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Politik: "Kein Blut für Joschka"

Aus Leuten, die in ihrer Jugend linksradikale Flugblätter verteilen, wird ja oft was. Deswegen war es wichtig, sich die junge Frau genau anzuschauen, die diese kleine Denkschrift zum Kosovo-Krieg verteilte: "Wenn der erste deutsche Bomber abgeschossen wird, sollten wir einige Fläschchen öffnen und den Denkzettel auf würdige Weise begießen.

Aus Leuten, die in ihrer Jugend linksradikale Flugblätter verteilen, wird ja oft was. Deswegen war es wichtig, sich die junge Frau genau anzuschauen, die diese kleine Denkschrift zum Kosovo-Krieg verteilte: "Wenn der erste deutsche Bomber abgeschossen wird, sollten wir einige Fläschchen öffnen und den Denkzettel auf würdige Weise begießen." Falls die jugoslawische Flak ihre Form etwas steigert, wird man auf den freudigen Anlaß nicht mehr lange warten müssen. In zwanzig Jahren ist sie bestimmt Innenministerin. Bis dahin hebe ich das Flugblatt auf.

Außerdem wurde vorm Audimax der Berliner Humboldt-Universität die "Deutsche Fliegerwoche" verteilt, Beilage der Wochenzeitung "Jungle World". Die "Deutsche Fliegerwoche" ist eine gut gemachte Parodie auf die Verteufelung der Serben, den überhitzten Kriegspropagandaton, den man zur Zeit manchmal in der deutschen Presse findet: "Serbischer Geheimdienst quält deutsche Soldaten-Mütter!" Es steht aber auch drin, welche Prominenten sich in den letzten Tagen gegen den Kosovo-Einsatz ausgesprochen haben. Eine überraschende Liste: Dieter Bohlen ("Die Geschichte hat gezeigt, daß Kriege sinnlos sind"), Heidi Kabel ("Ich bin empört"), Tony Marshall ("Ein Krieg ist immer falsch"), Helmut Schmidt ("Das ist ein Fehler") - und Peter Gauweiler, CSU, der bezweifelt, daß der Einsatz vom Grundgesetz gedeckt ist. Wer behauptet da, daß die deutschen Intellektuellen sich nicht mehr einmischen? Es ist eben eine neue Generation von Intellektuellen nachgewachsen, an deren Namen man sich erst gewöhnen muß.

Lange hat es gedauert, bis in Berlin die erste Großdiskussion zum Krieg stattfand: bis Mittwoch abend. Titel: "Wollt ihr den totalen Friedenseinsatz?" Veranstalter war die linke Zeitschrift "konkret". Für deren Herausgeber, Hermann Gremliza, bedeutet der Krieg, an dem eine ehemals pazifistische Partei beteiligt ist, die Erfüllung seiner langjährigen Weissagungen: Seit Menschengedenken vertritt Gremliza die These, daß im Vergleich zu den skrupellos karrieristischen Grünen sogar die FDP eine prinzipienfeste Partei sei. Als neuen Slogan der neuen Friedensbewegung schlug jemand aus dem Publikum vor: "Kein Blut für Joschka!"

Etliche Minuten lang sah es so aus, als ob die Veranstaltung abgebrochen werden müsse. Michel Friedmann sprach, der als "Publizist" angekündigt wurde und nicht als CDU-Politiker. Friedmann verteidigte, wie der "taz"-Journalist Rüdiger Rossig, den NATO-Einsatz im Kosovo. Aber er sprach auch ausführlich von seinen Skrupeln. Pazifismus sei kein Schimpfwort, sagte Friedmann, sondern eine Haltung, die er respektiere. Die Politiker, die jetzt Bomber schicken, hätten versagt, auch das sagte er. Vor allem sei es falsch, Milosevics Taten mit Auschwitz zu vergleichen. Milosevic sei "ein Mörder und Diktator", reicht das den rotgrünen Politikern etwa nicht? Muß es immer gleich Auschwitz sein?

