zum Hauptinhalt
Katja Kipping ist Vorsitzende der Linkspartei.

© Mike Wolff

Katja Kipping kritisiert Oskar Lafontaine: "Rückkehr zum Nationalstaat wäre unmarxistisch"

Linken-Chefin Katja Kipping spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über volkswirtschaftlich unvernünftige Argumente ihres Vorvorgängers Oskar Lafontaine sowie über sture Sozialdemokraten.

Von

Frau Kipping, seit einem Jahr sind Sie Parteivorsitzende der Linken. Stresst Sie der Job oder macht er Sie glücklich?

Natürlich gibt es stressige Phasen, aber die glücklichen Momente überwiegen. Vor einer Woche war ich etwa bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main. Da habe ich gedacht: Gut, dass es die Linke gibt und dass wir solch wichtige Proteste unterstützen können.

Haben Sie wirklich den Eindruck, etwas bewegen zu können?

Also wenn ich an die Blockupyproteste oder die Anti-Naziblockaden zum Beispiel in Dresden oder die Anti-Castortransporte denke, dann kann ich nur sagen, da war jedes Mal ein breites Bündnis unterwegs und wir sind dabei. Und ich stelle grundsätzlich in der Bevölkerung eine wachsende Besorgnis über soziale Fragen fest, etwa wenn die Mieten explodieren oder die steigenden Strompreise zur Schuldenfalle werden.

Sie sind junge Mutter. Noch immer sticheln Genossen gegen eine Anführerin, die nur bis 16 Uhr im Einsatz sei. Hat die Vereinbarkeit von Amt und Familie geklappt?

Von Not- und Ausnahmesituationen abgesehen, hat das gut geklappt. Ich habe von vielen positive Rückmeldungen bekommen, weil ich für ein anderes Verständnis von Arbeitsteilung werbe. Frauen sollen sich nicht mehr entscheiden müssen, ob sie Rabenmutter sind oder faul im Job. Man ist doch kein Held, wenn man 80 Stunden die Woche arbeitet. Auch Spitzenpolitiker sollten ein Leben jenseits der Politik haben.

Wie gut es Ihnen und ihrer Partei gelungen, sich von den alten Herren Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zu emanzipieren?

Naja, so würde ich die beiden nicht bezeichnen. Wie denn? Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sind immer noch die bekanntesten Gesichter der Linken. Mit Gregor Gysi, dem Fraktionschef stehen wir in einem regelmäßigen Austausch. Aber die neue Parteiführung hat auch klar eigene Akzente gesetzt, etwa bei der Frage, Reichtum zu begrenzen. Wir haben außerdem einen neuen Politikstil in der Führung etabliert: Es gibt jetzt viel mehr ein gemeinsames Beraten.

Mischt sich Oskar Lafontaine zu viel oder zu wenig ein?

Das treibt mich nicht um. Aus der Partei gibt es immer noch mehr Anfragen für Veranstaltungen an Oskar, als er selber wahrnehmen möchte. Ansonsten hatten wir vor kurzem eine inhaltliche Kontroverse mit ihm über den Euro. Die Debatte haben wir aber so ausgetragen, dass sie uns als Partei gut zu Gesicht stand.

Lafontaine hat sich für die Wiedereinführung nationaler Währungen ausgesprochen. Was halten Sie davon?

Der Binnenmarkt ist inzwischen zutiefst europäisch. Es wäre unmarxistisch und auch volkswirtschaftlich nicht vernünftig, mit einer Rückkehr zum Nationalstaat auf die Europäisierung und Globalisierung der Wirtschaft zu reagieren.

Schadet es der Linken, wenn sie durch Lafontaines Einlassungen als Anti-Euro-Partei wahrgenommen wird?

Wir sind uns einig, dass Merkels Kürzungskurs in Europa die Krise und das soziale Elend verschärft. Nur bei der hoch komplizierten Frage der Währung haben wir eine andere Meinung. Oskar Lafontaine hat das aber aus sozialer Verantwortung heraus angesprochen und nicht aus Sozialchauvinismus wie die Alternative für Deutschland.

Ist die AfD als Protestpartei besser als die Linke?

Die Partei ist von Unternehmern und Professoren gegründet worden, die sich für Lohn-, Renten und Sozialkürzungen stark machen. Wenn es um soziale Belange geht, ist die AfD keine Konkurrenz für uns. Die Linke hat die Funktion als soziale Alarmanlage.

Das Verhältnis der Linkspartei zur SPD ist nicht entspannter geworden, seit Sie Parteichefin sind. Ärgert Sie das?

Wir haben sehr klare Signale der Öffnung gesendet. Doch die wurden bislang nicht gehört. Die Führungsebenen von SPD und Grünen haben stur auf Wahlkampfmodus umgeschaltet und entschieden, jegliche Zusammenarbeit mit uns kategorisch abzulehnen. Es ist eine Illusion, auf eine Neuauflage von Rot-Grün nach der Bundestagswahl zu setzen.

Trinken Sie gelegentlich mit Sigmar Gabriel einen Kaffee oder tauschen SMS aus?

Ich stehe nun nicht gerade mit Sigmar Gabriel in einem ständigen SMS-Wechsel. Dass SPD und Grüne zwar eine Zusammenarbeit mit uns ausschließen, nicht aber mit der FDP macht ihren vermeintlichen Linksruck unglaubwürdig

Wird das Verhältnis von SPD und Linkspartei immer so sein wie von zerstrittenen Geschwistern?

