch unbequeme Wahrheiten ausspricht. Und er verfügt über die rhetorischen Mittel, die Menschen zu beeindrucken, mit plastischen Bildern, mit saloppen Begriffen, mit Härte und Sarkasmus. Doch zugleich lässt er sich treiben von der Lust an Provokation. Er scheint noch immer nicht begriffen zu haben, dass ein knalliger Satz, der vor zwölf Monaten nur ein guter Scherz gewesen wäre, viel Schaden anrichten kann, wenn er von dem Mann kommt, der im Herbst das wirtschaftlich stärkste Land Europas führen will. Mehrfach schon hat sich Steinbrück bei den Genossen für seine Fehler entschuldigt. Und wenn man glauben konnte, er werde sich vorsehen, passierte wieder etwas.

Jetzt hat Steinbrück mit seiner Nachlässigkeit einen diplomatischen Eklat verursacht, der in Deutschland und Italien die Schlagzeilen auf den ersten Zeitungsseiten bestimmt.

Am Dienstagabend hatte die SPD zu einer Debatte mit ihrem Kandidaten in das „Kongresshotel“ am Stadtrand von Potsdam geladen. Das Motto der Veranstaltung hieß „Klartext mit Peer Steinbrück“. Es war der Auftakt von Steinbrücks Wahlkampf-Länderreise, die ihn in den kommenden Monaten durch ganz Deutschland führen soll.

Und tatsächlich gibt es in Potsdam ein kleines Zeichen dafür, dass die Fehltritte in den vergangenen Monaten bei Steinbrück doch verfangen hat.

Zumindest sagt er, als er dem Publikum die Spielregeln des Abends vorstellt, es gebe keine dummen Fragen: „Es gibt allenfalls dumme Antworten von mir. Und die versuche ich zu vermeiden.“

Das gelingt bekanntlich an diesem Abend nicht ganz. Eine Hand salopp in der Tasche, in der anderen das Mikrofon, steht der Kandidat neben einem Bistrotisch und sagt über die Wahl in Italien, er sei „entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben. Ein beruflich tätiger Clown, der auch nicht beleidigt ist, wenn man ihn so nennt – Herr Grillo –, und ein anderer, der definitiv ein Clown mit einem besonderen Testosteronschub ist.“

Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat mit dem Image des Nehmers

Im Saal kommt der saloppe Satz über Silvio Berlusconi, soweit sich das im Nachhinein rekonstruieren lässt, gut an. Doch Italiens Präsident Giorgio Napolitano reagiert sofort  darauf. Am nächsten Tag, als der politische Gegner auf Steinbrück einprügelt und ihm die Fähigkeit zum Kanzler abspricht, als ein Teil der eigenen Partei tapfer hinter ihm steht, will er von einer „dummen Antwort“ nichts wissen, verteidigt seinen Auftritt sogar. Mit schmalem Mund sagt er in eine Fernsehkamera hinein: „Ich habe Klartext geredet. So, und nichts anderes, und insofern habe ich das auch nicht wieder zurückzunehmen.“

Diesmal bleibt Steinbrück stur. Damit ist das Repertoire seiner Reaktionen auf öffentliche Kritik seit Beginn seiner prekären Kandidatur im Herbst vergangenen Jahres verwirrend vielfältig geworden: Der Kandidat hat abgewiegelt, er hat bekräftigt, er hat sich einsichtig gezeigt, er hat Versprechungen gemacht. Er hat sich sogar bei seiner Partei entschuldigt. Mit jedem Zeichen von Einsicht, mit jeder Verbeugung vor den Funktionären der SPD stand aber auch der Ruf als „Klartext“-Redner zur Disposition, den Steinbrück für seine große Stärke hält. Wohl deshalb hält er nun daran fest, keinen Fehler gemacht zu haben.

Dabei geht es gar nicht darum, einen Fehler zu korrigieren. Steinbrücks Problem ist ein anderes. Was er für Klartext, also die Wahrheit hält, wirkt oft vor allem herablassend. Es ist nicht bösartig gemeint, aber der Witz wird fast immer auf Kosten der Anderen gemacht.

So gibt auch unter Sozialdemokraten nur wenige, die noch bestreiten würden, dass seine Kandidatur schlecht läuft. Der „erste Tsunami“, wie Steinbrück-Unterstützer das nennen, überrollte den Kandidaten, als im Herbst der Umfang seiner Honorareinkünfte und vor allem die 25 000-Euro-Zahlung der Stadtwerke Bochum bekannt wurden. Seither sind seine Umfragewerte schlecht. Anfang dieses Jahres folgte der „zweite Tsunami“. Zumindest missverständliche Äußerungen über das zu geringe Kanzlergehalt in Deutschland festigten Steinbrücks Image als ein Politiker, den sein privates Einkommen womöglich mehr interessiert als das Gemeinwohl.

In einem Wahlkampf, in dem die SPD vor allem auf soziale Themen setzt, ist das für den Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten eine Belastung. Der Kandidat mit dem Image des Nehmers, der vor allem großzügig darin ist, verbal auszuteilen, passt schlecht zum Anspruch einer Partei, die mit Mindestlohn, bezahlbaren Mieten und gerechterem Kindergeld punkten will. „Wenn man ehrlich ist, geht’s bei allen unseren Wahlkampfthemen um Geld“, sagt ein SPD-Landesvorsitzender dazu.

Für manche Schwächen in Steinbrücks Kandidatur gibt es Erklärungen: Als der Kandidat überstürzt ausgerufen wurde, hatte er noch nicht einmal ein Team. Und das hat etwa dem Interview zum Kanzlergehalt oder dem schnell wieder eingestellten „Peer-Blog“ dann offenbar noch Mist gebaut.  Am Ende stellt sich die Frage, warum er sich nicht im Griff hat, wenn kein Helfer helfen kann. Ob sich ein Politiker noch ändern kann im Alter von 66 Jahren?

„Jetzt darf nichts mehr kommen“, hatte schon nach dem „ersten Tsunami“ ein gut vernetzter Sozialdemokrat aus dem Süden der Republik gewarnt und hinzugefügt: „Sonst rücken auch die von Steinbrück ab, die jetzt noch mit zusammengebissenen Zähnen zu ihm stehen.“

Auf der Klausurtagung der SPD-Spitze im Januar in Potsdam war es schon so weit, dass Parteichef Sigmar Gabriel Witze auf Steinbrücks Kosten machte. Als ein Sozialdemokrat eine Flasche Wein zum Geburtstag erhielt, sagte Gabriel: „Der ist teuer. Den muss Peer ausgesucht haben.“ Jeder im Saal wusste, dass er damit auf Steinbrücks Satz anspielte, er trinke keinen Wein, der weniger als fünf Euro koste. Irritiert registrierten Mitglieder der Parteiführung, dass sich Gabriel bei dem Treffen nicht in den Dienst des Kandidaten stellte, sondern ihm wenig Raum für eigene Akzente ließ und ihn damit als Nummer 1 der SPD infrage stellte.

Der italienische Präsident, der es erst war, der Steinbrücks Clown-Satz zum diplomatischen Vorgang gemacht hat, erweist am heutigen Freitag einem großen Sozialdemokraten die Ehre. Giorgio Napolitano spricht in der Vortragsreihe „Willy Brandt Lecture“ über die „Herausforderung einer europäischen Führung“. Die Gefahr neuer politischer Verwicklungen ist gering. Peer Steinbrück, der anstelle Angela Merkels Deutschland führen will und schon jetzt viele seiner Wähler herausfordert, wird in der Humboldt-Universität nicht im Publikum sitzen.

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