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Politik: Kein Richtig und kein Falsch

IRAK – EIN JAHR DANACH

Von Christoph von Marschall

Wenn dieser Feldzug ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den Terror sein sollte, dann ist die Bilanz bitter. Explodierende Züge in Madrid, Terrorwarnungen in Frankreich und Polen, Anschläge auf Aufbauhelfer im Irak, auch auf deutsche, Bomben in Bagdad und selbst im bisher friedlichen Basra – Al Qaida will offenbar die Gewalt zum Jahrestag des Kriegsbeginns steigern, als Fanal. Und um Präsident Bush dem Hohn und dem Druck der Welt auszuliefern. Sein Krieg gegen den Terror hat die Terrorgefahr noch erhöht, dieses Gefühl beherrscht Europa. Selbst in Regierungen, die sich der Koalition der Willigen angeschlossen hatten, wachsen die Zweifel. Italiens Europaminister Buttiglione sagt, „der Krieg war vielleicht ein Fehler“.

Die Kriegsgegner dürfen sich bestätigt fühlen. Geschieht Amerika doch ganz recht, ruft es in vielen, dass es für diesen falschen Krieg ohne UN-Mandat bestraft wird; dass Spaniens angekündigter Abzug vielleicht Nachahmer findet. Und dann wäre endlich alles so, wie es vor einem Jahr hätte sein sollen: Europa ist nicht mehr zerstritten, stellt sich einig gegen Bush. Freilich mit der bitteren Erkenntnis, dass auch die Länder der Kriegsgegner heute stärker von Terror bedroht sind als zuvor. Recht haben schafft nicht mehr Sicherheit.

Europa darf – und muss – nachtragend sein: bei den unauffindbaren Massenvernichtungswaffen, bei Guantanamo, beim Umgang mit der Wahrheit und dem internationalen Recht. Aber es darf darüber die andere Seite der Bilanz nicht aus dem Blick verlieren. An erster Stelle den Sturz der Diktatur; trotz Krieg, trotz Anschlägen sind im Irak in den letzten zwölf Monaten weniger Menschen gewaltsam gestorben als in einem „normalen“ Jahr unter Saddam. Dazu die – ja doch! – allmähliche Stabilisierung der Lage. Die wiederkehrenden Anschläge überschatten sie, aber das ist auch ein Wahrnehmungsproblem.

Die erste Bombenwelle im Sommer 2003 traf US-Stützpunkte, das UN-Hauptquartier, das Rote Kreuz. Die humanitären Organisationen zogen ab, die Soldaten blieben. Die zweite zum Ramadan Ende Oktober richtete sich verstärkt gegen kooperationsbereite Iraker, die in Polizei und Bürgerwehr ein Auskommen für ihre Familien suchten. Sie ließen sich nicht abschrecken. Auch die dritte Welle gegen gläubige Schiiten in Kerbela Ende Dezember und die Hauptquartiere der kurdischen Parteien im Februar führte nicht zum gewünschten Ergebnis, einen Bürgerkrieg auszulösen.

Irak hat inzwischen eine Übergangsverfassung, am 30. Juni soll die Macht an eine Interimsregierung übergeben werden, Polizei und Bürgerwehr beginnen zu funktionieren. Zwar können weder sie noch die Besatzungstruppen Anschläge zuverlässig verhindern. Aber der Widerstand bröckelt. Die sunnitische Geistlichkeit im Raum Bagdad/Tikrit, dem Kerngebiet der Anschläge wie der Herrschaftsschicht in der Saddam-Diktatur, hat ein Verdikt herausgegeben, das Anschläge auf Iraker verbietet. In einer repräsentativen Umfrage von Oxford Research International im Auftrag kriegskritischer Sender wie BBC und ARD sagen 50 Prozent, dass sich ihr Leben im letzten Jahr verbessert habe, und 70 Prozent erwarten, dass sich ihr Leben verbessern wird.

Diese – langsamen – Fortschritte wahrzunehmen, ist das eine. Zum anderen hat das kriegsskeptische Europa zwar in vielem Recht behalten, nur nützt ihm das wenig. Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen, entscheidend ist jetzt nicht, ob der Krieg falsch war, sondern was heute richtig ist. Das Szenario, das Bush weiter in Schwierigkeiten bringt – die Spanier ziehen ab und nach ihnen vielleicht weitere Europäer – bestraft nicht nur Bush, sondern auch Europa und Deutschland. Denn in unserem Interesse sind Fortschritte im Irak und Rückschläge für das Terrornetz.

Europa muss sich nicht gegen Amerika zusammentun, sondern gegen den Terror. Und nicht für den Abzug, sondern für ein UN-Mandat, das es Spaniens neuer Regierung erlaubt, die Truppen im Irak zu lassen. Premier Blair sollte Präsident Bush sagen, wie wichtig es wäre, dass er Europa um Hilfe bittet und nicht darauf beharrt, Amerika mache alles richtig und notfalls alleine. Nur gemeinsam kann der Westen den Frieden im Irak und den Kampf gegen den Terror gewinnen. Wenn Bush das nicht begreift, werden Amerikas Wähler es ihm klar machen.

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