Der Vergleich passt ganz gut. Vor kurzem war ich auf der 150-Jahre-Feier der SPD eingeladen. Ich fand es ärgerlich, dass die Sozialdemokraten Geschichtsklitterung betrieben haben. Sie haben zu Recht auf Otto Wels und den Widerstand der Sozialdemokraten gegen die Ermächtigungsgesetze verwiesen. Dann muss man aber auch erwähnen, dass die Kommunisten zu dem Zeitpunkt schon im Knast saßen. Ansonsten hätten sie auch dagegen gestimmt. Der Alleinvertretungsanspruch der SPD nervt.

Bei der Wahl am 22. September könnte es sein, dass es rechnerisch für Rot-Rot-Grün reicht. Doch für ein Linksbündnis fehlt die gesellschaftliche Stimmung. Warum?

Die starke Popularität von Angela Merkel beruht darauf, dass es keine starke Alternative gibt. Das liegt an der Personalpolitik der SPD und am sturen Abgrenzungskurs nach links. Im Moment würde der treffendste Slogan für die SPD-Wahlkampagne lauten: Vor der Wahl sozial, nach der Wahl brutal.

"Wir können nicht alle Fehler von SPD und Grünen allein wegtragen"

Empfinden Sie es auch als ein Scheitern der Linkspartei, dass es nicht gelingt, eine Wechselstimmung zu forcieren?

Wir können nicht alle Fehler von SPD und Grünen alleine wegtragen.

Wie auch immer: Ein Linksbündnis gilt nicht als hip.

Für uns bleibt es perspektivisch interessant, wir werben dafür und suchen auch Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

Sie haben sich auch mal vorgenommen, aus den Linken die bessere Ökopartei zu machen. Was ist daraus geworden?

Wir haben ein tolles Konzept für einen sozial-ökologischen Umbau erarbeitet. Denn dem ökologischen Wandel wird der Boden entzogen, wenn er das kollektive Frieren für die Ärmeren bedeutet. Um es am Beispiel Energiewende zu erklären: Wir wollen die Förderung der erneuerbaren Energien. Und wir wollen zugleich sicherstellen, dass es keine Stromabschaltungen gibt, weil jemand die Rechnung nicht bezahlen kann. Ansonsten würde bei Einkommensärmeren die Hetze gegen die erneuerbaren Energien verfangen.

Auch im Osten geht die Zustimmung zur Linkspartei zurück. Wie gefährdet ist die Linkspartei?

Dieser Begriff ist hier fehl am Platz. Wir haben uns sicher stabilisiert. Aber es gibt noch Luft nach oben.

Die Linke präsentiert sich in Wahlkampfzeiten oft sehr altbacken. Warum fällt Ihnen so wenig Neues ein?

Mir ist es wichtiger, dort zu sein, wo es sozial brennt, als einen Hipster-Preis zu bekommen. Aber kommen sie mal zum Pfingstcamp der sächsischen Linksjugend, da geht es alles anderes als altbacken zu.

Auf dem Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Dresden will die Linke ihr Wahlprogramm verabschieden. Wo rechnen Sie mit den größten Konflikten?

Es gibt aktuell rund 1000 Änderungsanträge. Die womöglich wichtigste Frage ist die nach unseren Alternativen zu Merkels Bankenrettungskurs.

Ihr persönliches Steckenpferd ist das bedingungslose Grundeinkommen. Bisher hat sich die Partei dazu nicht eindeutig festgelegt. Wird in Dresden dazu entschieden?

Nein. Wenn wir darüber entscheiden würden, dann wäre das Ergebnis vermutlich knapp. Mit 51-Prozent-Beschlüssen zieht es sich schlecht in den Wahlkampf. Aber wir erheben die Forderung nach einer Enquetekommission Grundeinkommen, um die Debatte voranzutreiben.

Stören die Ermittlungen gegen Gregor Gysi wegen des Verdachts der eidesstattlichen Falschaussage zu seinen Stasikontakten ihren Wahlkampf?

Nein, das spielt keine Rolle mehr. Es beschäftigt auch niemanden in unserer Partei.

In der öffentlichen Wahrnehmung könnte das anders sein.

Nein. Man hat ja schon in den Reaktionen auf dieses so genannte Enthüllungsbuch zur DDR-Biographie von Angela Merkel gemerkt, dass die unsachliche Aufarbeitung von Vergangenheitsfragen im Osten überhaupt nicht verfängt.

Lässt sich das vergleichen, Merkel und Gysi, beide Opfer einer Kampagne?

Es geht nicht um vergleichen oder gleichsetzen. Aber einige, die sich in solchen Debatten zu Wort melden, haben vom Leben in der DDR keine Ahnung, sind aber mit ihren Urteilen sehr schnell. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich mal Merkel gegen Angriffe verteidigen muss. Aber man kann ihr ja viel vorwerfen – zum Beispiel, dass sie nicht mehr die Ost-Interessen vertritt. Doch wenn jemand in der FDJ für Agitation und Propaganda zuständig war, hatte er in DDR-Zeiten nicht den Job in der ersten Reihe.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft könnte mitten in der heißen Phase des Wahlkampfes Anklage gegen Gysi erheben.

Ich bin zuversichtlich, dass sich die Justiz nicht in den Wahlkampf einmischen wird.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Matthias Meisner.

Zur Startseite