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Katrin Göring-Eckardt.

© Mike Wolff

Katrin Göring-Eckardt im Interview: „Wir legen uns vor der nächsten Wahl nicht fest“

Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, über die Machtoptionen der Grünen zwischen Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün – und ihre Sicht auf den Vegetarier-Tag.

Frau Göring-Eckardt, Sie haben neulich gestanden, Sie wären gerne Lehrerin geworden. Streng oder eher nachsichtig?
Och, das habe ich schon häufig gesagt, dass ich Lehrerin als Beruf auch spannend fände. Ich hätte versucht, jemand zu sein, mit dem man sich einigen will. Vermutlich streng, aber nicht von oben herab. Mich hat es immer aufgeregt, wenn Lehrer nur Ansagen gemacht haben. Es hat jedenfalls bei mir auch nie geholfen.

Die Grünen werden als Oberlehrer der Nation bezeichnet. Lob oder eine Beleidigung?
Na, es ist ja als Beleidigung gemeint. Mich stört, wenn der Eindruck erweckt werden soll, es ginge einfach um Vorschriften. Wir sind eine tolerante Partei, die immer für mehr Toleranz gekämpft hat. Aber klar, es braucht Regeln und Grenzen. Es geht aber eben auch um die Freiheit der anderen.

Dem Baden-Württemberger Winfried Kretschmann wird das Etikett Oberlehrer angeheftet. Ist er nicht auch wegen seines erhobenen Zeigefingers populär?
Winfried Kretschmann will überzeugen. Er hört aber auch zu und diskutiert. Er ist niemand, der andere bevormunden will.

Den Vorschlag aus dem Bundestagswahlprogramm, einen vegetarischen Tag in Kantinen einzuführen, haben viele Leute als Bevormundung empfunden. Überprüfen Sie jetzt jeden politischen Vorschlag, ob er als Verbot daherkommen könnte?
Nein, das wäre auch Quatsch. Wir wollen Politik machen, um erfolgreich zu gestalten. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag machen Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse. Da sind auch bei allen anderen Fraktionen immer Gebote und Verbote dabei.

In welchen Bereichen braucht man Verbote?
Beim privaten Waffenbesitz, zum Beispiel. Aber bleiben wir beim Fleischkonsum. Niemand will anderen vorschreiben, an welchem Tag sie Fleisch essen dürfen. Aber so wie es jetzt funktioniert, ist es unhaltbar: rücksichtslose Massentierhaltung, Antibiotika, Billigfleisch und Gammelfleischskandale. Und wenn am anderen Ende der Welt der Regenwald abgeholzt wird, weil dort Soja für die Tiermast bei uns produziert wird, dann haben auch wir nicht nur ein ökologisches Problem. Dann leben wir schlicht auf Kosten anderer. Es gibt Grenzen dessen, was wir verbrauchen können, wenn wir fair sein wollen. Deshalb brauchen wir klare Regeln.

Nach dem Ausscheiden der FDP haben Sie gesagt, der Platz der Freiheits- und Bürgerrechtspartei sei frei geworden. Haben Sie den ernsthaft besetzen können?
Ich habe gesagt: Die Stühle sind freigeworden – den Platz der Bürgerrechtspartei hatte die FPD eh schon lange nicht mehr. Bei uns dagegen sind Bürgerrechte zu Hause: Egal ob es um Flüchtlingspolitik geht, die Gleichstellung von Schwulen und Lesben oder den Umgang mit Daten.

Viele in Ihrer Partei wollen das Erbe der FDP nicht antreten. Warum?
Ich habe auch keine Lust, das Erbe einer neoliberalen, ökologisch und sozial rücksichtslosen Partei anzutreten. Da habe ich als Grüne ein anderes Verständnis von Freiheit.

Liberal – ist das für Sie ein Lebensgefühl oder eine Einstellung?
Sicher auch ein Lebensgefühl. Für mich war Freiheit die zentrale Motivation, in der DDR in der Opposition zu sein. Ich wollte meine Meinung frei sagen, frei reisen und selbst entscheiden, welche Bücher ich lese.

Bei der Bundestagswahl sind die Grünen auf ihre Kernwählerschaft zusammengeschrumpft. Wurde die Partei trotz oder wegen ihres Programms gewählt?
Es gab in den Tagen vor der Wahl eine Dynamik nach unten, die nicht mehr zu stoppen war. Dafür gab es viele Gründe: Die fehlende Machtoption, das angeklebte Image der Verbotspartei, die Vorwürfe im Zusammenhang mit Pädophilie. Aber auch die Steuerdebatte. Da haben wir zu viel aufeinandergepackt.

