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Politik: Katerstimmung in Moskau und London

MOSKAU/WASHINGTON (mpl/AP).Bitter waren die Reaktionen Rußlands auf das vom NATO-Jubiläumsgipfel verabschiedete Strategiekonzept des westlichen Bündnisses.

MOSKAU/WASHINGTON (mpl/AP).Bitter waren die Reaktionen Rußlands auf das vom NATO-Jubiläumsgipfel verabschiedete Strategiekonzept des westlichen Bündnisses."Die neue NATO-Konzeption nivelliert die Rolle der Vereinten Nationen faktisch völlig", sagte der liberale Politiker Wladimir Lukin, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma.Er meinte resigniert mit Blick auf die nicht von der UN sanktionierten NATO-Angriffe gegen Jugoslawien: "Jetzt ist allen klar: Träger der höchsten Wahrheit sind heute 19 Staaten." Damit könne man die Vereinten Nationen eigentlich auch auflösen.Mit dem Washingtoner NATO-Gipfel ist die Allianz bemächtigt, notfalls auch ohne Mandat der Vereinten Nationen militärisch in Konflikte einzugreifen.

In dem Dokument sei "die absolute Priorität militärischer Gewalt beim Aufbau der Weltordnung und der Beilegung von Konflikten festgeschrieben", kritisierte der Erste Vize-Generalstabschef, Generaloberst Valerij Manilow.Allerdings begnügt sich Moskau längst nicht mehr mit dem Ausdruck des Protests und der Empörung einer geschwächten Großmacht.Trotz oder vielleicht aufgrund der gescheiterten Kosovo-Friedensmission des Regierungschefs Jewgeni Primakow Ende März und der nebulösen Ergebnisse der Verhandlungen des Jugoslawien-Sonderbeauftagten Viktor Tschernomyrdin mit dem jugoslawischen Staatschef Milosevic muß Moskau seine Rolle neu definieren.Der Ton wird bescheidener, der Ruf nach erfolgreicher Diplomatie lauter.Denn Rußland kann nach den Worten Tschernomyrdins erst dann wieder eine führende Rolle in der Welt spielen, wenn es wirtschaftlich, politisch und geistig erstarkt sei.

Während Bundeskanzler Schröder (SPD) den NATO-Gipfel als "eindrucksvolle Demonstration der Geschlossenheit" wertete, deutete sich in der Bundesrepublik ein Streit in und unter den Parteien ab.Der SPD-Politiker Scheer warnte, die NATO solle nicht zum "europäischen Hilfs-Sheriff" für die USA werden.Mit ihrem Beschluß vom Wochenende würden die Vereinten Nationen und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geschwächt.Der CSU-Politiker Kurt Rossmanith sah hingegen nicht die Gefahr, daß die NATO zum "Weltpolizisten" wird.Der Grünen-Politiker Lippelt betonte, der Kosovo-Einsatz ohne UN-Mandat sei eindeutig eine Ausnahme.

Gezeichnet vom NATO-Gipfel startete unterdessen Großbritanniens Premierminister Blair eine Breitseite gegen seine europäischen Nachbarn.Er betrachte es als Vorteil, daß Großbritannien nur von einer Partei regiert werde, soll er gemäß Meldungen der schottischen Tageszeitung "The Scotsman" gegenüber Mitgliedern der britischen Delegation beim NATO-Gipfel gesagt haben.Damit kritisiert Blair vor allem die Regierungen der NATO-Mitglieder Deutschland und Italien, die wegen ihrer Koalitionspartner die Pläne des britischen Premierministers ablehnen.Blair hat sich zuletzt als Falke innerhalb des Bündnisses gezeigt und mehrmals eine aggressivere Strategie der Allianz mit Einsatz von Bodentruppen im Kosovo gefordert.Doch nach seiner Ansicht "machen es Koalitionsregierungen noch schwerer, einen Krieg zu führen", so Blair im "Scotsman".

Zum Widerstand, auf den Blair in Washington traf, hieß es mit Blick nach Bonn: "Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat ebenso politische Probleme, mit seinem Koalitionspartner, den Grünen, eine klare und starke Kriegspolitik zu bilden."

Tony Blair wird in der schottischen Tageszeitung zwar nicht direkt zitiert.Die Tatsache, daß sich auch britische Zeitungen auf "dem Premier nahestehende Quellen" berufen, läßt darauf schließen, daß es sich um Meinungsäußerungen des Regierungschefs handelt, mit denen er jedoch nicht zitiert werden will.Blairs Reaktion zeigt aber nicht nur seinen Frust über den Widerstand der NATO-Partner, sondern könnte auch Auswirkungen auf politische Reformen in Großbritannien haben.Der Pressesekretär des Premierministers, Alistair Campbell, deutete an, daß die Haltungen von Deutschland und Italien innerhalb der NATO die Pläne für die Einführung eines Proporz-Wahlsystems in London sehr stark in Frage stellen.

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