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Martin Dulig (SPD, l-r), Michael Kretschmer (CDU) und Dirk Panter (SPD) loten die Möglichkeiten einer "Kenia"-Koalition im Sächsischen Landtag aus.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

„Kenia“-Koalitionen im Osten: Mehr als nur ein Bündnis gegen die AfD

Bald könnte in Sachsen die erste Kenia-Koalition stehen. Doch ohne Ideen und Strahlkraft wird sich der Wähler erst recht Alternativen suchen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Sie sind zum Erfolg verpflichtet – und nur der ist der Ausweg für die Parteien in Sachsen und in Brandenburg. Aber SPD, CDU und Grüne wollen – ja, was? Das gilt es dringend zu klären. Vor allem der AfD den Weg an die Macht zu verstellen, wie man leicht meinen kann, reicht nicht. Ohne Idee für eine „Kenia“-Koalition wird der Wähler nicht nur nicht überzeugt, sondern sich erst recht Alternativen suchen.

Richtig ist der grundlegende Befund. Das Parteiensystem fasert aus, manche sagen, es zersplittert. Was insofern ein passendes Wort ist, als die eine Partei, die SPD, nur noch ein Splitter dessen ist, was sie einmal war. Damit das aber eine vorübergehende Situationsbeschreibung ist, damit die Zersplitterung nicht ausgreift, müssen neue Kräfte walten: die eine weitere Polarisierung, politisch und gesellschaftlich, verhindern.

Das wird ein schwieriges Unterfangen. Ist doch die AfD inzwischen Auffanglager für die Protestwähler; das wird sie auch noch deutlicher machen. Dazu kommt die Linke, die vormals den Protest gesammelt hat und jetzt ihre Rolle sucht. Auch im Protest?

Damit daraus keine Spaltung wird, braucht es ein, wie der sächsische Bundestagsabgeordnete Marian Wendt zu Recht sagt, „Verantwortungsbündnis“. Aber eben nicht nur gegen die AfD, sondern für etwas: für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der muss sich manifestieren in der Koalition.

Mögen sich die Partner noch nicht grün sein, ihre Aufgaben sind größer, als es die Animositäten sein dürfen. Wer sich bloß in einer Zwangskoalition zur Abwehr der AfD sieht, verkennt den Auftrag des Wählers. Der hat so entschieden, wissend, dass die AfD keine Bündnispartner hat. Umso wichtiger wird aber, Kompromisse zu finden, die nicht Formeln sind, sondern Strahlkraft haben, am besten über das jeweilige Land hinaus.

Richtung Kenia müssen die Beteiligten gemeinsam gehen

Sagen wir so: Richtung Kenia müssen die Beteiligten gemeinsam gehen. Strittiges auszuklammern ist nicht der richtige Weg. In Sachsen müssen der zukünftige Klimaschutz, das Wahlalter, ein Parité-Gesetz, das Polizeigesetz und die Zukunft des Landesverfassungsschutzes in einer Weise geklärt werden, dass an der Kooperationsfähigkeit kein Zweifel besteht. In Brandenburg müssen die Zukunft der Lausitz ohne Kohle, die Landwirtschaft ohne Agrarindustrie und das weite Feld der inneren Sicherheit bearbeitet werden, dazu die Gesundheitsversorgung. Alle Projekte müssen jedermann, jederfrau verständlich sein, mit Zeithorizonten versehen – und dann noch von einer überwölbenden Idee zusammengehalten werden.

Wo doch Willy Brandt vor genau 50 Jahren ins Amt des Bundeskanzlers kam: Sein Wunsch, die Gesellschaft über Beteiligung an einem großen Gespräch zu einen, taugt jetzt besonders als Antrieb. Die Politiker von heute müssen mehr denn je raus ins Land. Denn die Dimension der Zukunft, wusste Brandt, ist so sehr eine reale Kategorie wie die Gegenwart.

Will sagen: Die Bürger haben Anspruch darauf zu wissen, was ihre Regierenden in der Sache wollen, aufgrund welcher Wertvorstellungen, und wie sie glauben, es realisieren zu können. Ohne Polarisierung und Diskreditierung, weil die zu weiterer Fragmentierung führt. Stattdessen mit Achtsamkeit, Duldsamkeit, Gemeinsamkeit, dem Wohl der Einzelnen verpflichtet: des einzelnen Bürgers und des einzelnen Koalitionspartners. „Kenia“ muss zeigen, dass es anders geht.

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