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Erzbischof Marx praesentiert Buch

© ddp

Kapital und Kirche: Bischof Marx predigt Karl Marx

Müssen wir Abbitte bei Karl Marx leisten? Weil wir ihn zu früh auf den Müll geworfen haben? Der das fragt, heißt auch Marx: Reinhard Marx. Er ist Erzbischof von München und radikaler Kapitalismuskritker. Dennoch: Er predigt nicht die Revolution, sondern Reformen.

Der Bischof hat die Hände ausgebreitet wie zum Segen. Plötzlich dreht er sie. Es ist nur ein winziger Ruck, aber nun wirken die Hände auf einmal wie Klauen – und da haut er zu: „Geierfonds“, ruft er. Und noch mal: „Geierfonds.“ Es könne nicht angehen, dass Hedgefonds strauchelnde Unternehmen kauften und zerschlügen, nur um Gewinn zu machen. Und die Staaten, die so etwas zuließen, seien nichts anderes als „moderne Räuberbanden“. Bei „Räuber…“ ist seine Stimme noch lauter geworden.

Es ist Mittwochvormittag, halb elf. Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, sitzt auf dem Podium der Karmeliterkirche und läuft zur Hochform auf. Der Saal vor ihm ist voller Journalisten, aus der ganzen Republik sind sie gekommen, denn der Bischof hat ein Buch geschrieben. Thema: die Wirtschaft. Thesen: dass der entfesselte Kapitalismus sich selbst zerstöre und die Gesellschaft gleich mit, und dass der Mensch sein Geld besser mit Arbeit denn Spekulieren verdiene.

Marx hat schon oft über das Thema geschrieben. Vor zwei Jahren noch wurde er dafür als „Herz-Jesu-Marxist“ verhöhnt. Aber inmitten der Finanzkrise, die Gewissheiten, Vertrauen und Sicherheit verschlungen hat, wird auch der Kirche wieder Gehör geschenkt. Die Startauflage des Bischofbuchs – 15 000 Exemplare – ist so gut wie weg.

"Sehr geehrter Karl Marx"

Reinhard Marx hat ihm den Titel „Das Kapital“ gegeben. Ausgerechnet. Das Kapital des älteren Marx, des Karl Marx, ist ebenfalls wieder ein „Buch der Stunde“. Der Berliner Verlag, der es herausgibt, verkauft nun viermal so viele Exemplare wie noch im Vorjahr. In den 90er Jahren hatten die Bibliotheken ihre Marx-Ausgaben noch weggegeben, denn die Theorie vom Kapitalismus, der sich selbst zerstören wird, schien nach 1989 überholt. Der Kapitalismus galt als Sieger der Geschichte. Dieser Tage wird das Prinzip Kapitalismus wieder so stark in Zweifel gezogen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Reinhard Marx, der Bischof, beginnt sein „Kapital“ mit einem Brief an den „sehr geehrten Karl Marx“. Er fragt gar, ob man beim Namensvetter nicht „Abbitte leisten“ müsse, weil man dessen Analysen zu früh auf die Müllhalde gekippt habe. Das ist schon ein Ding. Ein Bischof, noch dazu ein konservativer, findet in der Gesellschaftsanalyse eines erklärten Kirchengegners Ansätze, denen er zustimmt? Was ist passiert?

Mit seinem Nachnamen fiel er schon früher auf

Marx und Marx, das ist eine alte Beziehung. Begonnen hat sie in Paris. Dort hat der angehende Theologe Reinhard Marx vor 30 Jahren studiert und war mit seinem Nachnamen aufgefallen. Marx! Klassenkampf, Revolution … Reinhard Marx jedoch, weder verwandt noch verschwägert mit dem revolutionären Vordenker, hielt sich lieber an Bibel und katholische Soziallehre, wenn es um die Verbesserung der Welt ging. Diese Soziallehre, die auf der Papst-Enzyklika „Rerum Novarum“ von 1891 beruht, lehnt den Sozialismus als unvereinbar mit dem katholischen Glauben ab – aber auch den reinen Wirtschaftsliberalismus. Für sie steht die Person im Mittelpunkt und nicht die Gesellschaft. Anders als Karl Marx, der das Kapital ganz in die Hände der Arbeiter legen wollte, geht es der christlichen Soziallehre um einen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Unternehmern und Arbeitern.

