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Politik: „Katastrophe nach Plan“

Die Medien vermuten Terrorakte hinter den Flugzeugabstürzen – der Kreml-Version glauben sie nicht

Die Ursache des doppelten Flugzeugabsturzes in Südrussland bleibt weiter im Dunkeln. Die Auswertung der inmitten der Wrackteile geborgenen Flugschreiber ergab zunächst keine brauchbaren Erkenntnisse, wie der Beauftragte von Präsident Wladimir Putin für Südrussland am Donnerstag mitteilte. Als Ursache müsse weiter ein Terroranschlag vermutet werden, fügte Wladimir Jakowlew nach einer Meldung der amtlichen russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass hinzu.

Die Aufzeichnungsgeräte für Flugdaten und Gespräche im Cockpit seien bereits vor dem Absturz der beiden Tupolew-Maschinen außer Betrieb gewesen, sagte Jakowlew. Die Passagierflugzeuge verschwanden am späten Dienstagabend fast zeitgleich von den Radarschirmen. Mit einer Staatstrauer wurde am Donnerstag der 89 Todesopfer gedacht.

Die Ermittler gingen weiter von der offiziellen Version aus: Verstöße gegen das Reglement zum Betreiben von Luftfahrzeugen als Grund für die Abstürze. Jedoch hatte schon am Mittwochabend ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft gegenüber dem russischen Dienst von Radio Liberty eingeräumt, die Anklage könnte „umqualifiziert“ werden. Noch deutlicher wurde Russlands oberster Ankläger, Wladimir Ustinow. Mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin hatten sich zuvor im Kreml Vertreter von Geheimdiensten, Verteidigungs- und Innenministerium getroffen. Die Ermittler würden nun von einem Anschlag als „wichtigster, ernst zu nehmender Version“ ausgehen, sagte Ustinow der Zeitung „Iswestija“. Eine Meldung der Nachrichtenagentur Interfax bestärkte den Verdacht: Nach einer ums Leben gekommenen Passagierin mit dem in Tschetschenien verbreiteten Nachnamen Dschabrailowa habe sich bisher kein Angehöriger erkundigt, meldete Interfax.

Die russischen Medien gingen am Donnerstag bereits von Terrorismus als Absturzursache aus. Der Ton gegenüber der Regierung ist keineswegs freundlich. Allen voran die „Iswestija“, die bisher als deren loyales Sprachrohr galt. Trotz Militarisierung des Beamtenapparates und steigender Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung – 2005 voraussichtlich um je 30 Prozent – könne die Bevölkerung sich nicht sicherer fühlen, schreibt sie. Einer der Gründe dafür sei „die völlige Zersetzung der unteren und mittleren Ebene der Geheimdienste“, von der sogar in Putins „direkter Umgebung“ die Rede sei. Das Sicherheitssystem des Landes müsse umgebaut und transparent werden. Russland, so die „Iswestija“, sei das einzige Land, in dem Terroristen mit dem gleichen, wenn auch abgeschwächten Szenario wie am 11. September Erfolg hatten. Doch die Politiker seien darauf bedacht, das Wort „Anschlag“ ebenso zu vermeiden wie einen möglichen Zusammenhang mit der Tschetschenienwahl am Sonntag. TV-Sender hätten eine einschlägige Anweisung „von oben“ bekommen.

Auch für die kritische „Nesawissimaja Gaseta“ ist die „Verbindung zu tschetschenischen Terroristen offensichtlich“. „Katastrophe nach Plan“ titelte das Blatt – und: „Auch Russland hat nun einen 11. September“. Die Zeitung zitiert Ex-KGBGeneral Gennadij Saizew, einst Kommandeur der legendären Anti-Terror-Einheit „Alpha“. Schon fünf Jahre in Folge würden die Terroristen ihre größten Coups im Herbst landen, sagte Saizew. Großen Anschlägen würde stets eine Serie kleinerer vorausgehen. Kurz vor den Abstürzen war an einer Moskauer Bushaltestelle ein Sprengsatz detoniert. Aber in Moskau kam man schnell zu dem Schluss, diese Explosion sei das Werk von „Hooligans“.

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