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Der Auslöser. Am 17. Dezember gehen Polizisten gegen Demonstranten vor. Foto: dpa

© dpa

Kasachstan: Nasarbajew lässt auf Streikende schießen

Kasachischer Machthaber verlängert Ausnahmezustand bis Ende Januar.

Eigentlich sollte der Ausnahmezustand, der seit Mitte Dezember in der Ölarbeiterstadt Zhanaozen im Westen Kasachstans gilt, an diesem Donnerstag aufgehoben werden. Doch am Mittwoch verlängerte Präsident Nursultan Nasarbajew die Notstandsregelungen bis zum 31. Januar. Mindestens so lange bleiben auch die Truppen in der Stadt, die Nasarbajew einrücken ließ, um Unruhen niederzuwerfen.

Arbeiter staatlicher Ölkonzerne, die seit Monaten streiken, und deren Sympathisanten empfanden die offiziellen Festreden zum 20. Jahrestag der Staatsgründung am 17. Dezember als blanken Hohn, plünderten Geschäfte und steckten öffentliche Gebäude in Brand. Nasarbajew setzte daraufhin mit Panzerfahrzeugen und Granatwerfern bewaffnete Sondereinheiten der Polizei in Marsch. Beim anschließenden Handgemenge kamen nach amtlicher Darstellung 16 Menschen ums Leben. Die Opfer wurden offiziell zudem als Rowdys und gewöhnliche Kriminelle verunglimpft. Menschenrechtler sprechen unter Berufung auf lokale Augenzeugen von mindestens 70 Toten und weit über 500 Verletzten: Die Soldaten hätten auf die Menge mit scharfer Munition geschossen.

Telefone funktionieren bis heute nur bedingt, mehrere Internetseiten sind ebenfalls gesperrt. Nasarbajew, der Kasachstan seit dem Ende der Sowjetunion im Jahr 1991 nach Art antiker Gottkönige regiert, ist nervös. Sein Clan ebenso. Und sie haben auch Grund dazu. Der Streik ist der erste große Arbeitskampf in Zentralasien und könnte – ähnlich wie die anhaltenden Massenproteste zuletzt auch in Russland – langfristig für einen Machtwechsel sorgen.

Begonnen hatte der Streik schon im Mai. Im Gebiet Aktau am Ostufer des Kaspischen Meeres waren 5000 Arbeiter dreier staatlicher Ölfirmen in den Ausstand getreten. Im Sommer hatten sich Hunderte Beschäftigte aus anderen Branchen mit den Ölarbeitern solidarisiert, gemeinsame Kundgebungen löste die Polizei mit aller Härte auf.

Allein bei einem Meeting in der Ölstadt Mangistau Mitte Juli, wo sich 60 der kurz zuvor gefeuerten und im Hungerstreik stehenden 900 Ölarbeiter öffentlich mit Benzin übergossen und mit Selbstverbrennung drohten, wurden Dutzende verhaftet. Familienangehörige und Anwälte haben seit dem Zeitpunkt weder zu ihnen noch zu den schon zuvor im Mai verhafteten Streikführern Zutritt.

Neben menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und der Einhaltung elementarster Sicherheitsstandards fordern die Streikenden die sofortige Verdoppelung der Löhne und deren allmähliche Anpassung an das weltweit in der Branche übliche Niveau. Vor Streikbeginn bekamen sie zwar umgerechnet 500 US-Dollar monatlich und lagen damit erheblich über dem Landesdurchschnitt in Kasachstan. Überdurchschnittlich teuer sind in der Wüstenregion Aktau allerdings auch die Lebenshaltungskosten. Ein Kilo Fleisch kostete dort im Sommer umgerechnet zwischen zehn und 15 US-Dollar, ein Kilo Zucker 2,5 und ein Brot fast einen Dollar.

Über soziale Verbesserungen wollten Staatskonzerne und Regierung bisher jedoch so wenig verhandeln wie über die aufgebrachten Forderungen nach sofortiger Aufhebung des Verbots für die Tätigkeit von Gewerkschaften.

Besonders peinlich: Bei einem der bestreikten Unternehmen handelt es sich um die Kasachstan-Tochter der italienischen Staatsholding ENI. Und in Italien indes haben starke Gewerkschaften den bekämpftenn Raubritter-Kapitalismus schon vor Jahrzehnten domestiziert. Über Solidaritätskundgebungen der Confederazione Generale Italiana del Lavoro für die Kollegen in Kasachstan ist bisher jedoch nichts bekannt.

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