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Politik: Kaum dabei, schon in der Feuerprobe

PRAG .Die Regierungen in Polen, Tschechien und Ungarn hätten nach ihrem NATO-Beitritt vor rund einem Monat eigentlich wissen müssen, was sie erwarten könnte.

PRAG .Die Regierungen in Polen, Tschechien und Ungarn hätten nach ihrem NATO-Beitritt vor rund einem Monat eigentlich wissen müssen, was sie erwarten könnte.Denn NATO-Generalsekretär Javier Solana war bereits Anfang dieses Jahres von Brüssel mit der Vollmacht ausgestattet worden, im Kosovo militärisch einzugreifen, falls die Friedensgespräche scheitern sollten.Auf die Tatsache, die Solidarität zum neuen Bündnis gleich am Anfang der Mitgliedschaft und im mit Abstand schwersten Fall der fünfzigjährigen Bündnisgeschichte beweisen zu müssen, darauf war in Warschau, Prag und Budapest kaum jemand vorbereitet.Die öffentliche Meinung der drei neuen NATO-Verbündeten spiegelt nun all die Argumente wider, die man in den vergangenen Jahren und in den jeweiligen Nationaldebatten über das Für und Wider eines NATO-Beitritt erörtert hatte.Jegliche Versäumnisse rächen sich jetzt massiv.

Insbesondere in der Tschechischen Republik, wo man einer fundierten Diskussion über die neuen Verpflichtungen im Bündnis weitgehend aus dem Wege gegangen ist, verfolgt man die Angriffe der Allianz mit gemischten Gefühlen.Die sozialdemokratische Minderheitsregierung zögert in der Kosovo-Frage.Wie dünn das Eis ist, auf dem sich die Sozialdemokraten bewegen, zeigte am vergangenen Wochenende ihr Parteitag: Während der prominenteste Gast, der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping, in Prag über die Notwendigkeit sprach, gemeinsam die Demokratie und die Menschenrechte zu verteidigen, kursierte mit großer Zustimmung der Delegierten ein Brief an den jugoslawischen Botschafter, worin die Luftangriffe als "Aggression" verurteilt wurden.In Prag denkt mancher noch in Denkmustern des Kalten Krieges, die in der NATO eine "Allianz von Kriegstreibern" sehen.Selbst Parlamentspräsident Vaclav Klaus ist dagegen nicht immun: Er machte die Luftangriffe explizit für die Flüchtlingswelle im Kosovo verantwortlich.Lediglich Staatspräsident Vaclav Havel warnte davor, die Verpflichtungen der Allianz in Frage zu stellen."Als Verbündete können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen", erklärte Havel am Montag.Dadurch schwäche man auch die Beitrittsperspektiven anderer NATO-Anwärter.Der Zwiespalt in Prag wird von Brüssel nicht kommentiert, registriert wird er jedoch genau.Die Chance, im Bündnis eine gewichtige Rolle mit entsprechenden Mitspracherechten einzunehmen, scheint Prag derzeit zu verspielen.

In einer ganz anderen Position befindet sich die polnische Regierung, der es gelang, seinerzeit über 80 Prozent der Bevölkerung für den NATO-Beitritt zu begeistern.Auf eine solide Unterstützung kann sie sich auch jetzt stützen.Doch selbst für die bündnistreue polnische Öffentlichkeit wäre eine Entsendung eigener Truppen problematisch: Nur jeder Dritte ist eindeutig dafür.

In eine Zwickmühle durch die Luftangriffe der Allianz geriet Ungarn: In der angrenzenden serbischen Provinz Vojvodina lebt eine starke ungarische Minderheit von 360 000 Menschen.Budapest befürchtet, daß sie zu Geiseln von Milosevics werden könnten.Die ungarische Regierung öffnete zwar den Luftraum des Landes ohne Zögern für ihre neuen Verbündeten, rhetorische Solidaritätsbekundungen beschränkte sie jedoch auf ein Minimum.Trotz der verschiedenen Einzelinteressen haben die neuen Mitglieder einen gemeinsamen Nenner: Die Osterweiterung verlöre ihren Sinn, falls die NATO ihre Glaubwürdigkeit verlieren sollte.Für diesen Respekt ist aber der innere Zusammenhalt der Allianz ausschlaggebend.Wenn die neuen Verbündeten des Bündnisses die Feuerprobe nicht bestehen, wird sich Brüssel wohl künftig auf keine weitere Erweiterung mehr einlassen.

LUDMILLA RAKUSAN

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