zum Hauptinhalt
Die deutschen Justizbehörden werden Rechtshilfeersuchen Erdogans – etwa wegen Präsidentenbeleidigung – nicht mehr bearbeiten.

© Ozer/AFP

Keine Ermittlungen wegen Präsidentenbeleidigung: Deutschland stoppt Rechtshilfe für Türkei

Der türkische Präsident Erdogan verfolgt Kritiker über die Landesgrenzen hinaus. Damit ist in Deutschland jetzt Schluss: Behörden verweigern die Zusammenarbeit bei Verfahren wegen politischer Taten.

Von Ronja Ringelstein

Als Ali Cebir auf seiner Facebook-Seite pro-kurdische Artikel teilte und den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan dort einen Dieb und Mörder nannte, hatte er nicht mit den Folgen gerechnet: Anfang Januar erhielt der seit 18 Jahren als anerkannter Asylbewerber in Deutschland lebende Türke eine Ladung zu einem Vernehmungstermin des Amtsgerichts Elmshorn in Schleswig-Holstein. „Die Vernehmung erfolgt auf Ersuchen der Republik Türkei. Ihnen wird eine mehrfache Beleidigung des Staatspräsidenten vorgeworfen“, heißt es in dem Schreiben. Das Gericht Elmshorn leistet dem türkischen Staat damit so genannte Rechtshilfe.

Doch damit soll jetzt Schluss sein: Die Bundes- und Landesjustizministerien sind in einer gemeinsamen Besprechung vergangene Woche übereingekommen, dass Deutschland der Türkei künftig keine Rechtshilfe leistet, wenn es um politische Taten geht. Das sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums (BMJV) auf Anfrage dem Tagesspiegel.

Erdogan lässt tausende Kritiker strafrechtlich verfolgen - auch in Deutschland

Nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli vergangenen Jahres hatte Erdogan den Ausnahmezustand verhängt. Zehntausende entließ er aus dem Staatsdienst, schloss Medienhäuser und ließ Tausende wegen des Vorwurfs verhaften, den islamischen Prediger Fethullah Gülen und die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu unterstützen. Auch auf Präsidentenbeleidigung steht nach türkischem Recht mindestens ein Jahr Haftstrafe. Bei mehrmaligen Beleidigungen erhöht sich die Strafe – Ali Cebir drohen allein für die Beleidigung vier Jahre Haft, wie sein Hamburger Anwalt Mahmut Erdem sagte.

Dass Erdogan auch im Ausland mit aller Macht gegen Präsidentenbeleidigungen vorgeht, ist spätestens seit dem Fall um das „Schmähgedicht“ des TV-Komikers Jan Böhmermann bekannt. Doch vor allem hat der türkische Präsident seine eigenen Landsleute im Visier, gegen die er nach türkischem Recht in Deutschland ermitteln lässt. Deshalb gingen auch bei deutschen Behörden immer wieder Rechtshilfeersuchen Erdogans ein, in denen er die Justiz etwa um die Vernehmung türkischer Beschuldigter bat.

Nach dem Putschversuch wurden die deutschen Behörden vorsichtig

Bisher kam Deutschland den Ersuchen auch nach. Seit 1974 galt eine Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik und der Regierung der Türkei, dass sich die beiden Staaten gegenseitig Hilfe in Strafsachen leisten. Die türkischen Generalkonsulate übermitteln ihre Ersuchen direkt an deutsche Gerichte, die dann in türkischem Auftrag Beschuldigte, Zeugen oder Sachverständige vernehmen.

Mit dem Putschversuch wurden die deutschen Behörden vorsichtig und stellten die Zusammenarbeit in der Rechtshilfe kurzzeitig ein. Das Bundesjustizministerium bat die Landesjustizverwaltungen aber später, alle Verfahren, denen „politische Taten, Staatsschutzstrafsachen oder anderer Taten mit Hinweis auf eine Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung“ zugrunde liegen, als Angelegenheiten besonderer Bedeutung zu behandeln und sie zentral dem Bundesamt für Justiz in Bonn zu berichten. Es kam allerdings nichts.

Wie viele türkische Ersuchen insgesamt eingingen, ist nicht zu erfahren, da eine statistische Erfassung nicht erfolge, hieß es. Allerdings wandte sich die türkische Justiz mit Rechtshilfebitten bei Präsidentenbeleidigungen auch direkt an das Bonner Bundesamt. Die Verfahren seien abgeschlossen, sagte die Ministeriumssprecherin, da derartige Ersuchen jetzt endgültig nicht mehr bewilligt würden.

Ali Cebirs Fall hängt noch in der Schwebe - gestoppt wurde er nicht

Weshalb Ali Cebir dennoch zu einem Gerichtstermin im Februar geladen wurde, ist nicht ganz klar. Zu konkreten Fällen wollte sich weder das Bundesamt für Justiz äußern, noch das übergeordnete Bundesjustizministerium. Da die türkischen Generalkonsulate aber weiterhin den direkten Weg über die Länder gehen können, ist es möglich, dass die Bundesstellen schlicht nicht über den Fall unterrichtet wurden – und ihn deshalb auch nicht stoppen konnten.

Cebirs Rechtsanwalt riet seinem Mandanten, nicht zu dem Termin zu erscheinen. Ohnehin hat das Amtsgericht Elmshorn den Gerichtstermin nun aufgehoben. Jedoch nicht aus politischen Gründen, wie ein Gerichtssprecher sagte. Sondern weil die zur Verfügung gestellten Akten aus der Türkei nicht ausreichen würden, um den Beschuldigten wie beantragt vernehmen zu können.

Auch ein zweites Verfahren gegen Cebir ist derzeit noch in der Schwebe. Im August vergangenen Jahres hatte er vom Landeskriminalamt eine Ladung wegen des Verdachts der Propaganda für einer Terrororganisation erhalten. Den Termin ließ Cebir verstreichen, stattdessen schickte sein Verteidiger einen Brief an die Staatsanwaltschaft. Bisher passierte nichts. Offiziell läuft das Verfahren aber noch weiter.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zur Startseite