Friedmann hat das, was man im Popgeschäft "street credibility" nennt. Er wird respektiert, weil er sich nicht um die CDU-Parteilinie schert, sondern sich zu jeder politischen Frage seine eigenen Gedanken macht. Daß er Jude ist, spielt dabei auch eine Rolle. Trotzdem wurde er niedergebrüllt. Minutenlange Tumulte. Friedmann stand die Sache durch, aber am Ende wirkte er aufgewühlt und angeschlagen. Der Pazifismus hatte, wie es im korrekten linksradikalen Jargon heißt, seine häßliche Fratze gezeigt.

Von der SPD war niemand gekommen, trotz Einladung. Aber Christian Ströbele war da, der sich zum Wortführer der Antikriegs-Fraktion innerhalb der Grünen gemacht hat. Ströbele ist kein Pazifist. Es gibt gerechte Kriege, sagt er. Wenn ein UN-Mandat vorliegt, oder wenn ein Land sich gegen einen Angriff verteidigt. Ströbele glaubt, den weltpolitischen Hintergrund des Einsatzes zu kennen: Die NATO wolle sich, als Weltpolizist, an die Stelle der UN setzen. Das Abkommen von Rambouillet sei für die Serben unannehmbar gewesen, weil es die Präsenz von NATO-Truppen nicht nur im Kosovo, sondern auch in Serbien vorsah. Damit hätte Jugoslawien aufgehört, ein souveräner Staat zu sein.

Stimmt das? Zur Zeit schwirren alle möglichen Informationen durch die Welt, die schwer zu überprüfen sind, wahrscheinlich typisch für Kriegszeiten. Es seien mindestens 30 000 Serben im Kosovo auf der Flucht, behauptet Ströbele zum Beispiel. Es fällt auf, wie milde er wird, sobald von Milosevic die Rede ist. Das härteste Wort: Milosevic sei "ein böser Machtmensch". Nur ein Machtmensch? Also: Joschka Fischer sagt, Slobodan Milosevic sei ein zweiter Adolf Hitler. Christian Ströbele sagt, Milosevic sei ein zweiter Joschka Fischer. Die Wahrheit dürfte in diesem Fall tatsächlich in der Mitte liegen.

Die Gegner des NATO-Einsatzes sind in zwei Gruppen gespalten: diejenigen, die Milosevic verharmlosen und, im weitesten Sinn, proserbisch argumentieren. Und diejenigen, die in der Beurteilung Milosevics mit der NATO übereinstimmen, aber den Krieg als das falsche Mittel ablehnen. Außerdem gibt es eine dritte Gruppe, die Verschwörungstheorien und allerlei sonderliche Thesen vertritt. Zu dieser Gruppe gehört die Jura-Professorin Sibylle Tönnies. Wenn ich Tönnies richtig verstanden habe, dann führt sie den Krieg zu wesentlichen Teilen auf die sexuellen Probleme von Rudolf Scharping zurück, der sich mit Hilfe der Bundeswehr seiner eigenen Männlichkeit zu versichern sucht. Der Kosovo-Krieg wäre demnach eine Art Ersatz für den Bart, von dem Scharping sich auf Druck seiner Imageberater trennen mußte. Obwohl es zur Erreichung eines Waffenstillstands also genügen würde, den Rasierapparat des Verteidigungsministers zu verstecken, haben Tönnies und etwa 20 andere Juristen ihn wegen "Vorbereitung eines Angriffskrieges" angezeigt, Strafmaß: lebenslänglich.

Als das Publikum zum Mitdiskutieren aufgerufen wurde, reihte sich am Saalmikrophon eine ordentliche Schlange auf, wie an einer Londoner Bushaltestelle. Judith Demba, der Diskussionsleiterin, grün, gefiel es nicht, daß mehrere Männer nacheinander an die Reihe kommen sollten. Demba forderte also die Frauen auf, die Männer wegzuschubsen und sich vorzudrängeln. Aber die Frauen weigerten sich. Sie warteten in der Schlange, genauso wie die Männer, total höflich, zum Ärger von Frau Demba. Das war Zivilcourage. Zumindest in diesem Moment hatte der bürgerliche Frieden sich gegen das grüne Ellbogenprinzip durchgesetzt.

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