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Politik: "Keine schlummernde Bestie" - Was Reinhard Loske an Erneuerung erhofft

Reinhard Loske (41) ist seit 1998 umweltpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Der Diplom-Volkswirt arbeitete vor seiner Politiker-Laufbahn im Ministerium für Wirtschaft und Technologie in Düsseldorf.

Reinhard Loske (41) ist seit 1998 umweltpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Der Diplom-Volkswirt arbeitete vor seiner Politiker-Laufbahn im Ministerium für Wirtschaft und Technologie in Düsseldorf. Danach leitete er die Arbeitsgemeinschaft "Zukunftsfähiges Deutschland" im Wuppertal-Institut für Klimaforschung. Loske zählt zu den so genannten Realpolitikern. Allerdings dringt er stärker darauf, das Gründungsthema der Grünen, die Ökologie, in den Vordergrund zu stellen.

Die Grünen wollen auf ihrem morgen beginnenden Parteitag den Energiekonzernen und der SPD kein Ultimatum zum Atomausstieg stellen. Ist nicht spätestens der übernächste Parteitag im Mai ein faktisches Ultimatum?

Sicher würde es nicht leicht sein, noch einmal ohne ein greifbares Ergebnis vor die Delegierten zu treten. Das logische Ende der Atomgespräche kommt allerdings spätestens, wenn die ersten Atomtransporte laufen. Wir Grünen können diese Transporte nicht rechtfertigen, ohne sagen zu können, wie der Atomausstieg läuft.

Ist das ein Kernpunkt grüner Glaubwürdigkeit?

Ich denke schon. Wir waren in der Atomfrage beileibe nicht maßlos in unseren Forderungen. Darum ist das Ende der Fahnenstange bald erreicht. Ich denke im Übrigen auch, dass die Energieproduzenten ein Interesse an der Einigung haben müssen. Auf dem liberalisierten Strommarkt ist Image ein wichtiger Faktor, und wer will schon, dass es heißt, der nächste Castor rollt wegen des gelben Stroms.

Wollen sie den Atomausstieg über einen Kundenboykott erreichen?

Es ist schon gut und richtig, dass die Leute heute auswählen können, aber das enthebt uns nicht der Aufgabe, Politik zu machen. Wir, die rot-grüne Regierung müssen eine Entscheidung fällen: Ausstieg im Konsens oder, zur Not, eben im Dissens.

Der Umweltsachverständigenrat hat kritisiert, dass sich die Regierung zu sehr auf den Atomausstieg und die Ökosteuer konzentriert hat und die anderen Felder der Umweltpolitik vernachlässigt hat. Eine ungerechte Kritik?

In der Öffentlichkeit ist nur die Kritik der Gutachter rübergekommen. Aber sie haben uns auf vielen Feldern auch ermutigt, beispielsweise wird unsere Ökosteuer im Grundsatz unterstützt. Trotzdem bleiben berechtigte Kritikpunkte. Naturschutz, Abfallpolitik und Bodenschutz sind bisher eindeutig zu kurz gekommen.

Wenn Ihre Umweltpolitik unter dem Strich, wie Sie behaupten, positiv zu bewerten ist, woher kommt dann auf diesem Feld die große Unzufriedenheit bei Wählern, Mitgliedern und Sympathisanten der Grünen?

Es fehlt das grüne Herz. Bei vielen unserer Spitzenleute spielt das Thema Umweltpolitik keine große Rolle oder ist zumindest keine Herzensangelegenheit.

Liegt es nur an der Einstellung?

Nein, genauso wichtig ist etwas anderes: Umweltpolitik wird nicht nur im Umweltministerium gemacht, sondern viel mehr im Verkehrsministerium, im Landwirtschaftsministerium, im Bereich Forschung und Bildung, beim Wirtschafts- und Finanzminister. Mit anderen Worten: Der enge Zuschnitt des Umweltministeriums ist völlig falsch, er garantiert die immanente Impotenz. Hier muss sich in der nächsten Legislaturperiode grundlegend etwas ändern.

Manchmal hat man den Eindruck als hätten die Grünen vergessen, warum sie Politik machen. Zuletzt gab es zwei alarmierende Meldungen. Zum einen, dass die Ozonschicht über Europa so dünn ist wie nie zuvor. Zum anderen, dass die Polkappen schneller schmelzen als je zuvor. Warum wird das von Ihrer Seite nicht mehr dramatisiert?