Einmal hat der junge Marx damals Priester in einem Arbeiterviertel besucht. „Die waren entsetzt, als ich ihnen sagte, dass ich mich mit der christlichen Soziallehre beschäftige“, sagt Marx. Intellektuell und politisch zu sein bedeutete in Frankreich damals, links zu sein. Man müsse Marx lesen und Seite an Seite mit den Arbeitern kämpfen, hätten sie ihm vorgehalten. Wein und Wortgefechte folgten. Schließlich habe man gemerkt, dass man da, wo es um das Schicksal der Armen ging, so weit gar nicht auseinander war. Am Tag danach hatte Marx einen Kater.

Der Bischof lehnt sich in seinem Sessel mit den goldenen Armlehnen zurück. Es ist der Tag nach der Pressekonferenz. Marx lebt in einem barocken Palais in der Münchner Innenstadt. Vor einem dreiviertel Jahr ist er aus Trier hergekommen, um mit erst 55 Jahren einen der wichtigsten Bischofsposten in Deutschland zu übernehmen. Damit steht er auf der Liste der Bewerber um den Vorsitz der Bischofskonferenz weit oben. Für das Gespräch hat er die Bibliothek gewählt, ein Saal mit Intarsienparkett, dunkelgrünen Stofftapeten und einem offenen Kamin. Das Karge ist nicht seins, er mag es üppig, gute Weine, gutes Essen, gute Witze. In der Fastenzeit verzichtet er auf die Zigarre. Das ist das äußerste Zugeständnis.

„Ich stand nie in Versuchung, Marxist zu werden"

Die Marxsche Revolutionärsrhetorik war ihm immer fremd. „Ich stand nie in Versuchung, Marxist zu werden“, sagt er. „Schon diese Sprache! ,Das Kapital’ ist ja eigentlich unlesbar, diese formelhaften Sätze, der Hang zum Totalitären.“ Und doch ist er immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Immer, wenn er sich wieder einmal mit einer Idee beschäftigte, die sich um Hilfe für die Entrechteten der Welt drehte, musste er feststellen: Der Marx war schon da gewesen. Die Grundfragen des jungen Marx schienen die gleichen zu sein wie die des älteren. Zwei ungleiche Brüder.

Soziale Fragen – wer beutet wen aus, wer hängt vom wem ab – hätten schon in seiner Kindheit eine Rolle gespielt, sagt Reinhard Marx. Sie wurden am Esstisch diskutiert. Marx ist in Geseke aufgewachsen, einem kleinen, sehr katholischen Ort in der Nähe von Paderborn. Der Vater war Schlossermeister und Gewerkschafter. Von revolutionärem Pathos hielt er allerdings nicht viel. Er setzte in der Tradition der katholischen Soziallehre auf das Kräftemessen von Arbeitgebern und starken Arbeitnehmervertretern. Der sogenannte Rheinische Kapitalismus hat hier seine Wurzeln, ebenso die soziale Marktwirtschaft, die mit festen „Leitplanken“, wie es Reinhard Marx ausdrückt, vor dem sozialen Absturz bewahrt. „So etwas bräuchten wir auch heute, global gesehen.“ Der Bischof formt mit seinen Händen eine Kugel.

„Überrascht“ habe er festgestellt, dass sein Namensvetter schon vor 150 Jahren die Globalisierung vorausgesagt hat, schreibt der Bischof in seinem „Kapital“. Im Brief an Marx den Älteren steht die Frage: „Ist der Kapitalismus eine Episode der Geschichte, die zwar länger dauert, als Sie im 19. Jahrhundert vermutet haben, die aber doch irgendwann zu Ende gehen wird, weil das kapitalistische System an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen wird?“

Der ältere Marx habe die falschen Schlüsse gezogen

Bischof Marx lässt die Frage offen. Aber er sagt: Marx habe zwar viel vorausgesehen, doch die falschen Schlüsse gezogen. Er sei von einem falschen Menschenbild ausgegangen. Er habe ein Kollektiv gesehen, nicht das Individuum. „Das kann ein Christ nicht akzeptieren“, sagt Marx und schüttelt den Kopf. Jeder einzelne Mensch ist ein Geschenk Gottes. Und ja, jeder Mensch sei gierig und begehe Sünden, „das müssen Sie einem Bischof nicht sagen“, hatte Marx, der Reinhard, auf der Pressekonferenz in den Saal gerufen; deshalb gehe aber die Welt nicht unter. Es brauche eben einen festen Rahmen, einen starken Staat, der „Strukturen der Sünde“ verhindere, die unmoralisches Verhalten noch belohnten, wie es auf den Finanzmärkten geschehen sei. Freiheit brauche nun mal Bindung.

