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Der Europäische Gerichtshof übt Kritik am Sozialtourismus

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Kein Hartz-IV für Zuwanderer?: Der EU-Generalanwalt stellt sich gegen "Sozialtourismus"

Die Debatte um den Missbrauch von Hartz-IV-Leistungen durch Zuwanderer ist zuletzt immer schärfer geworden. Jetzt hält es der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs für rechtens, sie in bestimmten Fällen vom Bezug auszuschließen.

Arbeitslosen Zuwanderern aus EU-Staaten können Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die entsprechenden deutschen Vorschriften seien mit EU-Recht vereinbar und erlaubten es, „Missbräuche und eine gewisse Form von Sozialtourismus zu verhindern“, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme.

Das Gutachten bindet das Gericht zwar nicht, in vielen Fällen aber folgt es ihm. Anlass ist ein Rechtsstreit, der mit Eintritt der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Länder wie Bulgarien und Rumänien Anfang Januar viel Aufmerksamkeit gefunden hat. Es geht um die Klage einer Rumänin gegen das Jobcenter Leipzig, die gemeinsam mit ihrem hier geborenen Sohn seit Jahren bei der Schwester lebt und von ihr versorgt wird. Die Frau, Elisabeta D., hat keinen Beruf gelernt, verfügt über kein eigenes Einkommen und war bisher noch nicht berufstätig. Wie EuGH-Generalanwalt Melchior Wathelet feststellt, ist sie auch nicht nach Deutschland eingereist, um Arbeit zu suchen, und sie bemühe sich auch nicht, welche zu finden. Das Leipziger Sozialgericht hatte den Fall in Luxemburg vorgelegt, weil es Zweifel an der deutschen Regelung hatte.

Der Anspruch auf Gleichbehandlung wird ausgereizt

Nach Auffassung Wathelets greift in solchen Fällen jedoch die deutsche Ausschlussklausel. „Rechtsvorschriften, die Leistungen der Grundsicherung Personen verweigern, die weit davon entfernt sind, sich in den Arbeitsmarkt integrieren zu wollen“, seien demnach EU-konform, insbesondere wenn die Zugereisten „einzig und allein mit dem Ziel nach Deutschland kommen, Nutzen aus dem deutschen Sozialhilfesystem zu ziehen“. Es sei Absicht des Unionsrechts, zu verhindern, „dass Personen, die von ihrer Freizügigkeit Gebrauch machen, ohne sich integrieren zu wollen, eine Belastung für das Sozialhilfesystem werden“.

Grundsätzlich haben hier lebende und arbeitende EU-Bürger einen Anspruch auf Sozialleistungen. Der Ausschluss für arbeitslose Zuwanderer fußt auf einer EU-Richtlinie, die den Aufnahmestaat vor unangemessenen finanziellen Belastungen schützen will. Danach kann der Bezug für die ersten drei Monate ausgeschlossen werden. Für einen längeren Aufenthalt wäre auch nach Maßgaben der EU-Freizügigkeit regelmäßig ein Einkommen nachzuweisen. Für den Generalanwalt ist dies kein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot: Es sei „zwangsläufig“, dass es im Verhältnis zwischen den Bürgern des Aufnahmestaats und den anderen Unionsbürgern zu Ungleichbehandlungen kommen könne.

Der Fall von Elisabeta D. hatte Anfang des Jahres Unverständnis ausgelöst, weil die EU-Kommission eine Stellungnahme zu dem Rechtsstreit beisteuerte, die in der Öffentlichkeit als grundlegende Kritik an den deutschen Regelungen interpretiert wurde. Daraufhin sah sich die Kommission zu einer Klarstellung veranlasst: „Dem Recht auf Freizügigkeit stehen strikte Schutzklauseln gegenüber, um den sogenannten Sozialtourismus zu verhindern.“ Im Wesentlichen hatte die Kommission kritisiert, dass die deutschen Vorschriften keine Einzelfallprüfung nahelegten. Generalanwalt Wathelet meint nun, man komme darum ohnehin nicht herum: Um zu bestimmen, ob einem Antragsteller Leistungen verweigert werden dürften, müssten die Behörden zwangsläufig die persönliche Situation prüfen.

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