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Politik: Kein 30-Stunden-Dienst mehr für Ärzte

EU-Richter stoppen überlange Schichten in Kliniken / 15 000 neue Stellen nötig? / Kassen: Keine Beitragserhöhung

Berlin. Mit den überlangen Arbeitszeiten an deutschen Krankenhäusern ist es bald vorbei. Nach jahrelangem Rechtsstreit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag entschieden, dass der Bereitschaftsdienst von Klinikärzten als Arbeitszeit eingestuft und in vollem Umfang durch Geld oder Freizeit vergütet werden muss. Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) kündigte eine rasche Umsetzung des Urteils an. Ärzteverbände begrüßten die Entscheidung und schätzten, dass mindestens 15 000 Ärzte neu eingestellt werden müssen. Die Kosten beziffern sie auf eine Milliarde Euro. Die Krankenkassen bezweifeln dies.

Von Maurice Shahd

und Rainer Woratschka

Entscheidend ist nach dem Urteil des obersten EU-Gerichtes, dass Arbeitnehmer während des Bereitschaftsdienstes an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort verfügbar sein müssen. Damit könnten sie weniger frei über jene Zeit verfügen, in der sie nicht in Anspruch genommen würden. Die Möglichkeit, die arbeitsfreie Zeit in einem Ruheraum zu verbringen und dort sogar zu schlafen, ändere daran nichts. Der Spruch des EuGH ist für die deutschen Richter verbindlich.

Nach Ansicht der Ärztekammer stoppt das Urteil die „Ausbeutung der Klinikärzte“. 30-Stunden-Dauerdienste gehörten endgültig der Vergangenheit an, sagte Präsident Jörg-Dietrich Hoppe in Berlin. Bislang sind derart lange Dienste üblich, weil an die normale Arbeitszeit oft noch ein Bereitschaftsdienst angehängt wird. Der Chef des Klinikärzteverbands Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, bezeichnete das Urteil als „historischen Sieg“. Clement müsse das deutsche Arbeitszeitgesetz nun schnellstens europäischem Recht angleichen, sagte er dem Tagesspiegel. „Das geht nicht von heute auf jetzt, darf aber auch nicht noch fünf Jahre dauern“.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) verwies darauf, dass den Kliniken für Arbeitszeitmodelle 2003 und 2004 zusätzlich bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung stünden. Bis 2009 würden sie um jährlich weitere 100 Millionen aufgestockt. Man benötige nicht 700 Millionen in sieben Jahren, sagte Montgomery, sondern „eine Milliarde sofort“.

Wenn die Kliniken ihre Arbeitsabläufe wirtschaftlich organisierten, müsse das Urteil nicht zu Mehrkosten führen, sagte der Vorstandschef des Verbands der Angestelltenkrankenkassen, Herbert Rebscher, dem Tagesspiegel. „Dann sind auch keine Beitragserhöhungen notwendig." Das Urteil führe nicht automatisch zu Mehrausgaben, erklärten auch andere Spitzenverbände der Kassen. Dies zeigten Häuser, die neue Arbeitszeitmodelle entwickelten. Durch Neuorganisation, Abbau von Überkapazitäten und bereits zugesagte Mittel könnten die Vorgaben kostenneutral umgesetzt werden. Montgomery nannte dies „reinen Blödsinn“. Die Kassen versuchten „ihre Grundpolitik, den Abbau der Krankenhausleistungen, fortzuführen“.

Neben Kliniken dürfte das Urteil nach Einschätzung des Arbeitsministeriums und der Gewerkschaft Verdi auch Feuerwehren, Rettungs- und Wachdienste betreffen. Die Gewerkschaft der Polizei kündigte dem Tagesspiegel ebenfalls an, sich das Urteil „genau zu begucken“. Die Regierung dürfe sich nicht auf eine Minimalregelung beschränken, mahnte auch die DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer.

UND 9

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