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Anhänger von Präsident Uhuru Kenyatta feiern in den Straßen der Hauptstadt Nairobi, dass die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Fatou Bensouda die Anklage geen ihn zurückziehen musste, weil ihr im Verlauf des Verfahrens die meisten Zeugen abhanden gekommen waren.

© AFP

Kenia in der Krise: Präsident Kenyatta kommt um Prozess in Den Haag herum

Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, Fatou Bensouda, hat die Anklage gegen Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta zurückziehen müssen. Ihr sind die Zeugen ausgegangen. Doch Kenias Probleme sind damit nicht gelöst. Analyse eines Landes im Niedergang.

Kenias Präsident Uhuru Kenyatta hat sein Ziel erreicht. Am Freitag hat die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Fatou Bensouda, kapituliert und die Anklage gegen ihn zurückgezogen, weil sie keine ausreichenden Beweise für eine Verurteilung des Präsidenten präsentieren konnte. Kenyatta war 2011 von Bensoudas Amtsvorgänger Luis Moreno-Ocampo als einer der Hauptverantwortlichen für die Massaker nach der Präsidentenwahl im Dezember 2007 in Den Haag angeklagt worden. Damals war Kenyatta Finanzminister.

Gegen Kenyattas Vizepräsidenten William Ruto wird seit September 2013 in Den Haag verhandelt. Er ist wegen der gleichen Verbrechen angeklagt – nur stand er damals auf der anderen Seite des politischen Grabens. 2013 haben Kenyatta und Ruto dann gemeinsam kandidiert und mit einer Anti-IStGH-Kampagne die Wahl gewonnen.

Die Prozesseröffnung im Fall Kenyatta ist mehrfach verschoben worden. Zuletzt hatte Bensouda beantragt, dass das Gericht die Kooperationsverweigerung der Regierung in Nairobi feststellen möge. Vor zwei Tagen entschieden die Richter, dass die kenianische Regierung Bensouda bis zum 10. Dezember ausreichende Beweise vorlegen, oder die Anklage zurückziehen müsse. Das hat Bensouda nun getan. Bensouda sagte am Freitag: „Die kenianische Regierung hat das Rom-Statut gebrochen.“ Das ist das Gründungsdokument des Gerichtshofs.

Angehörige von Opfern der Massaker in Mandera sind fassungslos, ob der Nachrichten aus dem Nordosten Kenias.
Angehörige von Opfern der Massaker in Mandera sind fassungslos, ob der Nachrichten aus dem Nordosten Kenias.

© dpa

Bensouda warf der Regierung eine Kampagne in den sozialen Netzwerken vor, mit der Zeugennamen öffentlich gemacht wurden, deren Identität hätte geheim bleiben sollen. Im Verlauf des Verfahrens hatten mehrere Zeugen ihre Aussagen aus Angst um ihr Leben zurückgenommen. Kenyatta sagte in einer ersten Reaktion, er sei „begeistert“. Diese Entscheidung sei "seit sechs Jahren überfällig", sagte er in einer Erklärung, die er am Freitag veröffentlichte. Kenyatta warf dem IStGH vor, ihn wie auch Ruto und den Radiojournalisten Joshua Sang, dessen Fall mit Ruto gemeinsam verhandelt wird, voreingenommen und Interessen geleitet ermittelt zu haben. Damit habe er der Gerechtigkeit geschadet - auch mit Blick auf die Opfer.

Was ist 2007/08 passiert?

Nach der umstrittenen Präsidentenwahl Ende 2007 waren die Anhänger der Opposition und der vorgeblichen Wahlgewinner aufeinander losgegangen. Mehr als 1300 Menschen starben bei den Ausschreitungen, mehrere Hunderttausend Menschen musste flüchten. Erst eine große Koalition aus Mwai Kibaki, der sich hatte zum Präsidenten erklären lassen und seinem wichtigsten Gegenspieler Raila Odinga beendete die Unruhen. Dass der damalige Präsident Mwai Kibaki durch eine betrogene Wahl an der Macht geblieben war, wurde ein Jahr später in einem umfassenden Bericht unter Leitung eines südafrikanischen Richters nachgewiesen.

