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Politik: Kein „finaler Genickschuss“

Die Luxemburger lassen sich von der EU-Kampagne ihres Premiers überzeugen

Im Wahlbüro Nummer 22 im Zentrum von Luxemburg-Stadt standen die Wähler am späten Sonntagvormittag Schlange. Es herrscht Wahlpflicht im Großherzogtum, aber die meisten sind wohl freiwillig gekommen. Wählen gehört in Luxemburg selbstverständlich zur Bürgerpflicht. Und für einen guten Luxemburger gilt das Gleiche wohl auch für Europa. Denn die Einwohner von Luxemburg haben sich am Sonntag mehrheitlich für die EU-Verfassung ausgesprochen.

„Natürlich habe ich mit Ja gestimmt. Ich bin für Europa, und eine starke Union braucht eine Verfassung“, sagte ein älterer Herr nach seiner Stimmabgabe. Die EU stehe für Frieden auf dem Kontinent und habe den Luxemburgern ihren Wohlstand gebracht, erklärt er weiter. Diese Argumente haben letztendlich doch die Mehrheit der Bewohner des Großherzogtums überzeugt.

Die Ankündigung von Premierminister Jean-Claude Juncker, im Falle eines Nein von seinen Ämtern zurückzutreten, dürfte die letzten Zweifler überzeugt haben. Und so war der Premier am Abend sichtlich erleichtert und ein wenig stolz: „Wenn Luxemburg mit Nein gestimmt hätte, wäre das der finale Genickschuss für den Verfassungsvertrag gewesen“, sagte Juncker. Das Referendum zeige die Haltung eines „kleinen Landes, aber einer großen Nation“, die ebensoviel Gewicht habe wie Frankreich oder die Niederlande.

Die Gegner der Verfassung hatten nach den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden immer mehr an Boden gewonnen. Während im April noch 70 Prozent der Luxemburger für den Vertragstext stimmen wollten, waren es Anfang Juli nur noch 55 Prozent. Nach dem Ende seiner EU-Präsidentschaft stürzte sich Juncker in die Verfassungskampagne. Er tourte durchs ganze Land, von einer Informationsveranstaltung zur nächsten. In den letzten Tagen vor der Abstimmung besuchte er drei Gymnasien, um die Jungwähler von dem Verfassungstext zu überzeugen.

Die Verfassungsgegner waren trotz ihrer Niederlage stolz auf das Ergebnis: „Wir sind mit 16 Prozent ins Rennen gestartet. Deshalb ist dieses Resultat für uns ein großer Erfolg“, sagte André Kremer vom „Komitee für das Nein“, das mehrere linke Gruppen zusammenfasst. Allerdings kritisierte er die Kampagne der Regierung. Es sei ein „ungleicher Kampf“ gewesen. Die Gegner hatten ihre Kampagne mit Spendengeldern finanzieren müssen. „Juncker hat mit Steuergeldern Propaganda für das Ja gemacht. Die Gegner haben keinen Pfennig bekommen“, sagte Gast Gibéryen, Fraktionsvorsitzender der rechtspopulistischen Partei ADR, die im Parlament als Einzige gegen die Verfassung gestimmt hat. Wie teuer die Verfassungskampagne letztlich war, ist bisher nicht offiziell bekannt. Fest steht aber, dass die Werbespots im Radio und die Plakate aus dem Regierungsetat bezahlt worden sind.

Mit Luxemburg haben nun mehr als die Hälfte der 25 EU-Länder die Verfassung ratifiziert. Wie der Prozess auf europäischer Ebene weitergehen wird, war zunächst noch unklar. Zahlreiche Mitgliedsländer hatten die Abstimmung vorläufig verschoben, nachdem die Franzosen und die Niederländer den Text abgelehnt hatten. In Tschechien wurde gestern bekannt, dass das Land angesichts schlechter Umfrageergebnisse die Volksabstimmung ein weiteres Mal verschieben will – auf Ende 2007. In Luxemburg wird das Parlament im Herbst den Text endgültig ratifizieren, eine reine Formsache.

Die europäischen Partner gratulierten den Luxemburgern zu ihrem Votum. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, das Ja sei ein Bekenntnis zu Europa in einer Zeit, in der sich die EU in einer schwierigen Phase befinde. „Zugleich ist es eine Ermutigung und Aufforderung an alle Europäer, rasch nach gemeinsamen Wegen zur Überwindung der gegenwärtigen Krise zu suchen.“ Die britische Regierung teilte mit: „Als EU-Präsidentschaft begrüßen wir das Ergebnis und gratulieren Regierungschef Juncker und dem luxemburgischen Volk zu der offenen und lebhaften Debatte während der Kampagne.“

Ruth Reichstein[Luxemburg]

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