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Die Ministerriege der Grünen.

© Markus Schreiber / POOL / AFP

Kein Tempolimit, kein Mietendeckel...: Grüne Begeisterung kommt beim Koalitionsvertrag nicht auf

Die Grüne Basis hat der Ampel-Koalition zugestimmt. Doch Bauchschmerzen bleiben und viel Zeit, den Wahlkampf aufzuarbeiten, hat die Partei nicht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

Die Grünen-Mitglieder haben auf ihren Kopf gehört und den Weg für die Ampel damit endgültig frei gemacht. Mit 86 Prozent Zustimmung haben 71.000 der knapp 125.000 Mitglieder der Vernunft die Oberhand gewährt und die Schmerzen im Bauch ignoriert. Doch davon hat es beim Votum der Basis einige gegeben.

Groß waren die Hoffnungen in der eigenen Partei zu Beginn des Wahlkampfes gewesen. In Umfragen lagen die Grünen lange bei 20 Prozent, viele tausend neue Mitglieder wollten sich einbringen. Doch mit 14,8 Prozent mussten die Grünen nach der Wahl kleinere Brötchen backen.

Statt Kanzleramt nur fünf Ministerien – und noch nicht mal das Verkehrsministerium – gingen an die Grünen. Auch inhaltlich musste man schmerzhafte Kompromisse machen. Kein Tempolimit, kein Mietendeckel, keine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze, keine Umverteilung durch Steuererhöhungen.

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Doch die Alternativen zur Ampel waren überschaubar. Die Möglichkeiten in einem Jamaika-Bündnis wären kaum größer gewesen und an einer Fortsetzung der Großen Koalition konnten linke Basis-Mitglieder kein Interesse haben. Wohl auch so ist die niedrige Wahlbeteiligung von nur 57 Prozent zu erklären. Begeisterung war es kaum, aber für die meisten schien nach 16 zähen Jahren in der Opposition selbst eine mit der FDP geteilte Regierungsbank attraktiv.

Viel erreicht bei Gesellschaftspolitik und Klimaschutz

Es gibt auch gute Argumente für das Ja. Neben der Gesellschaftspolitik haben die Grünen gerade beim Klimaschutz viel erreicht: der frühere Ausstieg aus der Kohle, das Ende des Verbrennungsmotors, ein perspektivisches Aus fürs Gas und ein radikaler Ausbau der Erneuerbaren Energien. Dafür wird es die Grünen in der Regierung brauchen.

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Die vielen neuen Windkraftanlagen, die Solarparks, Offshore-Windparks und neuen Bahngleise werden auf Gegenwehr treffen. Oft wird es gegen alte Verbündete der Grünen gehen: Naturschützer, Umweltaktivisten und Öko-Verbände. Nur die Grünen besitzen das Vertrauen dieser Gruppen, um eine Blockade zu verhindern. Besser ein Aufbruch mit Abstrichen, als gar kein Aufbruch, war in diesen Tagen eine viel gehörte Devise an der Basis.

Der verpatzte Wahlkampf muss aufgearbeitet werden

Die Zustimmung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grünen dringend ihren verpatzten Wahlkampf aufarbeiten müssen. Eine schonungslose Analyse hat die gescheiterte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nach der Wahl angekündigt, doch mehr  ist in den vergangenen zwei Monaten nicht geschehen.

Team Grün: Die fünf designierten Ministerinnen und Minister.
Team Grün: Die fünf designierten Ministerinnen und Minister.

© Kay Nietfeld /dpa

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Die Koalitionsgespräche und die Bewältigung der vierten Corona-Welle habe alle Aufmerksamkeit gekostet. Das mag stimmen, doch viel mehr Zeit dürften Baerbock und Habeck als Minister auch nicht haben. Selbst Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, verantwortlich für die Kampagne, wird sich als Staatssekretär unter Habeck wohl eher um die Energiewende kümmern müssen.

So wird es vor allem an der kommenden Parteispitze sein, sich ehrlich zu machen. Zu wenig waren die Grünen im Wahlkampf auf politische Angriffe und Falschmeldungen vorbereitet, machten zudem viele vermeidbare eigene Fehler.

Vor allem aber machten sie sich thematisch klein, konzentrierten sich mehr auf das eigene Milieu, als um die Breite der Gesellschaft. Stellt man sich diesen unangenehmen Debatten nicht, werden die Grünen auch in Zukunft maximal Juniorpartner bleiben und mehr als nur ein paar Kompromisse schlucken müssen.

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