In der vergangenen Woche war die Opposition auf den Straßen in Nairobi. Tausende demonstrierten gegen die sich dramatisch verschlechternde Sicherheitslage. Auf dem Plakat beklagt eine Demonstrantin, dass die Polizeiautos keinen Sprit haben, während überall im Land Kenianer fürchten, Opfer von Terroranschlägen werden zu können.
In der vergangenen Woche war die Opposition auf den Straßen in Nairobi. Tausende demonstrierten gegen die sich dramatisch verschlechternde Sicherheitslage. Auf dem Plakat beklagt eine Demonstrantin, dass die Polizeiautos keinen Sprit haben, während überall im Land Kenianer fürchten, Opfer von Terroranschlägen werden zu können.

© imago

Die Gräueltaten der verschiedenen Volksgruppen wurden in einem mehrere 100 Seiten umfassenden Report unter Leitung des kenianischen Richters Philip Waki dokumentiert. Waki war es auch, der dem Mediator, dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan, einen Umschlag mit den Namen der nach Einschätzung der Waki-Kommission Hauptverantwortlichen für die Verbrechen übergab. Annan, der erfolgreich im Konflikt vermittelt hatte, gab der großen Koalition eine mehrjährige Frist, mit der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen zu beginnen. Sollte kein nationaler Tribunal errichtet werden, kündigte Annan an, werde er den verschlossenen Umschlag dem IStGH übergeben. Bis heute ist keiner der Täter von damals von einem kenianischen Gericht belangt worden.

Was bedeutet die Einstellung des Verfahrens gegen Kenyatta in Kenia?

In der Koalition der Angeklagten Kenyatta und Ruto kriselt es seit geraumer Zeit. Zwar geben der Präsident und sein Vize bei öffentlichen Auftritten stets ein Bild der Eintracht ab. Doch die Anhänger Rutos im Rift Valley sind schon länger der Meinung, dass ihr Mann das schlechtere Los gezogen hat. Zugleich hat es die Regierung Kenyatta/Ruto innerhalb von nicht einmal einem Jahr geschafft, das Land an den Rand des Ruins zu treiben. Der Haushalt ist leer, die vergangenen Monate hat Kenia nur mit hohen ausländischen Krediten überstanden.

Präsident und Vize-Präsident haben seit ihrem Amtsantritt im März 2013 einen Großteil einer diplomatischen Bemühungen darauf verwendet, die Afrikanische Union davon zu überzeugen, den IStGH wegen der Prozesse unter Druck zu setzen. Monatelang reisten Kenyatta und Ruto durch Afrika, um sich Unterstützung gegen Den Haag zu organisieren - mit einigem Erfolg. Die Afrikanische Union verlangte vom IStGH, Prozesse gegen amtierende Präsidenten während ihrer Regierungszeit zurückzustellen, oder sie gleich ganz einzustellen.

Die Sicherheitslage hat sich dramatisch verschlechtert

Kenyattas Vorgänger Mwai Kibaki entschied 2011, nach der Entführung einer Touristin durch die somalische Islamistenmiliz Al Schabaab die Armee ins Nachbarland zu schicken, um der somalischen Regierung und der afrikanischen Friedenstruppe Amisom im Kampf zu helfen. Tatsächlich eroberte die kenianische Regierung relativ schnell die für die Miliz strategisch wichtige südsomalische Hafenstadt Kismayo. Doch die Zahl der Terroranschläge in Kenia nahm ebenfalls zu.

Der bisher schlimmste Anschlag ereignete sich im September 2013, als mutmaßlich somalische Islamisten das auch bei Ausländern beliebte Westgate-Einkaufszentrum stürmten und mindestens 60 Menschen töteten. Tagelang war unklar, ob die Islamisten Geiseln genommen hatten. Während der Krise kam es zu Konflikten zwischen den Spezialkräften der Polizei und der Armee, die Kenyatta ebenfalls losgeschickt hatte. Soldaten erschossen Elitesoldaten und plünderten die Läden. Videoaufnahmen, die später ihren Weg in die Presse fanden, haben das festgehalten. Daraufhin schossen die Soldaten das Einkaufszentrum in Brand, um ihre Spuren zu verwischen. Bis heute ist nicht klar, wie viele Menschen tatsächlich im Westgate-Einkaufszentrum gestorben sind, und wie viele Angreifer es wirklich waren.

