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Kernenergie: Gabriel heizt den Anti-Atom-Wahlkampf an

Der Umweltminister verlangt von RWE, den Reaktor Biblis B nicht wieder anzufahren. Und er legt neue Kriterien für ein Endlager vor, die das endgültige Aus für Gorleben bedeuten könnten.

Sigmar Gabriel ist in diesen Tagen nicht zu bremsen. Seit der Pannenserie im Atomkraftwerk Krümmel, die die Zuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall erneut infrage gestellt hat, läuft der sozialdemokratische Bundesumweltminister zu Höchstform auf. Er warnt, droht und rückt den Kurzschluss in einem Transformator des schleswig-holsteinischen Atommeilers in die Nähe eines SuperGaus. Er attackiert die Union, wirft ihr "Wählertäuschung" vor, und fordert, ältere AKWs rascher abzuschalten.

Dabei lässt sich nicht immer unterscheiden, wann der Minister spricht und wann der Wahlkämpfer. Wann sich Gabriel ernsthaft um die Sicherheit der kerntechnischen Anlagen sorgt und wann der "rote Siggi" seinen Genossen von der SPD zeigen will, wie seine Partei im Wahlkampf wieder in die Offensive kommen kann.

Dies ist auch am Mittwoch bei der Vorstellung des Jahresberichts des Bundesamtes für Strahlenschutz in Berlin nicht anders. Der Minister hat gleich zwei Attacken vorbereitet. Erst präsentiert er neue "technisch-wissenschaftliche Anforderungen" für die Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll und eröffnet damit eine neue Runde bei der Standortsuche. Faktisch bedeuten diese Kriterien, die an die Stelle von Sicherheitsanforderungen aus dem Jahr 1983 treten sollen, das endgültige Aus für den umstrittenen Standort Gorleben. Auch wenn Gabriel dies nicht ausspricht.

Anders als in dem bisherigen Sicherheitskonzept, das mit Blick auf den zuvor ausgewählten niedersächsischen Salzstock  formuliert wurde, soll das Endlager den strahlenden Müll nun unter anderem nicht nur für eine Millionen Jahre sicher einschließen. Es muss den hochradioaktiven Abfall aus den AKWs auch durch gleich mehrere Barrieren von der Umwelt abschließen.

Für beide Kriterien gibt es nach Expertenmeinung wesentlich bessere Standorte als den Salzstock Gorleben, bei dem Kritiker bemängeln, dass er gegen Wassereinbrüche nicht sicher sei. Doch der Umweltminister betont, auf Grundlage der neuen Sicherheitsanforderungen werde nun ein standortunabhängiges Auswahlverfahren beginnen, wie im Koalitionsvertrag verlangt, und in dieses werde selbstverständlich auch Gorleben einbezogen.

Doch nicht nur die Endlagersuche hat Gabriel an diesem Tag im Visier, sondern auch die Atomindustrie. Deshalb knöpft er sich anschließend den Kraftwerksbetreiber RWE vor und legt ihm "dringend" nahe, auf die geplante Wiederinbetriebnahme des hessischen Atomkraftwerkes Biblis B am kommenden Wochenende zu verzichten. Zur Begründung verweist er auf ein "existenzielles Sicherheitsrisiko" im Kühlsystem des AKWs. Bei einem Störfall im Kühlkreislauf kann sich Dämmmaterial lösen, das Siebe verstopft und dadurch die Notfallpumpen ausfallen lässt.

Gabriel hat von allen Kraftwerksbetreibern den Nachweis verlangt, dass sie einen solchen Störfall beherrschen. "RWE konnte den Nachweis nicht einbringen", sagt Gabriel nun, auch eine Revision des Kühlsystems sei nicht erfolgt. Deshalb dürfe Biblis B nicht wieder hochgefahren werden, bevor der Reaktor nicht nach dem Stand von Wissenschaft und Forschung nachgerüstet worden sei.

Er rate RWE "den Fehler von Vattenfall in Krümmel" nicht zu wiederholen, warnt Gabriel. Eine rechtliche Handhabe hat er allerdings zunächst nicht. Formal zuständig für Biblis B ist die hessische Atomaufsicht, und RWE braucht für das Hochfahren des Reaktors eigentlich auch formal keine Genehmigung. Aber wenn Hessen nicht einsichtig sei, droht Gabriel, dann könnte er auch eine atomrechtliche Weisung des Bundes erlassen.

Er wird sie womöglich nicht brauchen. Denn die politische Drohkulisse, die Gabriel im beginnenden Wahlkampf aufbaut, ist beachtlich. Schließlich weiß er, dass spätestens seit Krümmel die Bedenken in der Bevölkerung gegen die älteren Atommeiler, zu denen auch Biblis B gehört, stark zugenommen haben. Deshalb zeigt sich der Umweltminister auch sicher, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) das Hochfahren des Reaktors auf Grund der massiven Sicherheitsbedenken "nicht akzeptieren wird".

Das hessische Umweltministerium als zuständige Atomaufsicht teilte denn auch promt wenige Stunden  später mit, man habe mit RWE vereinbart, dass das Akw erst nach einer Nachrüstung mit sogenannten Sumpfsieben wieder ans Netz gehe. Dies werde im Zuge der derzeit laufenden Revision zeitnah geschehen. Einen neuen Termin für das Wiederanfahren nannte die Behörde nicht.

Weil in Berlin der Umweltminister als Wahlkämpfer aber schon mal in Fahrt ist, drischt Gabriel auch auf die Union noch einmal ein. Er wirft ihr vor, ihre Position zur Atomkraft zu "verschleiern". In Wahrheit wolle sie nicht nur die Laufzeiten verlängern, sondern sogar neue Atomkraftwerke bauen, täusche die Wähler aber "bewusst" darüber. Und er erneuert seine Forderung, sieben ältere Kernkraftwerke sowie den Pannenreaktor Krümmel vorzeitig abzuschalten und die Restlaufzeiten auf modernere Anlagen zu übertragen.

Wenn die Betreiber dazu nicht freiwillig bereit sein, dann werde die SPD nach der Wahl in der Bundesregierung dafür sorgen, dass das Atomgesetz entsprechend geändert werde, kündigt der Umweltminister an. Zumindest Gabriel tut in diesen Tagen alles dafür, damit die SPD ihr Wahlziel nicht aus den Augen verliert. 

Quelle: ZEIT ONLINE

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