Das hat historische Ursachen. Am Anfang hatte die Ökologiebewegung, denken Sie an Hoimar von Ditfurth, Herbert Gruhl oder Robert Jungk, großen Erfolg mit Katastrophenmeldungen, mit apokalyptischen Prognosen. Die Grünen haben damit aufgehört, weil es teilweise übertrieben pessimistisch war und weil die Leute es nicht mehr hören konnten. Stattdessen haben wir den emphatischen Naturbegriff mit vernünftigen, rein pragmatischen Argumenten umstellt. Umweltschutz hilft den Arbeitsplätzen und den Sozialsystemen, wir brauchen eine Effizienzrevolution usw. - ein Kranz von kühlen Hilfsargumenten. Jetzt merken wir, dass wir das Ziel vergessen haben und die Katastrophen übersehen, wenn sie teilweise eben doch eintreten.

Haben Sie Angst, wieder als Dramatisierer dazustehen?

Ich persönlich habe die Angst nicht. Es ist ja wahr, dass früher oft überdramatisiert wurde und jedes laue Lüftchen, das ein paar Bäume umgelegt hat, zur Klimakatastrophe hochstilisiert wurde. Aber wenn man seriös, wissenschaftlich abgesichert weiß, dass gefährliche Entwicklungen im Gang sind, dann muss man es eben genauso dramatisch formulieren, wie es ist.

Ist Ökologie out?

Ökologie ist kein Einzelthema, sie ist ein bestimmter Blickwinkel, unter dem man sich Natur und Gesellschaft ansieht, von der Finanzpolitik bis zu den Sozialsystemen. In diesem Blickwinkel, und nur darin, liegt die historische Berechtigung der Grünen, so wie die SPD die Dinge zuallererst aus dem Blickwinkel der Sozialen Gerechtigkeit sieht.

Politik ist praktisch. Wie soll das gehen?

Die Haushaltspolitik unserer Regierung ist nachhaltig. Das hat Hans Eichel sich auf die Fahnen geschrieben. Gleichzeitig laufen aber zahlreiche umweltschädliche Subventionen einfach so weiter. Dazu haben wir als Grüne ein Kürzungskonzept vorgelegt. Beispiel Kilometerpauschale. Die sollte in eine Verkehrsmittel unabhängige Entfernungspauschale umgewandelt werden.

Sind die Grünen innerhalb der Regierung konfliktscheu geworden?

Ja. Es wird oft zuerst gedacht, was könnte Fischer, was könnte Schröder denken? und nicht zuerst: Was ist vernünftig?

Hat der Mangel an Mut mit den unprofessionellen Strukturen der Grünen zu tun?

Wir erleben bei uns nicht zuletzt wegen der diffusen Strukturen eine gewisse Verödung. Es mangelt an Originalität und an dem Mut, den wir früher hatten, nämlich die wirklich brennenden Frage anzupacken. Über Biotechnologie - das Thema der Zukunft - wird bei uns kaum geredet. Gleichzeitig geraten innerlich bei vielen Einzelnen, auch bei mir, die Dinge bei den Fragen der Gentechnologie ungeheuer in Bewegung.

Sie haben davon gesprochen, dass die Grünen die Ökologie strategisch wieder mehr ins Zentrum stellen sollen. Ist das nicht eine rein hypothetische Forderung, solange es ein steuerungsfähiges Zentrum bei Ihrer Partei gar nicht gibt, weil die Strukturen Verantwortung und Macht verunklaren?

Zentrum? Das klingt mir zu zentralistisch. Nein, wir brauchen neue Strukturen. Unglücklicherweise werden derzeit Struktur- und Personal-, also auch Machtfragen zusammen diskutiert. Daran ist Joschka Fischer nicht schuldlos, weil er seine Lieblingskandidaten gleich in die Diskussion gebracht hat. Renate Künast und Fritz Kuhn sind zweifellos respektable Regionalpolitiker mit großer Erfahrung. Doch im Grunde wäre es besser, wenn die Parteivorsitzenden aus dem Bundestag kämen und dort auch reden könnten. Sonst bleiben sie unauffällig wie Lothar Bisky bei der PDS. Grundsätzlich gebietet es der Respekt vor den Delegierten, dass die jeden überallhin wählen dürfen. Die Trennung von Amt und Mandat müsste also vollständig aufgehoben werden. Wenn das nicht geht, sollte der Kompromissvorschlag von Kerstin Müller unterstützt werden, der es Bundestagsabgeordneten erlaubt, Parteivorsitzender zu werden.

Glauben Sie, dass es dafür in Karlsruhe die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit geben könnte?

Durchaus. Die grüne Basis wird immer noch als schlummernde Bestie dargestellt, die nur darauf wartet, der Spitze wieder eins überzubraten. Aber das ist so längst nicht mehr. Meine Erfahrungen an der Basis sind positiv.Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff und Bernd Ulrich

Die Grünen wollen auf ihrem morgen beginnende

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