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Brüder - auch im Geiste. John F. Kennedy (links) und sein Bruder Robert im März 1963 vor dem Oval Office in Washington.

© Reuters

Kennedy - ein Name verpflichtet: Vermächtnis einer Familie

Der scheidende US-Botschafter in Deutschland, Philip D. Murphy, beschreibt seine persönlichen Erinnerungen an den früheren Präsidenten John F. Kennedy und dessen Brüder.

Die berühmte „Ich bin ein Berliner“-Rede von Präsident John F. Kennedy ist einer der denkwürdigsten Augenblicke seiner 1000 Tage währenden Präsidentschaft. Sie hat sich in das nationale Gedächtnis der Vereinigten Staaten und anderer Länder auf der ganzen Welt eingebrannt – auch in das deutsche. Ich war damals noch ein kleiner Junge, aber die Worte und Bilder, die Kennedys Präsidentschaft dokumentieren, sind so tief in meiner Erinnerung verwurzelt, als sei ich selbst dabei gewesen.

Rückblickend waren die Sechzigerjahre eine Zeit des Aufruhrs. Im Juni 1963, kurz vor seiner historischen Reise nach Deutschland, hielt Präsident Kennedy eine Fernsehansprache, in der er sich an die Amerikaner wandte und über die Bürgerrechte sprach. In den Südstaaten war die Stimmung überaus angespannt, da die Bemühungen zur Abschaffung der Rassentrennung in Schulen und anderen Institutionen fortgesetzt wurden. In einer Zeit, in der sich die Vereinigten Staaten weltweit für die Förderung und den Schutz der Rechte aller einsetzten, die nach Freiheit strebten, war es Präsident Kennedy ein wichtiges Anliegen, dass sich alle Amerikaner mit dem Thema Bürgerrechte auseinandersetzen. Etwas später im selben Sommer kam es zu einer weiteren Sternstunde der politischen Geschichte der USA. 250 000 Menschen nahmen am Marsch auf Washington teil und hörten Martin Luther King die Worte sagen, die ebenfalls Eingang in das Gedächtnis von Menschen überall auf der Welt fanden. Es waren die Worte: „Ich habe einen Traum“.

Die Vereinigten Staaten sind immer ein Land gewesen, das sich stets weiterentwickelt, da seine Bürger danach streben, die „vollkommenere Union“ zu erreichen, die die amerikanische Verfassung beschreibt. Auch darum geht es beim Vermächtnis der Kennedys. Als erster Präsident, der im 20. Jahrhundert geboren wurde, stand John F. Kennedy für eine Generation, die die Welt tatsächlich ändern wollte, aber das Vermächtnis, das seinen Namen trägt, steht für etwas, das viel größer ist als die 1000 Tage seiner Präsidentschaft. Es steht für das Beste der Ideale amerikanischer Politik – und das Beste der Vereinigten Staaten selbst. Es spiegelt den Grundgedanken wider, dass jeder von uns etwas verändern kann – und dass wir alle dazu aufgerufen sind, genau dies zu versuchen. Es spiegelt den Grundgedanken wider, dass es keine Grenzen gibt – ganz besonders dann nicht, wenn wir zusammenarbeiten.

Dieser Geist des lebhaften Optimismus und Vertrauens zeichnete die 1000 Tage der Regierung Kennedy aus, die ein abruptes und tragisches Ende nahm. Genauso wie ich einige der Augenblicke seiner Präsidentschaft wachrufen kann, spüre ich auch noch die tiefe Trauer und den schmerzlichen Verlust, den meine Eltern und alle anderen in meinem Umfeld in den Tagen nach seiner Ermordung fühlten.

Der Tod seines Bruders hatte Robert Kennedy – liebevoll Bobby genannt – schwer erschüttert. Er konnte die Worte „Attentat“, „Mord“ oder sogar „Dallas“ nicht aussprechen, stattdessen bezog er sich immer nur auf die „Ereignisse vom 22. November“. In seiner Trauer wandte er sich der antiken griechischen Philosophie und Poesie zu. Diese Schriften bestärkten ihn in seiner Überzeugung, dass es notwendig ist, seinen Idealen gerecht zu werden, sowie Bedürftigen und Benachteiligten Mitgefühl entgegenzubringen. Er forderte seine Senatskollegen beider Parteien auf, sich zu fragen, warum bedürftige schwarze Amerikaner, Hispanier und amerikanische Ureinwohner anscheinend durch das soziale Netz fielen. „Wir müssen den Klischees und Stereotypen vergangener politischer Rhetorik ein Ende setzen“, sagte er. War dies die Richtung, in die sich auch JFK entwickelt hätte? Was hätte JFK erreicht, wenn er nicht 1000 Tage nach seinem Amtsantritt ermordet worden wäre? Dies sind einige der quälenden Fragen der Geschichte.