Reinhard Marx kritisiert den Kapitalismus so, wie es die Kirchen immer getan haben ; da bietet er eigentlich nichts Neues. Wo der andere Marx zum Umsturz aufruft, plädiert er für Reformen, die helfen sollen, die gesellschaftliche Balance zu wahren. Der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, der Hedgefonds-Manager und der „Lumpenproletarier“, jeder wurde von Gott auf seinen Platz gestellt. Jeder muss leben können, keiner darf aber den anderen dabei über den Tisch ziehen. In der Aufbruchstimmung nach 1989, als der Kapitalismus den Tüchtigen das Paradies versprach, wurden die Kirchen mit ihren „Sozialworten“ bestenfalls belächelt. Wenn sie mahnten, dass der Turbo-Kapitalismus das gesellschaftliche Gefüge zu sprengen drohe, hieß es: „Die Kirchen halt … Rückwärtsgewandt wie sie sind, müssen sie so was ja sagen.“ In der Krise jedoch ist dieses Gesellschaftsbild, auf einmal aktuell, denn es verspricht Sicherheit.

Seine Überzeugungen gewinnt Reinhard Marx dennoch nicht beim Bücherlesen hinter den Mauern seines Palais. Zum Büro in der Verwaltungszentrale des Erzbistums fährt er mit der U-Bahn, außerdem geht er gerne im Talar im Englischen Garten spazieren, um mit den Münchnern ins Gespräch zu kommen. Er kann mit allen, sagen die und schütteln den Kopf, weil sie das so noch nicht erlebt haben. Marx ist beliebt. Er könne mit Politikern, Kirchenhistorikern und Unternehmern diskutieren und auf der „Wiesn“ spontan eine Musikkapelle dirigieren.

Die Kirche hat Geld bei den Lehman Brothers verloren

Reinhard Marx ist aber nicht nur gesprächsbereiter Theoretiker, sondern auch Macher – und was die Finanzen angeht mit großer Lust. Nun sind Kirchenmänner ja nicht unbedingt für ihre ökonomischen Fähigkeiten berühmt. Etliche seiner Kollegen haben sich über Jahre gescheut, in die Kasse zu schauen, bis sich – wie in Berlin – riesige Schuldenberge angehäuft hatten. Das Bistum Aachen hat Geld ausgerechnet bei Lehman Brothers angelegt und 40 Millionen verloren. Marx ist anders. Kaum hatte er sein neues Amt in München angetreten, wollte er wissen, ob die Gelder des Bistums sicher und bei Banken mit ethisch-moralischem Kodex angelegt seien, erzählen Mitarbeiter. Was für eine Frage, wunderten sie sich. „Das wollte ja noch nie einer wissen.“ Ein halbes Jahr später legte Marx ein Konzept vor, wie die Gemeindestrukturen in den kommenden Jahren so verändert werden, dass sie auch in Zukunft arbeiten können, die Balance gewahrt bleibt. Gemeinden sollen großflächig zusammengelegt werden oder zumindest eng kooperieren. Das wird nicht allen gefallen. In Trier gefiel das auch nicht jedem. Trier steht heute finanziell besser da als die meisten Bistümer in Deutschland.

„Das Paradies auf Erden gibt es nicht“, sagt der Bischof beim Abschied. Wer wie Karl Marx das Paradies verspreche, nehme die Diktatur und die Vernichtung von Menschen in Kauf. Wer Renditen von 25 Prozent verspreche, nehme den Tod von Unternehmen in Kauf. Für den Kirchenmann kann es das Paradies nur nach dem Tod geben und nur, wenn Gott die Finger im Spiel hat. Das macht ihn immun gegen Heilsversprechungen. „Wir brauchen keinen Marx, wir haben andere Schätze zu heben.“ Die katholische Soziallehre sei aktuell wie nie. Marx bleibe sein Gegner.

In seinem Bischofswappen stehen zwei geflügelte Löwen mit einem Buch in den Tatzen. Der Löwe steht für den Evangelisten Markus. Denn seinen Nachnamen, seinen Marx, leitet der Bischof von ihm ab.

Richtigstellung

Aachen (iba) - Der Tagesspiegel hat in seiner Online-Ausgabe im Artikel "Bischof Marx predigt Karl Marx (1. November 2008, 0.00 Uhr, Autorin: Claudia Keller) die Aussage gemacht, das Bistum Aachen habe 40 Millionen Euro durch Geldanlagen bei Lehman Brothers verloren. Das ist falsch.

Richtig ist: Die vom Bistum Aachen bei der Lehman Brothers Bankhaus AG, Frankfurt, getätigten Geldanlagen sind durch den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Deutscher Banken in voller Höhe gesichert. Dies ist am 28. Oktober 2008 durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin bestätigt worden.

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