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Politik: Kassen: Beiträge steigen dieses Jahr noch weiter

Verbände kritisieren, dass die Mehrwertsteuererhöhung sie 950 Millionen Euro kostet/ Finanzspritze von der Politik gefordert

Berlin - Der Superlativ kommt von den Krankenkassen selber. „Wohl einzigartig in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung“ seien die Beitragserhöhungen zu Beginn dieses Jahres gewesen, sagt die Chefin des Verbands der Angestellten-Krankenkassen (VdAK), Doris Pfeiffer. Im Schnitt stiegen die Beiträge von 14,26 auf 14,82 Prozent. Noch in diesem Jahr seien weitere Erhöhungen zu erwarten. Und im Jahr 2009 werde der durchschnittliche Beitragssatz dann dank der Gesundheitsreform bei stolzen 15,3 Prozent liegen.

Gut, dass die Kassen auch wissen, wie sich die Beiträge künftig stabil halten und womöglich sogar wieder senken lassen: Die „missglückte Reform“ müsse gestoppt und ein „Sofortprogramm zur Stabilisierung der Finanzen“ auf den Weg gebracht werden. Während die Koalitionsarbeitsgruppe noch heftig über strittige Details der Reform beriet und die Regierung auch die Hoffnung auf eine Einigung beim abendlichen Koalitionsausschuss relativierte, forderten Pfeiffer und AOK-Chef Hans Jürgen Ahrens von der Politik „den Mut, die Notbremse zu ziehen“. Für die Beitragszahler, so betonten sie, „wäre ein Scheitern der Reform auf jeden Fall die günstigere Variante“.

Schon vor Monaten hatten die Spitzenverbände der Kassen einen Anstieg um 0,7 Beitragssatzpunkte für 2007 vorausgesagt – und waren vom Ministerium der Übertreibung bezichtigt worden. Nun sieht es so aus, als ob sie recht behielten. 6,6 Milliarden Euro fehlten allein in diesem Jahr, rechnet die VdAK-Chefin vor. Alle Kassen stünden unter ähnlichem Finanzdruck. Und dieser Druck sei „vor allem durch die Politik verschuldet“.

Dabei geht es noch gar nicht um die heftig bekämpfte Reform. Die gestrichenen Steuerzuschüsse für versicherungsfremde Leistungen kosteten 1,7 Milliarden, die höhere Mehrwertsteuer schlage mit 950 Millionen zu Buche. Hinzu kämen Zusatzausgaben für Arznei und Kliniken in Höhe von vier Milliarden. Die positive Konjunkturentwicklung hingegen sei bei den Kassen „noch nicht angekommen“.

Über einen Posten ärgern sich die Kassen besonders. Obwohl die Bundesagentur für Arbeit laut Ahrens „inzwischen in Geld schwimmt“, zahle sie für arbeitslose Versicherte keine kostendeckenden Beiträge. Auf 4,3 Milliarden bleibe man deshalb sitzen, ärgert sich der AOK- Chef und spricht von einem „Verschiebebahnhof, der nicht hingenommen werden kann“.

Dann sind da noch die Kassenschulden. Auf 3,7 Milliarden brutto beliefen sie sich Ende 2005. Ende 2006 dürften davon nach VdAK-Schätzungen noch drei Milliarden übrig sein. Auch dafür gibt Pfeiffer der Politik die Schuld. Schließlich habe die jahrelang darauf gedrängt, Beitragserhöhungen zu vermeiden und die Kassen zur Darlehensaufnahme ermuntert.

Aus der Misere helfe nur dreierlei, insistieren die Spitzenverbände: ein Stopp der Reform, die Verwirklichung der wenigen wettbewerbsstärkenden Teile im Gesetz und eine Finanzspritze für die Kassen. Die Streichung der Steuerzuschüsse müsse revidiert werden, für Arbeitslose müssten „volle Beiträge“ fließen, für Arznei müsse der Fiskus weniger kassieren. Es sei nicht nachvollziehbar, sagt Pfeiffer, „warum für Hundefutter oder Schnittblumen der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent gilt, während für Arznei- und Hilfsmittel der volle Mehrwertsteuersatz zu berappen ist“. Mit alldem sei eine Entlastung um zehn Milliarden Euro möglich.

Kanzlerin Angela Merkel stellte am Mittwoch freilich das Gegenteil eines Reformstopps in Aussicht: Sie gab sich zuversichtlich, dass die verbliebenen Probleme „in den nächsten Tagen“ geklärt würden. Endgültig festlegen will sich die Koalition in Sachen Reform am 29. Januar.

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