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Politik: Kein russisches Roulette am Hindukusch

Afghanistanexperten der Moskauer Regierung raten von militärischen Aktionen zur Geiselbefreiung ab

Timur Akulow weiß, wovon er spricht, wenn er die Zentralregierung in Kabul und deren westliche Schutzmächte eindringlich zu Besonnenheit bei der Befreiung der Geiseln mahnt: Akulow, heute außenpolitischer Berater des Präsidenten der russischen Teilrepublik Tatarstan, verhandelte 1995 mit den Taliban mehrere Monate lang über die Freilassung russischer Piloten. Mit Erfolg. Obwohl die Ausgangslage ähnlich hoffnungslos schien wie jetzt im Falle der im Juli entführten Mitarbeiter einer christlichen Hilfsorganisation aus Südkorea in Afghanistan. Drei wurden bereits ermordet. Auch bei der Entführung zweier Deutscher, von denen einer ebenfalls nicht mehr am Leben ist, sollen die Islamisten ihre Hand mit im Spiel haben. Damals verlangten die Taliban von Moskau neben der Befreiung von mehr als 2000 afghanischen Gotteskriegern, die während der sowjetischen Besetzung in Gefangenschaft geraten waren und angeblich in russischen Lagern untergebracht waren, die Einstellung aller militärischen und finanziellen Hilfe für die Nordallianz, jene Reste der Truppen des von den Taliban entmachteten Mudschaheddin-Präsidenten Burhanuddin Rabbani, die zwischen 1995 und 2001 Teile von Nordafghanistan kontrollierten.

Politische Forderungen zu erfüllen, so Akulow, sei damals für Moskau so wenig infrage gekommen wie heute für die westliche Antiterrorkoalition eine Beendigung ihrer Afghanistanmission. Das wussten und wissen auch die Taliban. Mit den Geiselnahmen verfolgten und verfolgen sie daher aus Sicht von Akulow vor allem Dauerpräsenz in den Schlagzeilen der internationalen Presse. Irgendwann, so ihr Kalkül, werde der Druck der Öffentlichkeit auf die westlichen Regierungen so stark, dass diese die Taliban als Verhandlungspartner akzeptieren und damit als politische Kraft legitimieren müssen.

Daher würde auch Lösegeld nichts bringen. Durch Einnahmen aus illegalem Handel mit Drogen und Edelsteinen sei die Kriegskasse der Taliban nach wie vor gut gefüllt. Eine gewaltsame Befreiung der Geiseln würde nur in einem Blutbad enden. Die Taliban, so ein anderer russischer Afghanistankenner, Sergej Gontscharow, der vor zwanzig Jahren Moskaus Eliteeinheit Alpha in den Kampf gegen die Gotteskrieger am Hindukusch führte, seien auf Derartiges vorbereitet, die neue afghanische Armee dagegen personell wie waffentechnisch damit hoffnungslos überfordert. Weil die Zentralregierung in Kabul Zweifel an der Loyalität ihrer Soldaten hat und zudem den ungeliebten Nachbarn Pakistan nicht reizen will, zählen die Regierungstruppen ganze 40 000 Mann. Während der politisch stabilen Monarchie waren es fast dreimal mehr. Eine afghanische Luftwaffe ist bisher überhaupt nicht vorgesehen. Nato-Soldaten aber riskieren, so der Experte, wegen möglicher Kollateralschäden bei einer Geiselbefreiung die letzten Reste von Sympathien bei der Zivilbevölkerung.

Dabei sind zuverlässige nachrichtendienstliche Informationen, mit denen aus Sicht von Afghanistanveteran Gontscharow jede Geiselbefreiung steht und fällt, nur zu haben, wenn die Einheimischen wenigstens bedingt mit den Besatzern kooperieren. Genau in diesem Punkt aber, sagt Gontscharow fast mitfühlend, hätten es die Sowjets leichter gehabt als jetzt die Kollegen aus dem Westen.

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