Eines ist sicher: Wenn sich die Zeiten änderten, wusste Robert Kennedy, dass alte Lösungen nicht immer für neue Herausforderungen taugten, weder im In- noch im Ausland. Wir können es besser, sagte er oft. Sein Wahlkampfslogan war: „Die Vereinigten Staaten können das besser“. Er stellte diesen Anspruch nicht nur an seine Regierung, sondern auch an sich selbst. Schubladen wie „links“ und „rechts“ hatten für ihn wenig Bedeutung. Dogmas, die uns daran hinderten, voranzukommen, sollten fallen gelassen werden. Seine leidenschaftlichen Überzeugungen und sein eiserner Wille erfüllten sein öffentliches Amt mit einer Kraft und Zielstrebigkeit, die wir noch heute spüren.

Wie wir wissen, wurde auch seinem Leben durch die Kugel eines Attentäters ein Ende gesetzt. Diese Erinnerungen haben sich ebenfalls in das Gedächtnis von Millionen Amerikanern eingebrannt. Die Trauerfeier für Robert Kennedy fand in der St.-Patricks-Kathedrale in New York statt, und er wurde auf dem Nationalfriedhof von Arlington beigesetzt, ganz in der Nähe der Grabstätte seines Bruders. Ein Trauerzug brachte seinen Sarg von New York nach Washington. Viele Menschen – alte und junge, schwarze und weiße – säumten die Gleise, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, weil sie mit Bobby mitgefühlt hatten und wussten, dass er ihnen fehlen würde.
So wie wir uns fragen, was hätte sein können, wenn JFK weitergelebt hätte, fragen wir uns auch, was geschehen wäre, wenn RFK nicht getötet worden wäre. Hätte RFK 1968 die Nominierung der Demokraten gewonnen und wäre dann Präsident geworden? Wir können nicht sagen, inwiefern sich die Amerikaner oder die Vereinigten Staaten verändert hätten.

Es gab aber einen weiteren Kennedy- Bruder, der zur Stelle war, um die Fackel von dort zu übernehmen und weiterzutragen, wo sie von John F. Kennedy und seinem Bruder Bobby hinterlassen wurde. Für mich sind JFK und RFK überlebensgroße Ikonen. Meine unmittelbaren und persönlichen Erfahrungen mit dem Vermächtnis der Kennedys sind von der Karriere Edward M. Kennedys, Teddy, geprägt, der von 1962 bis zu seinem Tod im Jahr 2009 als Senator tätig war. Er hat an mehr als 1000 maßgeblichen Gesetzen in den Bereichen Bürgerrechte, Einwanderung, Bildung und Gesundheit mitgewirkt.

Eine der letzten politischen Entscheidungen von Senator Ted Kennedy war die Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur von Barack Obama. Trotz seiner Krebserkrankung bestand er darauf, der Vereidigung Obamas 2009 beizuwohnen. Ted Kennedy verstarb im September desselben Jahres. Historiker sagen, er habe sich damals auf dem vollkommenen Höhepunkt einer langen und geachteten politischen Karriere befunden. Es gibt keine offenen Fragen, was er hätte erreichen können. Seine politische Laufbahn spricht für sich. Sie spiegelt ein Ideal von den Vereinigten Staaten wider, wie auch seine Brüder es teilten, eine Vision, die auf der Überzeugung gründet, dass eine ideale Demokratie ein mutiges und kühnes Unterfangen ist, das von jedem Einzelnen verlangt, auf aufregende und bereichernde Art und Weise persönliche Verantwortung zu übernehmen. Er eröffnete neue Möglichkeiten in der amerikanischen Politik. Dies ist ein immerwährendes Vermächtnis. Es lebt in den Träumen und Wünschen fort, die Menschen wie Teddy Kennedy im derzeitigen Präsidenten der Vereinigten Staaten erkannt haben. Barack Obama wiederum setzt seine Hoffnungen auf junge Menschen, die wie er selbst und die Kennedy-Brüder daran glauben, dass alle Menschen die Macht haben, den Lauf der Geschichte zum Guten zu ändern. Unmittelbar nach der Verkündung der Wahlergebnisse im November 2012 hat Präsident Barack Obama einigen jungen Freiwilligen persönlich gedankt, die in seinem Wahlkampfbüro in Chicago tätig gewesen waren. Er zitierte damals Bobby Kennedy. „Jedes Mal, wenn ein Mensch für ein Ideal eintritt“, hatte Kennedy viele Jahre zuvor bei einem Besuch in Südafrika gesagt, „löst er eine kleine Welle der Hoffnung aus“.

Hier in Berlin hat die Welt gesehen, wie die Menschen in der Tat den Lauf der Geschichte verändert haben. Sie lösten kleine Wellen der Hoffnung aus, die zu einem mächtigen Strom wurden, der eine Mauer der Unterdrückung niedergerissen hat. Der Berlin-Besuch von Präsident Obama wurde von vielen seit langem herbeigesehnt. Ich bin mir sicher, dass auch er sich freut, in diese großartige Hauptstadt eines Landes zurückzukehren, das Tag für Tag Ideale und Träume anstrebt, die das Beste in allen Menschen auf der Welt hervorzubringen vermögen.

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