Hätten Sie die Steuerpläne besser erklären müssen.
Wir haben unendlich viel erklärt. In diesem Bundestagswahlkampf habe ich mir so viele Zahlen gemerkt wie noch nie. Die vielen einzelnen Vorschläge waren in der Summe zu viel.

Spitzensteuersatz und die alte Führungsriege

Werfen Sie jetzt die Pläne über Bord?
Nein. Wir werden auch weiter ein gerechteres Steuersystem fordern. Und wir werden darauf achten, dass wir mit der Belastung nicht bei der Mittelschicht anfangen, sondern bei den wirklich hohen Einkommen. Wenn ich mir das Ehegattensplitting angucke, halte ich es zwar nach wie vor für den falschen Ansatz, weil es nicht die Kinder fördert. Trotzdem hätte die Abschmelzung auch viele Familien mit Kindern getroffen. Dafür braucht es einen Ausgleich. Unser Vorschlag einer Kindergrundsicherung war dafür noch nicht konkret genug.

Bleibt es dabei, dass die Grünen den Spitzensteuersatz anheben wollen?
Für mich ist genauso wichtig, dass die höchsten Vermögen in Deutschland stärker am Gemeinwesen beteiligt werden. In Deutschland gibt es eine extreme Konzentration von Eigentum und Vermögen bei ganz wenigen. Dann macht es auch Sinn über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes zu reden. Im Gegenzug könnten wir Menschen mit geringen Einkommen entlasten. An diese Ungleichgewichte müssen wir ran.

Wie denn?
Erst einmal kommt es darauf an, dass die Steuern zahlen, denen es bisher möglich war, riesige Gewinne über Steuertricks zu machen, wie Starbucks, Google und Amazon. Und dann reden wir über die Besteuerung von Vermögen. Prinzipiell ist das über die höhere Besteuerung von Erbschaften oder eine Steuer auf Vermögen machbar. Dabei gilt es besonders darauf zu achten, dass Unternehmen nicht in ihrer Substanz betroffen sind.

Fürchten Sie nicht, mit einer Vermögensteuer den Mittelstand gegen sich aufzubringen?
Mir haben schon viele mittelständische Unternehmer gesagt, dass ihnen klar ist, dass die Wirtschaft mehr für das Gemeinwesen beitragen kann.

Die Generation Trittin, Künast und Roth hat sich aus der ersten Reihe verabschiedet. Was hat sich geändert?
Jeder hat seinen eigenen Führungsstil, mir sind Offenheit und Kreativität wichtig. Ich finde es gut, wenn es in der Partei Debatten gibt und sich die Leute trauen, Ideen vorzubringen, auch wenn die noch unausgegoren sind. Jetzt in der Opposition ist auch die Zeit, in der wir inhaltlich und konzeptionell die Scheunen voll machen müssen für die nächste Bundestagswahl.

Und die alte Führungsriege kommentiert das Geschehen aus der Loge, so wie die Opas in der Muppets-Show?
Ach was, das läuft sehr anständig. Es ist bestimmt nicht einfach, von 200 Prozent Einsatz runterzukommen. Wenn ich einen Rat bekommen will, kriege ich den. Aber er wird mir nicht aufgedrängt.

CDU-Generalsekretär Tauber sagt, er wolle daran arbeiten, Schwarz-Grün 2017 im Bund möglich zu machen. Wollen Sie das auch?
Einen Satz weiter hat er gesagt, dass die FDP sein Wunschpartner ist. Das ist eine politische Richtung, die mit unserer wenig zu tun hat. Wir legen uns vor der nächsten Bundestagswahl nicht auf Koalitionspartner fest, sondern setzen auf grüne Eigenständigkeit.

Was wäre denn reizvoll an Schwarz-Grün?
Wenn wir etwas bewegen können, ist grüne Regierungsbeteiligung immer reizvoll. Wir wollen, dass die Politik ökologischer und generationengerechter wird. Man sollte nur nicht den Fehler machen, Bündnisse zum Projekt zu erklären. Das gilt für Schwarz-Grün genauso wie für Rot-Rot-Grün.

Ein Wort zu Rot-Rot-Grün bitte.
Erst einmal reizt es mich, verschiedene Optionen zu haben. Wenn ich mir die Linke ansehe, stelle ich fest: Da arbeitet eine große und einflußreiche Gruppe intensiv daran, eine Regierungsbeteiligung zu verhindern. In der Außenpolitik trennen uns Welten, aber auch in der Haushalts- und Finanzpolitik. Und es gibt in der Linkspartei gerade niemanden, der Autorität hätte, in Richtung Regierungsfähigkeit zu arbeiten. Aber man muss sich in Grundlinien einig sein und sich aufeinander verlassen können. Und wenn ich mir die Außenpolitik der Linken ansehe, ist so ein Bündnis derzeit nicht vorstellbar.

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