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Politik: Keine unbelastete Freundschaft

BELGRAD .Der hohe Besuch aus Rußland hat Belgrad einen Tag ohne Luftalarm beschert.

BELGRAD .Der hohe Besuch aus Rußland hat Belgrad einen Tag ohne Luftalarm beschert.Die Sirenen blieben am Tag nach der sechsten Nacht mit Luftangriffen zumindest in der Umgebung von Belgrad still.Rußlands Premierminister Primakow durfte zudem auf dem eigentlich gesperrten Flugplatz Surcin landen.Die NATO hatte einen Hangar in der Nähe des Belgrader Flughafens noch in der Nacht zuvor bombardiert.Primakow verschwand gleich nach seiner Ankunft im "Weißen Haus", der Residenz von Jugoslawiens Präsident Slobodan Milosevic.

Primakow war in Begleitung von Außenminister Igor Ivanow und Verteidigungsminister Igor Sergejew angereist.Er sei gekommen, "um den Prozeß in politische Bahnen zu lenken", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Tanjug den Besucher.Geplant war ein Treffen von etwa zwei Stunden, doch die Gespräche dauerten am Ende gut sechs Stunden.Das staatliche Fernsehen zeigte die beiden Männer den halben Tag über scheinbar gutgelaunt in eine Konversation vertieft.

Rußland und Jugoslawien pflegen traditionell gute Beziehungen.Miroslaw Milosevic, Bruder des jugoslawischen Präsidenten, ist immerhin Botschafter des Landes in Moskau.Die "Freundschaft" zwischen den beiden slawischen Nationen hält sich aber in engen Grenzen und hat mehr mit politischer Rhetorik zu tun.Schon im alten Jugoslawien orientierte man sich während der kommunistischen Ära stärker am Westen und der westlichen Kultur.Nach dem Tod des kommunistischen Diktators Josip Broz Tito herrschte sogar die Angst, sowjetische Truppen könnten das politische Vakuum nutzen und in das blockfreie Land einmarschieren.Man hörte westliche Musik und sah sich Filme aus Hollywood an.

Mehrere hunderttausend Fachleute oder Studenten sind in den Jahren der Milosevic-Ära in die USA, nach Kanada oder Richtung Westeuropa emigriert.Antiwestliche Stimmung ist erst jetzt mit den NATO-Bomben aufgekommen.Selbst die Fensterfronten der beiden Lokale der Fastfood-Kette McDonalds werden jetzt mit Steinen eingeschlagen.Die beiden Lokale waren selbst während der Jahre der Wirtschaftssanktionen beliebter Treffpunkt der Belgrader Jugend.

Hochkonjunktur von Parolen gegen Amerika und Bill Clinton bedeutet aber nicht, daß das Land jetzt plötzlich die Liebe zu Rußland entdecken würde.Der Besuch aus Moskau weckte in den Straßen von Belgrad am Dienstag keine großen Erwartungen.Selbst die staatlichen Medien räumten dem Gast im Vorfeld vergleichsweise wenig Raum ein.Die russisch-jugoslawische Freundschaft ist ohnehin durch einen Schuldenberg belastet.Belgrad importiert aus Rußland Erdgas, das vor allem für Fernwärme gebraucht wird.Ursprünglich sollte Jugoslawien im Gegenzug Landwirtschaftsmaschinen liefern, konnte der Vereinbarung aber nicht nachkommen.Moskau will jetzt für Gas in Devisen bezahlt werden, an denen in den Belgrader Staatskassen immer größerer Mangel herrscht.

Jugoslawien hat gegenüber Rußland offene Rechnungen in der Höhe von rund 250 Millionen Dollar.Ohnehin sind nicht alle Besucher aus Rußland willkommen: Der liberale Politiker und ehemalige Premier Gaidar mußte vergangenes Wochenende mühsam per Auto aus Budapest anreisen.Belgrads staatliche Medien beschimpften den Vermittler und seine beiden Begleiter als "Abschaum und Abfall".Gajdar hatte es gewagt, zuvor in Budapest "Instruktionen vom Kriminellen Holbrooke" entgegenzunehmen.

Ungeachtet der russischen Vermittlungsbemühungen ging auf dem "Platz der Republik" im Zentrum von Belgrad am Dienstag zum dritten Male ein Rockkonzert über die Bühne.Seit den Winterdemonstrationen gegen das Milosevic-Regime vor zwei Jahren waren in Belgrad nie mehr soviele Menschen auf der Straße.Mitten auf dem Platz ist eine große Bühne aufgestellt worden.Jeden Tag sollen nun Rockgrößen aus dem ganzen Land sich mit dem Protest gegen die Luftangriffe solidarisieren.Auch Cica, Gattin von Arkan, des gefürchteten Milizenführers Zeljko Raznjatovic, ist mit von der Partie.Arkan, der schon durch ganz Bosnien und Kroatien mit seiner Truppe eine Blutspur gezogen hat, zeigte sich in einem Fernsehinterview: Er bestritt, das seine Paramilitärs bereits im Kosovo "aktiv" seien.Er werde seine "Tiger" erst mobilisieren, wenn die NATO Bodentruppen Richtung Kosovo losschicken wolle, drohte er in einem Belgrader Restaurant.

Die Rockkonzerte auf dem Platz der Republik sollen offenbar an die schon fast historischen Winterdemonstrationen am selben Ort anschließen.Der Protest soll zum täglichen Treffpunkt gegen die "barbarische Aggression" der NATO werden.Im Gegensatz zu damals sind heute alle mit an Bord, die Belgrader Bürger und ihre damaligen Gegner, die Exponenten des Regimes.Ganz vorne an der Abschrankung vor der Bühne wippt Ivica Gajevic, Chefin der Milosevic-Sozialisten, im Takt der Musik.Weiter hinten sind auch die Protagonisten des oppositionellen Massenprotests gegen das Milosevic-Regimes vom Winter 1996/97 zu sehen.Jeder sieht sich als potentielles Opfer einer NATO-Bombe, selbst Intellektuelle können sich der vom Regime geschürten Kriegspsychose nicht entziehen.

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