Im Mai 2014 ereignete sich in einem Dorf nicht weit von der Touristeninsel Lamu ein Massaker, bei dem 60 Menschen getötet wurden. Al Schabaab bekannte sich zu dem Angriff. Doch Präsident Kenyatta beschuldigte Oppositionspolitiker von der Küste, für den Angriff verantwortlich zu sein. In den vergangenen drei Wochen sind bei einem Angriff in Mandera nahe der somalischen Grenze 32 Männer getötet worden, die meisten wurden erschossen, vier geköpft. Und vor wenigen Tagen wurden erneut diesmal 36 Männer niedergemetzelt. Al Schabaab gelingt es offenbar leicht, junge kenianische Männer, teils somalischer Herkunft, aber nicht nur, für ihren Kampf zu rekrutieren. Inzwischen hat Kenyatta in einer Rede bekannt, dass die Sicherheit des Landes "eine nationale Aufgabe" sei.

Die Wirtschaftslage ist schlecht

Der Tourismus, eine der wichtigen Einkommensquellen Kenias, ist dramatisch eingebrochen. Schon 2013 reisten weniger Menschen nach Kenia, weil sie rund um die Wahlen mit neuen Unruhen rechneten, die ausblieben. Endlang der Küste ist nicht nur Al Schabaab aktiv, dort hat sich auch eine islamistische Unabhängigkeitsbewegung gebildet, die ebenfalls mit Gewalt auf sich aufmerksam macht. Der Küstentourismus ist fast vollständig zum Erliegen gekommen. Und auch der Safari-Tourismus leidet. Viele Touristen weichen auf Simbabwe aus, das zwar ebenfalls in einer lang anhaltenden Krise steckt, aber zumindest weniger Sicherheitsprobleme zu haben scheint.

Die Landwirtschaft, vor allem der Export von Schnittblumen, Kaffee, Tee und Gemüse, ist ebenfalls eingebrochen. Seit Oktober muss Kenia Zölle zahlen, wenn es in die Europäische Union exportieren will, weil es als Staat mittleren Einkommens nicht die Zollfreiheitsregeln in Anspruch nehmen kann, die für die am wenigsten entwickelten Staaten gelten. Seit Jahren verhandelt die EU mit verschiedenen afrikanischen Ländergruppen über Handelsabkommen, die unter anderem auch Zollpräferenzen enthalten, aber gleichzeitig eine vollständige Öffnung der Märkte für Produkte aus Europa verlangen. Das gibt Äthiopien, Kenias schärfster Konkurrent im Blumengeschäft, derzeit deutlich bessere Exportbedingungen.

Die Einstellung des Verfahrens gegen Kenyatta dürfte nicht dazu führen, dass sich die Regierung in Nairobi stärker auf die Probleme konzentriert, die das Land bedrohen. Stattdessen wird die Regierung wohl weiter einen hohen Aufwand betreiben, um auch Vize-Präsident William Ruto aus den Fängen der Justiz zu befreien. Derweil rutscht das Land immer weiter in die Krise. In der vergangenen Woche haben Tausende in Nairobi gegen die schlechte Sicherheitslage demonstriert. Drei prominente Anti-Korruptionskämpfer, unter ihnen John Githongo, der selbst einmal der Chef-Korruptionsbekämpfer der kenianischen Regierung gewesen war, bevor das Land erneut im Korruptionssumpf versunken war,

und Githongo aus Kenia flüchten musste, haben fast zeitgleich einen offenen Brief an die Regierung geschrieben und im Statehouse abgegeben, in dem sie fordern, dass sich die Regierung endlich um die Probleme des Landes kümmert. Dass ihr Wunsch erfüllt wird, ist allerdings kaum wahrscheinlich.

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